Als Natacha (Florence Darel) auf einer Party die Philosophielehrerin Jeanne (Anne Teyssèdre) kennenlernt, lädt sie diese dazu ein, doch in der Wohnung zu übernachten, die sie mit ihrem Vater Igor (Hugues Quester) teilt. Der sei sowieso nie da, seitdem er seine junge Geliebte Eve (Eloïse Bennett) hat. Jeanne kommt das sehr recht, hat sie ihre eigene Wohnung doch ihrer Cousine Gaëlle (Sophie Robin) überlassen, damit die sich mit ihrem Freund treffen kann. Am Ende kommt es aber anders, als Igor unerwartet auftaucht, in einer denkbar ungünstigen Situation. Oder vielleicht nicht? Natacha kann Eve ohnehin nicht leiden und sieht in der Lehrerin eine gute Möglichkeit, bei der Beziehung ihres Vaters dazwischenzufunken …
Der Anfang eines Zyklus
Auch wenn Eric Rohmer (Der Baum, der Bürgermeister und die Mediathek) im Laufe seiner langen Karriere natürlich viele Einzelfilme gedreht hat: Viele werden mit dem französischen Regisseur und Drehbuchautor dann doch seine Filmzyklen in Verbindung bringen. Nach Moralische Erzählungen, das aus sechs Filmen besteht, die zwischen 1962 und 1972 gedreht wurden, folgte Komödien und Sprichwörter. Auch hier waren es sechs Filme, entstanden zwischen 1981 und 1987. Sein dritter und letzter Zyklus war etwas kleiner. Dem Titel Erzählungen der vier Jahreszeiten entsprechend waren es hier vier Filme, in denen von 1990 und 1998 er seine Gedanken festhielt, beginnend mit Frühlingserzählung.
Auch wenn Rohmer eigentlich mit dem Winterteil anfangen wollte, ist die Frühlingsvariante doch ein guter Einstieg in den Zyklus. Darin beschreibt er das Leben mehrerer Figuren, die alle irgendwo zwischen Stillstand und Aufbruch stecken. Sie alle sind in Beziehungen, die bereits gefestigt sind. Die aber auch alle etwas Flüchtiges an sich haben. So darf man bald bei Igor und Eve Zweifel haben, ob sie sich wirklich lieben. Gleiches gilt für Natacha und Jeannine, deren jeweiligen Partner in dieser Versuchsanordnung abwesend bleiben. Sie spielen in den Leben der beiden Frauen natürlich eine große Rolle und sind doch im Film nur Geister, die kaum zu fassen sind. Vielleicht ist es auch da Zeit für etwas Neues. Ganz so weit sind die beiden aber noch nicht, um das wirklich zu entscheiden. Es bleibt bei einem eher schwebenden Zustand.
Vom Reden und Suchen
Das trifft dann auch auf den Film als solchen zu, der an vielen Stellen luftig leicht daherkommt. Viel Handlung gibt es darin nicht. Man kann sich auch darüber streiten, ob das hier als Geschichte durchgehen würde. Vielmehr sieht das Publikum hier zu, wie rund hundert Minuten lang Menschen miteinander reden, in verschiedenen Gruppenzusammenstellungen. Mal sitzen sie auf dem Sofa bei einer Party, dann geht es zur Wohnung des Vaters, später wird beim gemeinsamen Abendessen im Landhaus geredet. Das wird zwischendrin etwas hitziger, was letzten Endes Natachas tiefer Abneigung gegenüber Eve geschuldet ist. Ansonsten ist Frühlingserzählung aber ein zurückhaltender und unauffälliger Film, der ohne viel Musik oder andere Störelemente die Figuren begleitet. An manchen Stellen verzichtet er auch ganz auf Worte, sondern erzählt nonverbal, wie es in den vieren aussieht.
Das funktioniert insgesamt sehr gut. Das Ensemble mag keine übermäßig bekannten Namen enthalten, doch die vier zeigen sich der Aufgabe gewachsen, zwischen intellektuellem Austausch und einer stärker gefühlsgesteuerten Auseinandersetzung zu wechseln. Frühlingserzählung erzählt von Menschen, die auf die eine oder andere Weise etwas verloren wirken, mal in einem übertragenen Sinn, mal im wörtlichen. Die Gespräche sind damit gleichzeitig auch Versuche des Findens und Behauptens. Da werden Grenzen getestet, ausprobiert, verbale Entdeckungsreisen, bei denen nicht klar ist, wohin sie führen werden – und ob sie überhaupt ein Ziel haben. Wer es gern konkreter mag, der ist daher falsch. Rohmer nimmt das Alltägliche und schaut es sich von so vielen Seiten aus an, bis man selbst nicht mehr ganz sicher ist, ob man gerade richtig ist oder nicht.
OT: „Conte de printemps“
Land: Frankreich
Jahr: 1990
Regie: Eric Rohmer
Drehbuch: Eric Rohmer
Kamera: Luc Pagès
Besetzung: Anne Teyssèdre, Hugues Quester, Florence Darel, Eloïse Bennett, Sophie Robin
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