Es hätte ein schöner Tag zum Feiern sein sollen, schließlich wird Anna Klettmann (Maria Simon) 44 Jahre alt. Umso größer ist der Schock, als ihr Mann Peter (Torben Liebrecht) sie ausgerechnet an diesem Tag aus heiterem Himmel ermordet. Besonders für ihre Tochter Vivi (Julia Beautx), die bislang ein behütetes Leben führte, bricht eine Welt zusammen. Aber sie ist fest entschlossen, sich um ihre jüngeren Geschwister Daniel (Vico Magno) und Emmi (Nele Richter) zu kümmern und erhält dabei Hilfe von dem Polizisten Tim Münzinger (Julius Nitschkoff). Peter lässt währenddessen sein bisherigeres Leben Revue passieren. Vor allem zur Nacht der Abifeier kehren seine Gedanken zurück, als der junge Peter (Damian Hardung) etwas auslöste, das seine ganze Zukunft bestimmen würde …
Antwortensuche auf zwei Zeitebenen
Eigentlich war die Aufgabenteilung recht klar. Während das ZDF sich um ein älteres Publikum kümmert und diesem eine Mischung aus seichten Komödien, dem Herzkino und unzähligen Krimireihen anbot, war ZDFneo für jüngere Zuschauer und Zuschauerinnen gedacht. Das zeigte sich gerade auch bei den Serien, die der Sender einkaufte oder selbst produzierten. Titel wie das Zeitschleifen-Abenteuer Another Monday oder das Entführungsgrauen Decision Game waren dann doch etwas ganz anderes, als man es vom Zweiten Deutschen Fernsehen kannte. Vor allem das Thriller-Segment schien dem Ableger vorbehalten zu sein. Zuletzt verwischen aber die Grenzen. Schon der Vorortklassenkampf Neuland war eine untypische Serie für das ZDF. Gestern waren wir noch Kinder geht da noch einen ganzen Schritt weiter.
Der Auftakt ist dabei noch vergleichsweise bekannt. Eine Geschichte, die mit dem Fund einer Leiche beginnt? Klar, das sieht man oft, mehrfach pro Woche sogar. Im Anschluss geht es aber gar nicht so sehr um die Frage, wer den Mord denn begangen hat. Schließlich sagt Peter selbst, dass er der Täter ist. Und auch wenn Restzweifel bleiben und man nicht ganz sicher ist, ob er in der Hinsicht auch wirklich die Wahrheit sagt, der Fokus ist ein anderer. Genauer erzählt Drehbuchautorin Natalie Scharf, die den meisten für ihre Frühling-Reihe bekannt ist, in Gestern waren wir noch Kinder zwei Handlungsstränge parallel. Der erste nimmt uns mit auf eine Zeitreise und erzählt aus den jungen Jahren von Peter, zeigt auf, wie er zu dem werden konnte, der er heute ist. Der zweite spielt in der Gegenwart und beschreibt, wie es mit der Familie nach dem Mord weitergeht.
Fragen des Schicksals
Die Vorgeschichte ist dabei die deutlich gelungenere. Auch wenn einiges hier schematisch bleibt, die von Ulrich Tukur verkörperte Figur des despotischen Vaters beispielsweise nur wenig vertieft wird, zeichnet Gestern waren wir noch Kinder doch ein in sich stimmiges Bild einer dysfunktionalen Familie. Da geht es darum, wie Peter von seinem Vater und einem erlittenen Trauma geprägt wird. Auch ein Vierteljahrhundert später – der Vater ist begraben, der Sohn hat sich ein eigenes Leben aufgebaut –, ist der Protagonist davon gezeichnet. An diesen Stellen darf das Publikum dann auch viel darüber nachdenken oder sogar diskutieren, wie sehr wir Gefangene unserer Vergangenheit sind. War das Leben von Peter vorgezeichnet? Hatte er eine Chance, all dem zu entkommen?
Bei den Vorkommnissen in der Gegenwart stehen hingegen andere Fragen im Raum. Die wichtigste dabei ist sicherlich, was es mit dem jungen Polizisten Tim auf sich hat, bei dem wenig subtil früh signalisiert wird, dass etwas nicht stimmt. Was dieses „etwas“ ist, wird jedoch erst in den letzten zwei Folgen verraten. Da wollte sich Scharf wohl einen Knaller aufbewahren. Allgemein zeigt sich hier die Tendenz zur Maßlosigkeit, welche die Autorin auch bei Frühling immer wieder zeigt. Da wird einfach Haufen für Haufen draufgeworfen, ohne jegliche Zurückhaltung oder Gespür dafür, wie viel eine Geschichte verträgt. Bei Gestern waren wir noch Kinder ist das besonders irritierend. Obwohl das Konzept der Serie vorsieht, dass das eine das andere bedingt und alles irgendwie zusammenhängt, passt da wirklich gar nichts mehr zusammen. Vor allem das willkürliche Verhalten der Figuren fällt negativ auf.
Absurde Eskalation
Dabei muss man anerkennen: Bis zum Schluss bleibt hier tatsächlich unklar, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt. Die wenigsten dürften von sich aus auf die Lösung kommen. Das hängt aber auch damit zusammen, dass die Geschichte auf wirklich groteske Weise eskaliert und dabei einen unglaublichen Seifenoper-Thriller-Quatsch verzapft, bei dem man tatsächlich mit offenem Mund vor dem Fernseher sitzt. Wer die Qualität einer Geschichte an der Zahl der Wendungen festmacht, der darf hiervon gefesselt sein. Hat man hingegen Ansprüche an die Glaubwürdigkeit, dann ist man bei Gestern waren wir noch Kinder völlig falsch. Ärgerlich dabei ist aber vor allem, wie die nachdenklichen Passagen unter diesem Ballast begraben werden und Scharf unterwegs völlig vergisst, dass es diese gab. Da wird dann nur noch willkürlich irgendwas zusammengeworfen, in der Hoffnung, dass das Publikum unterwegs den Kopf ausgeschaltet ist.
OT: „Gestern waren wir noch Kinder“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Nina Wolfrum
Drehbuch: Natalie Scharf
Musik: Johannes Brandt, Dominik Giesriegl
Kamera: Mathias Neumann
Besetzung: Julia Beautx, Torben Liebrecht, Maria Simon, Damian Hardung, Ulrich Tukur, Karoline Eichhorn, Julius Nitschkoff, Rieke Seja, Vico Magno, Nele Richter
Wer nach der Serie noch nicht genug hat: Wir hatten die Gelegenheit, zum Start von Gestern waren wir noch Kinder Interviews mit Damian Hardung und Julia Beautx zu führen. Wir sprachen mit den beiden über die Arbeit an Gestern waren wir noch Kinder, den Umgang mit traumatischen Erfahrungen und was sie aus der Serie für sich mitgenommen haben.
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