Eine französische Kleinstadt am 12. Oktober: Clara (Lula Cotton-Frapier) war bereits wieder auf dem Weg nach Hause, nachdem sie auf einer Party gefeiert hatte, als sie auf dem Heimweg einem Mann begegnet. Der überschüttet sie daraufhin mit Benzin und zündet sie an, unter grauenvollen Schmerzen verbrennt die junge Frau bei lebendigem Leib. Yohan (Bastien Bouillon) übernimmt daraufhin die Ermittlungen und sucht gemeinsam mit seinem älteren Kollegen Marceau (Bouli Lanners) und dem Rest des Teams nach dem Täter. Doch die Suche gestaltet sich schwierig. So war die Verstorbene mit einer Reihe von Männern zusammen, die alle irgendwie in Frage kämen. Je mehr sie über das Leben der jungen Menschen erfahren, umso ratloser werden sie. Doch Yohan möchte nicht aufgaben, fühlt er sich doch dem Opfer und dessen Familie gegenüber verpflichtet …
Ein Krimi ohne Ende
Auch wenn es innerhalb des Krimigenres natürlich die unterschiedlichsten Ausprägungen und Interpretationen gibt, viele laufen dann doch nach demselben Prinzip ab: Am Anfang der Geschichte wird ein Verbrechen begangen bzw. entdeckt, am Ende wird dieses aufgelöst. Das geschieht aus zwei Gründen. Zum einen darf das Publikum dabei meistens kräftig miträtseln und Hypothesen aufstellen und zum Schluss schauen, wie gut man geraten hat. Zum anderen ist es mit einer gewissen Genugtuung verbunden, wenn die Täter überführt werden. Auch wenn auf diese Weise natürlich das Verbrechen als solches nicht rückgängig gemacht wird, wird den Zuschauern und Zuschauerinnen das Gefühl vermittelt, dass die Welt wieder in Ordnung ist. Doch was, wenn das nicht möglich ist? Wenn die Welt kaputt bleibt? Von eben einem solchen Fall erzählt In der Nacht des 12.
Gleich zu Beginn verrät Regisseur und Co-Autor Dominik Moll (Die Verschwundene), dass rund 20 Prozent aller Mordfälle unaufgeklärt bleiben. Dass er sein Publikum hinters Licht führt, kann man ihm daher kaum zum Vorwurf machen. Der französische Filmemacher spielt von Anfang an mit offenen Karten und nimmt einem die Hoffnung, dass der brutale Mord gesühnt wird – selbst wenn man insgeheim vielleicht doch darauf hofft. An möglichen Erklärungen mangelt es dabei nicht. Tatsächlich verfolgt das Team zahlreiche Spuren, trifft die unterschiedlichsten Männer, die an der einen oder anderen Stelle ein Teil im Leben der Verstorbenen waren. Zumindest an der Stelle gibt sich In der Nacht des 12. ganz klassisch. Ein Whodunnit, wie man ihn andauernd sieht, nur dass er offen endet. Da werden sich nicht wenig fragen: Warum sollte ich mir das anschauen wollen? Kann eine Mördersuche spannend sein, die keinen Erfolg hat?
Mördersuche als psychische Belastung
Die Antwort lautet eindeutig ja. Das liegt auch an dem verschobenen Fokus. So geht es in In der Nacht des 12. nicht allein um die Frage, wer die Tat begangen hat. Stattdessen geht Moll der Frage nach, was eine solche Situation eigentlich mit den ermittelnden Polizisten macht. Basierend auf dem Sachbuch 18.3: Une Année À La PJ der Autorin Pauline Guéna, die selbst ein Jahr lang die Polizei begleitete, schildert der Krimi, welche Auswirkungen die Arbeit an einem derartigen Fall hat, gerade in psychischer Sicht. Dabei sind es besonders Yohan und Marceau, die im Vordergrund stehen. Während Bastien Bouillon (Der geheime Roman des Monsieur Pick) einen aufrechten und freundlichen Polizisten verkörpert, der seinen Stress beim Radfahren abzubauen versucht, erliegt der von Bouli Lanners (Euch zu lieben ist mein Leben) gespielte Marceau zunehmend dem Frust.
Das zweite große Thema in In der Nacht des 12. betrifft das Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Beispielsweise wird das recht lockere Sexleben der jungen Menschen in der Kleinstadt je nach Geschlecht unterschiedlich bewertet. Der Mord an Clara sei die Folge ihres Lebensstils, wird zwischendurch impliziert – typisches Victim Blaming eben. Eine andere interessante Beobachtung ist, dass es in der Polizei fast nur Männer gibt, Männer also Männer-Verbrechen aufklären, während das von den Gewalttaten betroffene Geschlecht außen vor bleibt. Eindeutige Antworten gibt Moll, der gemeinsam mit Gilles Marchand – Regisseur der True Crime Doku Wer hat den kleinen Grégory getötet? – das Drehbuch geschrieben hat, an der Stelle nicht. Sein Film ist einer der Fragen, nicht der Antworten.
Betont nüchtern inszeniert
Der Krimi, der bei den Filmfestspielen von Cannes 2022 Premiere feierte, ist insgesamt sehr zurückhaltend inszeniert. Tatsächlich ginge er an vielen Stellen als Dokumentarfilm durch, wenn er ganz nüchtern aus dem Alltag des Polizeiteams berichtet. Actionszenen gibt es keine, die brisantesten Momente sind noch die, wenn beispielsweise nachts beschattet wird oder Marceau nicht mehr seine Wut beherrscht. Und doch fesselt der Film die kompletten zwei Stunden lang und bleibt nicht nur wegen der offenen Fragen sehr viel länger im Gedächtnis, als es die meisten Genrevertreter tun. Sofern man sich darauf einlassen kann, dass In der Nacht des 12. einen anderen Schwerpunkt legt, als man es bei der Geschichte gewohnt ist, erwartet einen hier ein düsterer Höhepunkt.
OT: „La Nuit du 12“
Land: Frankreich, Belgien
Jahr: 2022
Regie: Dominik Moll
Drehbuch: Gilles Marchand, Dominik Moll
Vorlage: Pauline Guéna
Musik: Olivier Marguerit
Kamera: Patrick Ghiringhelli
Besetzung: Bastien Bouillon, Bouli Lanners, Théo Cholbi, Johann Dionnet, Thibaut Evrard, Julien Frison, Paul Jeanson, Mouna Soualem
Wer mehr über den Film erfahren möchte: Wir hatten die Gelegenheit, ein Interview mit Regisseur und Co-Autor Dominik Moll zu führen und mit ihm über In der Nacht des 12. zu sprechen.
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
César | 2023 | Bester Film | Sieg | |
Beste Regie | Dominik Moll | Sieg | ||
Bester Nebendarsteller | Bouli Lanners | Sieg | ||
Bester Nachwuchsdarsteller | Bastien Bouillon | Sieg | ||
Beste Kamera | Patrick Ghiringhelli | Nominiert | ||
Bester Schnitt | Laurent Rouan | Nominiert | ||
Bestes adaptiertes Drehbuch | Gilles Marchand, Dominik Moll | Nominiert | ||
Beste Filmmusik | Olivier Marguerit | Nominiert | ||
Bester Ton | François Maurel, Olivier Mortier, Luc Thomas | Sieg | ||
Bestes Szenenbild | Michel Barthélémy | Nominiert | ||
César des lycéens | Sieg |
Cannes 2022
NIFFF 2022
Filmfest Hamburg 2022
Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg 2022
Französische Filmwoche 2022
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)