Stell dir vor, du willst den Geburtstag deiner Mutter groß feiern. Doch dann erfährst du, dass dein Vater ausgerechnet an dem Tag sie umgebracht hat, aus heiterem Himmel. Die Serie Gestern waren wir noch Kinder (ab 9. Januar 2023 im ZDF) beginnt mit diesem Szenario und erzählt in zwei Strängen, wie es zu dieser Tat kam und wie die Familie nach diesem Ereignis weitermacht. Julia Beautx spielt in dieser Mischung aus Drama und Thriller die Rolle der Tochter, deren Leben plötzlich Kopf steht und die sich nun um ihre jüngeren Geschwister kümmern muss. Wir haben uns mit der Schauspielerin über die Arbeit an der Serie, den Umgang mit Schicksalsschlägen und die Faszination von Verbrechen unterhalten.
Warum hast du bei Gestern waren wir noch Kinder mitgemacht? Was hat dich an der Serie gereizt?
Bislang habe ich nur schöne Geschichten gemacht, wo ich keine schweren Rollen spielen musste. Wo ich auch keine so krassen Emotionen rüberbringen musste wie bei dieser Serie hier. Deswegen war das etwas ganz Neues für mich und sehr spannend.
Dann erzähle uns doch ein wenig von deiner Rolle. Wen spielst du überhaupt?
Ich spiele Vivian Klettmann. Das ist die 18-jährige Tochter von Peter Klettmann. Sie geht auf eine Privatschule, bekommt von Daddy alles, was sie will, und gehört auch in der Schule zu den Beliebten. Dadurch ist sie das perfekte und problemlose Leben gewohnt. Dementsprechend ist sie auch relativ naiv und leichtgläubig und ist keine Problemsituationen gewohnt. Das ändert sich in der Serie schlagartig.
Die Serie beginnt auch gleich mit diesem Schicksalsschlag, der Vivians Leben auf den Kopf stellt. Diese Situation ist eine, wie sie kaum jemand von uns je erleben wird, glücklicherweise. Wie schwierig war es für dich, dich in diese Situation hineinzuversetzen?
Das war absolut absurd für mich und schon nicht einfach für mich, mich da hineinzuversetzen. Als ich aber einmal in dem Gedankenfluss drin war, ging es sogar. Ich höre privat viele True Crime Podcasts und habe dadurch oft mit völlig absurden Fällen zu tun, bei denen ich versuche, mich irgendwie hineinzuversetzen. Auch wenn sich das vielleicht komisch anhört, aber mir macht das fast schon Spaß.
Die Schicksale sowohl in solchen True Crime Geschichten wie auch in Gestern waren wir noch Kinder sind eigentlich ziemlich schrecklich. Warum wollen wir solche Geschichten trotzdem hören oder sehen?
Ich denke, dass der Mensch ganz grundsätzlich für eine Sensation zu haben ist. Du siehst das ja auch, dass die negativen Nachrichten im Internet immer die sind, die am meisten gefragt sind. Bei der Serie ist es so, dass diese Schicksalsschläge sehr unerwartet sind. Da passiert alle zehn Minuten etwas, das du nicht erwartest. Dementsprechend ist das alles total spannend. Und dennoch fühlst du mit diesen Menschen mit, selbst wenn sie etwas ganz Schlimmes tun, weil du nicht das Gefühl hast, dass sie von Grund auf böse sind. Ein Stück weit kannst du dich glaube ich ganz gut in solche Personen hineinversetzen.
Du hast es schon angesprochen, dass ständig etwas Unerwartetes geschieht. Hattest du beim Lesen des Drehbuchs eine Hypothese, warum der Vater seine Frau umgebracht haben könnte?
Ich habe noch vor dem Lesen des Drehbuchs schon von der Geschichte erfahren. Deswegen habe ich mir vorher nicht wirklich etwas ausmalen können, sondern wusste schon Bescheid. Wahrscheinlich hätte ich aber auf Eifersucht getippt, dass es da irgendwie um einen Betrug ging.
Wie verändert sich Vivian durch diesen Schicksalsschlag? Was macht das mit ihr?
Sie ändert sich um 180 Grad, habe ich das Gefühl, weil sie von heute auf morgen Verantwortung übernehmen muss, sie für ihre Geschwister da sein muss und kämpfen muss. Das musste sie vorher nie. Sie hatte immer alles bekommen, was sie wollte, ohne etwas dafür zu tun. Sie macht auch die Erfahrung, dass die Leute sie das erste Mal nicht cool finden. Sie ist jetzt die Tochter eines Mörders und wird dadurch zu einer Außenseiterin, was sie so nicht kennt.
Du hast beschrieben, dass sie aus einem stabilen und wohl behüteten Elternhaus kommt. Normalerweise heißt es, dass das sehr gut ist, weil es dir Halt gibt. Aber wie du schon sagst, ist sie dadurch nicht auf solche krassen Situationen vorbereitet. Was bereitet deiner Meinung nach besser auf Schicksalsschläge vor: ein behütetes Leben oder eines, wo von vornherein vieles nicht funktioniert?
Ich glaube, dass das sehr subjektiv ist und von dem Einzelnen abhängt. Manche wachsen in einem stabilen Umfeld auf und sind dennoch total selbständig. Das kannst du glaube ich so nicht pauschalisieren. Es hängt wohl auch ein bisschen davon ab, wie du behütet definierst. In ihrem Fall heißt es, dass sie auf nichts vorbereitet wurde, weil ihr Mama und Papa alles abgenommen haben.
Denkst du, dass man auf eine solche Ausnahmesituation, wie sie Vivian erlebt, überhaupt vorbereitet sein kann?
Ich glaube nicht. Auf so etwas kannst du nicht vorbereitet sein. Wenn dein Vater deine Mutter an ihrem Geburtstag umbringt, dann ist das etwas, worauf dich nichts vorbereiten kann. Wahrscheinlich hätte ich an Vivians Stelle auch ganz anders reagiert. Ich fand es unglaublich, wie lange sie es geschafft hat, gefasst zu bleiben, bis sie doch mal zusammengebrochen ist.
https://youtu.be/iqtgQohgUWk
In deinen Videos gibst du oft anderen Ratschläge. Natürlich sind die Erlebnisse von Vivian ein ganz anderes Thema. Aber wenn jetzt jemand mit einer solchen Situation zu dir käme, eine Freundin zum Beispiel, was würdest du raten? Kann man überhaupt etwas raten?
Als Freundin von jemandem, der so etwas durchmachen muss, kannst du glaube ich einfach nur da sein für diese Person. Vielleicht dabei helfen, die neuen Situationen im Alltag zu bewältigen, die sich daraus ergeben. Du kannst den Schmerz vielleicht irgendwie erträglicher machen, abnehmen kannst du ihn nicht.
Hätte das Unglück, das geschieht, durch seine Familie verhindert werden können?
Schwer. Denn es war ja gerade auch sein Vater, der einen großen Anteil daran hat, dass Peter so geworden ist, wie er ist. Natürlich hätte Peter früher versuchen können, sich Hilfe zu suchen, zum Beispiel bei der Mutter. Aber wenn du dir anschaust, dass niemand über die Sache mit der Schwester reden wollte: Da ist einfach so viel schief gelaufen, dass die Familie eher Teil des Problems war, als dass sie eine Lösung hätte sein können. Wenn hätte er sich Hilfe außerhalb der Familie suchen müssen.
Du hast anfangs gemeint, dass es für dich das erste Mal war, dass du etwas derart Düsteres gespielt hast. Wie war das für dich, eine solche Rolle zu übernehmen und dich auch mit diesen Themen auseinandersetzen zu müssen?
Das war schon anstrengend teilweise. Es gab Tage, bei denen ich nur wenig gedreht habe, vielleicht eine Szene oder so, an denen ich dennoch wirklich am Ende war. Da war der Dreh vielleicht um 14 Uhr fertig und trotzdem war der Tag für mich gelaufen. Gerade diese Beerdigungsszene. Ich glaube, das kennen alle, wenn man einmal einen richtigen Heulanfall hatte, dass man im Anschluss so fertig ist, dass man den Rest des Tages wirklich gar nichts mehr machen kann. Das war hier ähnlich, weil ich versucht habe, mich in diese schweren Themen hineinzuversetzen, und mir das sehr nahe gegangen ist.
Jetzt, da du diese Erfahrung hinter dir hast, was hast du für dich daraus mitgenommen?
Ich habe vor allem schauspielerisch viel dazugelernt. Der Dreh war eine so intensive Erfahrung mit so vielen tollen Schauspielern und Schauspielerinnen um mich herum. Ich habe auch gelernt, mich ganz anders auf eine Rolle vorzubereiten, und gehe jetzt anders in die Rollenvorbereitung hinein.
Würdest du so eine Geschichte noch einmal drehen wollen?
Auf jeden Fall! Ich mag dieses Genre total gerne und habe mich sehr wohl dabei gefühlt, bei etwas so Düsterem mitzumachen.
Und was erhoffst du dir für das Publikum, das es aus der Serie für sich mitnimmt?
Gute Frage. Dass es die eigene Familie noch einmal mehr wertschätzt, weil wir sie zu oft für selbstverständlich nehmen und erst merken, wie wichtig sie ist, wenn sie nicht mehr da ist. Vielleicht auch, dass es mehr darauf achtet, was im eigenen Umfeld so vor sich geht. In der Serie geschieht vieles nicht, weil die Figuren so böse sind, sondern weil über vieles nicht offen geredet wurde. Über den Schmerz, den sie in sich tragen. Es würde uns allen gut tun, mehr darüber zu sprechen, wie es in uns aussieht.
Vielen Dank für das Gespräch!
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