Maria träumt – Oder: Die Kunst des Neuanfangs folgt Maria (Karin Viard), die bislang für eine ältere Dame den Haushalt schmiss, nun aber notgedrungen als Putzfrau in der Pariser Académie des Beaux-Arts beginnt. Dabei lernt sie nicht nur den eigensinnigen Hausmeister Hubert (Grégory Gadebois) kennen, sondern lernt durch das neue Umfeld auch über sich selbst viel, das sie noch nicht kannte. Seit dem 19. Januar 2023 läuft die französische Liebeskomödie im Kino. Das nahmen wir zum Anlass, um uns mit Yvo Muller zu unterhalten, der gemeinsam mit Lauriane Escaffre Regie geführt und das Drehbuch geschrieben hat. Im Interview reden wir über künstlerische Laufbahnen, das Ansehen von Putzfrauen und wie sehr wir von unserer Arbeit geprägt werden.
Könntest du uns ein wenig über die Entwicklung von Maria träumt verraten? Wie seid ihr auf die Idee gekommen?
Die ursprüngliche Idee kam von meiner Co-Autorin und Co-Regisseurin Lauriane Escaffre. Ihre Großmutter war eine Putzfrau und arbeitete in den Häusern von anderen. Lauriane verbrachte mehrere Sommer bei ihr und begleitete sie dann auch hin und wieder zur Arbeit. Sie war dann jedes Mal überrascht, wenn ihre Großmutter, die sie als eine sehr lebendige Person kannte, so still und unscheinbar wurde, sobald sie in diesen Häusern war. Unsere Idee war es, von einem Menschen zu erzählen, der sich unsichtbar machen sollte und so wenig Geräusche wie möglich. So als wäre er gar nicht da. Das ist zwar nicht Teil des Arbeitsvertrages, sich so klein zu machen. Aber es wird von dir erwartet, ein ungeschriebenes Gesetz. Und eben dieser Mensch sollte im Laufe des Films eine Wandlung durchmachen und aufblühen. Das wiederum wollten wir mit eigenen Erfahrungen verbinden, die wir beide gemacht haben. Unsere Familien hatten jeweils große Hoffnungen in uns und dass wir etwas Solides studieren würden. Das haben wir auch getan, nur um danach das zu machen, worauf wir Lust hatten: die Schauspielerei. Die Geschichte von Marie sollte daher die Geschichte von jemandem sein, dem es gelingt, sich freizumachen von den Erwartungen, die man an ihn hat. Das können die Erwartungen der Familie sein oder die von Freunden, vielleicht auch von einem selbst. Mit der Schule der schönen Künste in Paris hatten wir den perfekten Ort gefunden, um ein solches Aufblühen zu zeigen.
Kommen wir auf die Arbeit der Putzfrau zurück: Die Geschichte mit Laurianes Großmutter muss inzwischen einige Jahrzehnte her sein. Wenn du die Situation von Putzfrauen oder Menschen in ähnlichen Berufen nimmst und sie mit der heutigen vergleichst, was hat sich geändert und was ist gleich geblieben?
Früher hattest du mehr Leute, die dir im Haushalt geholfen haben. Das ist heute seltener geworden. Ich denke daher, dass der Beruf damals mehr Akzeptanz in der Gesellschaft hatte, weil ihn einfach mehr Leute ausgeübt haben. Heute ist es negativer konnotiert, wenn du zu anderen nach Hause gehst und dort arbeitest. Wie Maria an einer Stelle sagt: Niemand träumt davon, eine Putzfrau zu werden. Das ist eine Arbeit, bei der du aus welchen Gründen auch immer landest.
Eine Arbeit zu machen, die keiner machen will, klingt eher nach einem Sozialdrama. Es gab vor einiger Zeit auch den Film Wie im echten Leben mit Juliette Binoche, wo sie eine Autorin spielt, die über die Arbeit von Putzfrauen schreibt. Warum habt ihr aus dem Stoff eine Liebeskomödie gemacht?
Das hat letztendlich einfach mit unserem persönlichen Geschmack zu tun. Lauriane und ich schreiben lieber humorvolle Geschichten. Es war dann auch so, dass wir beim Schreiben immer wieder Ideen hatten: Wäre es nicht lustig, wenn das und das passiert? Das hat dazu geführt, dass wir hier und da komödiantische Stellen eingebaut haben, die ursprünglich gar nicht vorgesehen waren. Wir finden es leichter, über Themen, die durchaus ernst sind, auf eine lockere Weise zu sprechen.
Du hast vorhin gesagt, dass du ursprünglich etwas ganz anderes studiert hast, bevor es dich in die künstlerische Richtung verschlagen hat. Woher kam der Sinneswandel?
Gute Frage. Ich denke, dass Lauriane und ich irgendwann an dem Punkt waren, an dem wir uns selbst gefragt haben, was uns begeistert. Als ich Wirtschaft studierte, hatte ich Freunde, die richtig interessiert an den Themen ihres Studiums waren. Bei mir war das anders. Eigentlich interessierte mich das alles nicht. Es ging also weniger darum, den richtigen oder den falschen Job zu finden, sondern das, was zu mir passt. Warum es ausgerecht Kunst wurde? Ich mochte einfach die Idee, etwas zu erschaffen und aus dem Nichts zu bauen. Das Tolle an Filmen ist, dass du sie mit anderen teilen kannst, ob es nun ein Kurzfilm oder ein Langfilm ist. Etwas zu erschaffen, wodurch du dich mit anderen verbinden kannst, das ist etwas sehr Schönes.
Einen Film zu drehen, unterscheidet sich dabei schon stark von der Kunst, wie sie die Studenten und Studentinnen in „Maria träumt“ erschaffen. Hat die Arbeit an eurem Film deine Sicht verändert, was Kunst überhaupt ist?
Ich bin nicht sicher, ob sich mein Verständnis von Kunst wirklich verändert hat. Es hat aber dazu geführt, dass ich Kunst stärker in Frage gestellt habe. Wir haben eng mit Studenten und Studentinnen der Akademie zusammengearbeitet, wodurch ich auch mehr Verständnis entwickelt habe, wie Kunst eigentlich entsteht. Sie haben übrigens auch in dem Film mitgespielt. Viele von den Studierenden, die du in Maria träumst siehst, gehen wirklich dorthin. Was meine Sicht auf Kunst betrifft: Kunst ist etwas, das starke Gefühle in dir wecken kann, auch wenn du nicht immer verstehst warum. Das müssen keine positiven Gefühle sein, manchmal bist du auch entsetzt. In beiden Fällen hat Kunst einen Wert und wir sollten nicht unsere Verbindung dazu verlieren.
Bist du in deiner Beschäftigung mit dem Thema der Frage näher gekommen, was Kunst eigentlich ist?
Oh, wow, ich liebe diese Fragen, auch wenn ich nicht sicher bin, ob ich qualifiziert genug bin, diese auch zu beantworten. Da haben sich schon so viele Spezialisten den Kopf zerbrochen, dass ich da vermutlich nichts Neues beitragen kann. Aber um auf meine letzte Antwort zurückzukommen: Kunst ist für mich etwas, das dich ganz tief berührt oder mit dem du dich anderweitig verbindest. Kunst kann Menschen zusammenbringen, denjenigen, der sie erschafft, und denjenigen, der sie betrachtet. Zumindest ist es das, was ich in meinem Film versuche.
Okay, eine schwierige Frage noch, danach wird es leichter. Wir haben uns vorhin darüber unterhalten, dass wir eine Arbeit suchen, die zu uns passt. Ist die Arbeit damit etwas, das ausdrückt, wer wir sind, oder beeinflusst sie, wer wir werden?
Wahrscheinlich ein bisschen von beidem. Mir gefällt die Idee, dass die Arbeit beeinflusst, wer wir werden. Aber ich denke auch, dass die Arbeit Ausdruck ist von uns selbst oder zumindest davon, wer wir gerne wären. Lauriane und ich haben gemerkt, dass es in unserem Film viele Verbindungen zu unserem eigenen Leben gibt. Da führt vermutlich aber auch kein Weg dran vorbei, dass du beim Schreiben etwas erschaffst, das eine starke Verbindung zu dir hat. Damit komme ich auch noch einmal auf deine Frage von vorhin zurück, warum ich eine Liebeskomödie daraus gemacht habe. Da ist etwas in mir, das daran glauben will, dass aus jedem Leben etwas Schönes entstehen kann. Auch das gehört zum künstlerischen Schaffen dazu. Du triffst einerseits viele bewusste Entscheidungen. Anderes läuft aber unterbewusst ab und erst später bei der Arbeit oder eben in Interviews fragst du dich selbst: Warum habe ich das eigentlich so gemacht? Du lernst auf jeden Fall eine Menge während des künstlerischen Prozess, auch über dich selbst. Vor allem wenn es ein Langfilm ist, mit dem du dich viele Monate lang beschäftigst.
Maria träumt ist ja auch dein erster Langfilm als Regisseur, nachdem du zuvor nur Kurzfilme gedreht hast. Wie war die Erfahrung für dich?
Dass wir den Film zu zweit gemacht haben, hat es für mich deutlich einfacher gemacht. Bislang war ich immer in so einer Zwischenposition zwischen der Wirtschaft und der Kunst, weil ich Drehbücher für Unternehmen geschrieben habe. Dabei handelte es sich um halbstündige Theaterstücke, bei denen tatsächliche Schauspieler auftraten und die etwas über das jeweilige Unternehmen sagten. Lange habe ich das alleine gemacht. Ab dem Moment, an dem ich diese Drehbücher mit jemand anderem geschrieben habe, war das eine enorme Erleichterung für mich. Wenn du das zu zweit machst, hast du jemanden, mit dem du dich austauschen kannst, gerade auch bei Zweifeln. Das nimmt dir viel Druck. Ansonsten habe ich viel durch den Film gelernt. Das haben wir beide. Klar hat nicht alles immer funktioniert, aber wir wissen jetzt besser, wie etwas funktioniert und können beim nächsten Mal manche Fehler vermeiden. Wichtig war dabei aber natürlich auch, dass wir alle dieselbe Vision hatten und deshalb wirklich zusammenarbeiten konnten. Ansonsten wäre es schwierig geworden.
Und wie war es, in einem Film mitzuspielen, bei dem du selbst Regie führst? Bislang hast du immer nur für andere gespielt.
Es war so etwas wie ein Urlaub während des Drehs. An den Tagen, an denen ich vor der Kamera gestanden habe, habe ich Lauriane die Schlüssel gegeben und ihr die ganzen Aufgaben überlassen, die mit der Regie einhergehen. Ich konnte mich ganz auf die Schauspielerei konzentrieren und den Rest ignorieren. Es war auf gewisse Weise auch befreiend, weil ich mir keine Gedanken machen musste, ob das jetzt so passt und ob ich das so mache, wie es die Regie gerade will. Lauriane und ich waren uns so einig bei dem Film, dass ich immer wusste, was ich zu tun hatte und worauf es ankam.
Dann kommen wir noch darauf, worauf es euch ankam, als ihr die beiden Hauptrollen besetzt habt. Wonach hattet ihr gesucht?
Zuerst hatten wir Grégory Gadebois als Hubert gesetzt, mit dem wir schon einmal in einem unserer Kurzfilme gearbeitet haben. Er hat diese Stärke, die mit seiner Größe und seinem Körper verbunden ist. Gleichzeitig ist da in seinem Blick dieses Weiche und Menschliche. Grégory hat eigentlich als Charakterdarsteller in Autorenfilmen angefangen, die sehr ernst waren. Mit Komödien brachte man ihn lange nicht in Verbindung. Wir wussten aber, dass er dieses komödiantische Talent hat, das wir für unseren Film brauchen. Bei der Besetzung von Maria taten wir uns lange schwer. Es war zwar klar, dass wir jemanden brauchten, der einen gewissen Bekanntheitsgrad hat, weil es sonst schwierig geworden wäre, die Finanzierung für den Film zu bekommen. Gleichzeitig musste es jemand sein, der einen sehr einfachen und wenig glamourösen Menschen spielen kann und eben keine Diva ist, wie du es bei vielen bekannten Schauspielerinnen hast. Karin Viard kann das. Sie hat diese Wandelbarkeit, die es ihr erlaubt, Aristokratinnen ebenso gut zu spielen wie eine Putzfrau.
Noch eine kurze letzte Frage. In einer Szene spricht Maria darüber, welches Tier sie im nächsten Leben sein würde. Wenn du für dich ein Tier aussuchen müsstest, welches wäre das?
Ich liebe diese Frage! Es wäre vermutlich irgendein Vogel, um einmal die Erfahrung zu machen, einfach durch die Gegend zu fliegen. Eine Krähe vielleicht. Oder eine Möwe, die noch nicht einmal groß flattern muss, sondern sich einfach durch den Wind tragen lässt. Das sieht nach einer Menge Spaß aus.
Vielen Dank für das Gespräch!
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