Zero Gravity 2020
© Delphi Filmverleih

Zero Gravity (2020)

„Zero Gravity“ // Deutschland-Start: 15. Dezember 2022 (Kino)

Inhalt / Kritik

Eine Zeit lang machten sie fast wöchentlich in den hiesigen Kinos Halt: Dokumentarfilme, in denen jemand uns mitnimmt auf eine persönliche Reise durch die Welt. Die Mischung aus Urlaubsvideo und Selbstfindungstrip war beliebt, nicht nur bei denjenigen, die sie drehten. Die Besucherzahlen waren beeindruckend, umso mehr, da viele dieser Filme von Laien gedreht wurden. Inzwischen sind diese Produktionen eher eine Seltenheit geworden. Aber es gibt sie. In Facing Down Under – Die Doku eines Backpackers berichtet ein Jugendlicher davon, wie es für ihn ist, in Australien unterwegs zu sein. In Besser Welt als Nie radelte jemand zweieinhalb Jahre durch die Gegend, was ihn in so unterschiedliche Länder wie Oman, Thailand oder Bolivien führte.

Mit dem Rad durch Japan

Ganz so ambitioniert war Claus Boje nicht, als er sich ebenfalls aufs Fahrrad schwang. Der durch seine Produktionsarbeit bekannt gewordene Deutsche – unter anderem Herr Lehmann und Rubbeldiekatz – wollte „nur“ vom Süden Japans in den Norden fahren. Aber wie das in solchen Filmen nun einmal so ist: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Nicht nur dass er die Reise zweimal starten musste, nachdem es während seines ersten Anlaufs zu einem Unglück kam. Unterwegs lässt er sich dann doch eher treiben, begegnet dem Land mit viel Enthusiasmus und Neugierde, um mit dem Publikum dann seine ganz persönlichen Eindrücke zu teilen. Objektiv kann ein solcher Einblick natürlich nicht sein. Soll es aber auch gar nicht: Zero Gravity ist kein Film über Japan, sondern einer über Claus Boje in Japan.

So ist der Reisende beispielsweise ein leidenschaftlicher Sumo-Fan. Während andere bedeutende japanische Kampfkünste wie Kendo oder Aikido mit keinem Wort erwähnt werden, macht Boje zwischendurch sehr lange Halt, um sich mehrere Sumo-Turniere anzuschauen, mit Anwesenden zu diskutieren oder stolz ein Buch zu präsentieren. Nur Karate wird genannt – um zu sagen, dass Sumo die überlegene Sportart ist. Auffallend dabei ist auch die spirituelle Ausrichtung des Deutschen, die sich hier und anderen Stellen zeigt. Unter anderem versucht er, andere davon zu überzeugen, dass man Sonne und Mond direkt Energie entziehen könnte. Das kann man dann als kurios empfinden und als wenig seriöse Berichterstattung. Aber es gibt Zero Gravity doch einen ganz eigenen Charme.

Tagebuch statt Wissenssendung

Allgemein sollte man von dem Film nicht erwarten, dass er Wissen in dem Sinn vermittelt. Selbst in Situationen, die sich dafür anbieten würden – der Besuch einer Schnapsbrennerei oder einer Pachinko-Spielhalle – bleibt er auffallend stumm. Letztere ist übrigens das einzige nennenswerte Beispiel, wo es überhaupt um die aktuelle Unterhaltungsindustrie geht. Ob Videospiele, Mangas und Animes, Filme oder Musik, nichts davon taucht auf. Nicht dass es bei der klassischen Kultur besser aussehen würde. Kabuki? Noh? Nichts zu sehen. Man erfährt nichts über die Geschichte des Landes, macht um Tokio einen Bogen. Vieles von dem, was man mit Japan in Verbindung bringt, liegt in Zero Gravity abseits des Weges. Immerhin: Der Besuch eines Schreins steht auf dem Programm, wohl auch wegen der besagten spirituellen Ader. Auch ein Onsen darf nicht fehlen.

Das wird nicht wenige überraschen, vielleicht auch enttäuschen, die eine übliche Japan-Doku erhoffen. Ein Manko ist es aber nicht zwangsläufig. Wo sich andere schwer damit tun, eine Balance aus dem Persönlichen und dem Objektiven zu schaffen, ist Zero Gravity von vornherein ein filmisches Tagebuch. Hin und wieder wäre es schön gewesen, zumindest so etwas wie eine Landkarte sehen zu dürfen, damit man weiß, wo man gerade ist. Nur zu Beginn gibt es eine eindeutige geografische Verortung. Aber auch der sehr impressionistische Zugang hat seinen Reiz. Der Zufall bringt eine Reihe schöner Bilder mit sich, gerade aus der Natur oder dem eher ländlichen Japan. Das ist dann zwar alles doch ein bisschen oberflächlich. Aber es macht Spaß und sogar ein klein wenig glücklich, in eine andere Welt einzutauchen, in der die ermüdende Grausamkeit des Alltags keinen Platz hat.

Credits

OT: „Zero Gravity“
Land: Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Claus Boje
Musik: Lars Löhn
Kamera: Jana Marsik, Stephanie Hardt, Konrad Waldmann, David Gruschka, Julia Geiß

Trailer



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Zero Gravity (2020)
fazit
„Zero Gravity“ ist eine bewusst subjektive Reisedoku, in der jemand seine Erfahrungen und Gedanken festhält, während er durch Japan radelt. Viele der Bilder und Themen, die wir mit dem Land verbinden, fehlen. Es gibt auch kaum eigentlich Wissensvermittlung. Aber der impressionistische Ansatz hat seinen Reiz und lockt mit zahlreichen schönen Bildern.
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