Eigentlich ist die Geschichte von Oliver Hirschbiegels neuer Doku-Fiction schnell erzählt: Der avantgardistische Maler Albert Oehlen (Ben Becker) lädt ein Filmteam zu sich nach Hause ein, um die Produktion seines neuen Bildes zu dokumentieren. Aber ganz so einfach gestaltet sich die Sache dann doch nicht. Was heißt es, eine weiße Leinwand ohne konkreten Plan zu bemalen, einfach aus dem Bauch heraus? Kann man über diesen Prozess sprechen? Und wenn ja, wie? Da es sich um ein Experiment handelt, geht auch der Film unkonventionelle Wege. Nämlich: Der „echte“ Albert Oehlen malt das besagte Bild, aber unsichtbar im Hintergrund. Vor der Kamera ahmt Ben Becker improvisierend die Arbeitsschritte nach, die sich im Off abspielen. Und zwar so, dass der Schauspieler nicht nur den Maler, sondern auch sich selbst spielt. Heraus kommt eine faszinierende Auseinandersetzung mit Farbe und Form, die das Bedürfnis nach Authentizität spielerisch unterläuft.
Junge Wilde
Wer will sich schon gern über die Schulter schauen lassen, wenn er kreativ ist? Sind all die Krisen und Selbstzweifel nicht Privatsache? Manchmal jedoch machen vor allem bildende Künstler eine Ausnahme, denn bei ihnen gibt es – im Unterschied etwa zu den tippenden Schreibmaschinen von Schriftstellern – wirklich etwas zu sehen. Gerhard Richter zum Beispiel gewährte nach langem Zögern der Dokumentarfilmerin Corinna Belz Einblick in seinen Schaffensakt (Gerhard Richter Painting, 2011). Und sein jüngerer Namensvetter Daniel Richter hat Pepe Danquart ins Atelier gelassen (Daniel Richter, vor kurzem angelaufen). So geradlinig will Albert Oehlen (Jahrgang 1954), einer der sogenannten „Jungen Wilden“ aus den 1980ern, den Blick in seine Werkstatt nicht gestalten. Schließlich war er mal ein Meister der Provokation und des (Selbst)widerspruchs. Da wäre es doch banal, wenn so einer, bei dem Daniel Richter übrigens mal Assistent war, sich mit bloßer Abfilmerei eines Vorgangs zufrieden gäbe, dem man weder mit Worten noch mit Bildern wirklich beikommen kann.
Dennoch muss gesprochen werden, sonst würde der Zuschauer das Ganze leicht für reines Geschmiere halten. Hier kommt Ben Becker ins Spiel, der wuchtige Schauspieler, der in diesem Film alles gibt. Er steht auf dem Dach, als das Filmteam ankommt, laut deklamierend und wild mit den Armen rudernd. Becker hat die Aufgabe, das weitläufige Atelier zu zeigen und zu kommentieren, was nun geschehen wird. Aber was heißt kommentieren? Becker stöhnt und flucht, er redet mal schlau daher und nimmt sich gleich wieder auf den Arm. Er wirft sich auf den Boden, er verzweifelt und verzagt, er denkt nach und schaut konzentriert, aber er tanzt auch oder hält ein Schläfchen.
Becker spielt mit dem Image des in die Jahre gekommenen „Wilden“ und bricht es gleich wieder, wenn er ernsthaft über seine Arbeit, das Malen, spricht. Der Schauspieler darf hier ganz in sein ureigenes Element eintauchen: ein Berserker, der aus der puren Emotion heraus agiert und gerne auch mal die Rampensau gibt. Was davon aus ihm selbst kommt und was er von Albert Oehlen nimmt, bleibt sein Geheimnis. Klar ist nur: Hier gibt es keine konventionelle Arbeitsteilung zwischen dem Mann auf dem Regiestuhl, dem Objekt des Interesses und dem Schauspieler als ausführendem Werkzeug. Sondern dies ist das Gemeinschaftswerk des gleichberechtigten Trios Becker, Oehlen und Hirschbiegel. Der Filmemacher (Der Untergang, 2004, Elser – Er hätte die Welt verändert, 2015) studierte übrigens Malerei und Grafik, bevor er ins Filmfach wechselte. Er startete seine Karriere als Performancekünstler und weiß daher genau, worüber er spricht, wenn es um moderne Kunst geht.
Die grundsätzlichen Prinzipien und Arbeitsweisen des Malers Albert Oehlen versteht man trotz oder gerade wegen des komplexen Settings sehr wohl. Er will nichts Figürliches, aber auch keine Klischees der gängigen abstrakten Malerei, er hasst alles, was nach Balance aussieht, und meidet alles, was schon mal da gewesen ist. Wie also beginnen vor der weißen Leinwand, wenn man bewusst keinen Plan hat und auch auf so etwas wie Komposition verzichtet? Ein zufälliger Schmutzfleck wird zum Anfang, auf den etwas Figürliches folgt, das aber wieder übermalt werden muss. Dann geht es weiter mit Unzufriedenheit, Warten auf einen Impuls, Korrektur desselben, grundsätzlicher Infragestellung, einem ganz neuen Ansatz und irgendwann einmal, nach vielem Ringen, stellt sich Zufriedenheit ein. Das Bild ist fertig.
Berserker und Rampensau
Aber kann man abstrakte Kunst dem Laien wirklich so simpel verständlich machen? Dem widersprechen die Texte, die die Musikerin Gudrun Gut aus dem Off einspricht. Sie reflektieren den künstlerischen Prozess auf einem abstrakten Niveau. Das ist mal nachdenkenswert, mal überkomplex und oft einfach nur komisch. Woher die Texte stammen, benennt der Film nicht, viele sind sicher von Oehlen selbst, andere könnten aber auch aus Ausstellungskatalogen stammen, von befreundeten Künstlern oder Kritikern. Klar ist nur, dass sich hier ein Spannungsfeld aufbaut, zwischen Theorie und Praxis, aktuellen Impulsen und späterem Reflektieren, unmittelbarem Ausdruck und Kunstszenen-Sprech.
Dank der spontanen, nie ausrechenbaren Performance von Ben Becker hält der Film, der nur selten das Atelier verlässt, über weite Strecken die Spannung. Aber auch die Urgewalt des Darstellers will nicht dagegen anspielen, dass der kreative Akt seine Durchhänger hat, seine Längen und Momente, in denen nichts vorwärts geht. Solche Durststrecken schlagen auf den Film durch, der die Krisen nicht beschönigen will. Auch das Publikum muss da durch, muss leiden und aufkommende Langeweile unterdrücken, wenn es sich auf den Prozess einlassen will. Einen unterhaltsamen Film hat sich das Trio Oehlen, Becker und Hirschbiegel nicht vorgenommen. Sondern einen, der die Nebel der Reflexionsspiralen letztlich durchbricht und zum Eigentlichen vordringt, das man aber dummerweise mit Worten und Bildern nur umkreisen, nicht eins zu eins abbilden kann.
OT: „Der Maler“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Oliver Hirschbiegel
Drehbuch: Albert Oehlen (Konzept), Ben Becker (Konzept)
Musik: Gudrun Gut, Nathan Wooley
Kamera: Philip Bienmüller, Severin Bärenbold, Dominik Frey, Timna Gibson, Alexander Kruse, John-Philip Kuhn, Michail Zeldin
Besetzung: Ben Becker
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