Es ist ein trauriger Anlass, der Nina (Friederike Becht) wieder in ihre alte Heimat führt. Ihre Großmutter, die immer eine wichtige Bezugsperson für sie war, ist gestorben. Viel Zeit hat sie nicht, die Schauspielerin ist ständig auf Achse und würde am liebsten gleich wieder fahren. Aber das Glück ist ihr nicht hold, die eigentlich angesetzte Beerdigung muss verschoben werden. Und was nun? Widerwillig beschließt sie, ihren Aufenthalt noch einmal zu verlängern. Doch das bedeutet auch, sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen zu müssen. Und mit ihrer Familie: Mutter Konnie (Marion Ottschick) und Vater Harald (Peer Martiny). Einfach ist das nicht, ist das Verhältnis doch von einer Reihe von Konflikten geprägt, die durch die erzwungene Nähe wieder hochkommen …
Rückkehr zur Familie
Das Szenario ist gleichermaßen bekannt und beliebt in Filmen: Die Hauptfigur kehrt, aus welchen Gründen auch immer, in die Heimat zurück und muss sich dort mit sich selbst und der Vergangenheit beschäftigen. Auf der Berlinale 2023 liefern gleich zwei solcher Filme. Während beim US-Indie The Adults noch einmal drei Geschwister zusammenkommen, die der Tod und das Leben entfremdet haben, wird beim deutschen Beitrag Geranien einer der Anlässe schlechthin verwendet: eine Beerdigung. Im Alltag mag man sich davon drücken, noch mal nach Hause zu fahren, irgendetwas Anderes und Besseres ist ja immer. Wenn jedoch ein Mensch stirbt, der einem nahe steht, schaffen es die wenigsten, sich der moralischen, vielleicht auch emotionalen Verpflichtung zu entziehen, die eine Beerdigung mit sich bringt.
Dass es sich hier um eine Verpflichtung handelt, wird deutlich. Vor allem die Mutter pocht darauf, dass das alles ganz korrekt sein muss. So wäre die Beerdigung durchaus am anvisierten Tag möglich gewesen. Nur war der Grabstein noch nicht fertig. Und man kann doch nicht in dem Zustand jemanden begraben! Geranien nimmt uns mit in eine Welt der Rituale und der gelebten Kleinbürgerlichkeit. Ein bisschen wie ein Schrebergarten, nur als Alltag. Daraus hätte man leicht eine Komödie machen können, die das Ganze aufs Korn nimmt. Doch Regisseurin und Drehbuchautorin Tanja Egen verzichtet darauf. So gibt es zwar schon einen leisen Humor, wenn wir in einen Familienkosmos eintauchen. Geranien gibt diesen aber nicht der Lächerlichkeit preis, sondern begegnet den Figuren mit Mitgefühl und Verständnis.
Zwischen Aufarbeitung und Akzeptanz
Die Geschichten sind auch komplexer, als es anfangs erscheinen mag. Anstatt gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, nähert sich der Film den Figuren und den jeweiligen Verhältnissen zueinander nach und nach an. Interessant ist beispielsweise, dass nicht nur Nina und Konnie ihre Schwierigkeiten miteinander haben. Auch Konnie und deren Mutter, um deren Beerdigung sich alles dreht, konnten nicht so wirklich miteinander. Geranien wird auf diese Weise zu einem generationenübergreifenden Film, bei dem vieles angesprochen wird. Wobei nicht alles davon auch tatsächlich in Dialogen stattfindet. Da die Familie es in vielerlei Hinsicht nicht so wirklich schafft miteinander zu kommunizieren – wie praktisch immer in solchen Filmen –, schleppen sie die ganze Zeit Ballast mit sich herum, der erst einmal als Ballast identifiziert werden muss.
Auch das ist recht gewöhnlich, solche Filme handeln meistens von einem Erkenntnisprozess, bei dem es dann auch kathartisch werden darf, meist nachdem sich etwas entladen hat. Geranien verzichtet jedoch auf das große Drama oder Situationen, in denen die Konflikte zugespitzt werden. Das geschieht hier lediglich bei der Begegnung mit einer Freundin Ninas, die plötzlich eskaliert. Wobei auch dort Teile von dem angesprochen werden, was die Familie umtreibt, wenn es um Entfremdung geht, um unterschiedliche Lebenswege und die Frage, wer man selbst eigentlich ist. Das äußert sich in vielen Punkten, die unterwegs mal anstehen, darunter auch die Frage, ob die Schauspielerin das Angebot annehmen sollte, beim Traumschiff mitzuspielen. Eigentlich kommt das für sie nicht in Frage, ihre Pläne sahen anders aus. Aber wie das so ist mit Lebensplänen, sie gehen nicht immer auf. Manchmal besteht die Kunst, heil durch alles zu kommen, darin, vieles so anzunehmen, wie es kommt – seien es Familienmitglieder oder TV-Schmonzetten. Was den Film auch ohne Kitsch versöhnlich und irgendwie tröstlich macht.
OT: „Geranien“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Tanja Egen
Drehbuch: Tanja Egen, Esther Preussler
Musik: Paul Eisenach, Jonas Hofer
Kamera: Claudia Schröder
Besetzung: Friederike Becht, Marion Ottschick, Peer Martiny, Jasmina Musić, Stefanie Meier, Aleksandra Ćorović, Adi Hrustemović, Oliver Möller, Bruno Kirchhof
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)