Neben dem Schlachtfeld gibt es noch eine weitere Front innerhalb eines Krieges, die gerade im 21. Jahrhundert immer mehr an Wichtigkeit dazugewinnt. Der heutige Kriegsbegriff ist eng verbunden mit einem Ringen um die Wahrheit, oder vielmehr dem Narrativ einer der Kriegsparteien, welches als die einzig wahre Version der Ereignisse erachtet wird. Naturgemäß entfernt sich diese Version immer wieder von den Tatsachen, was nicht nur die Geschichtsschreibung und die Berichterstattung erschwert, sondern insbesondere bei der Ermittlung und Ahnung von Kriegsverbrechen eine große Rolle spielt.
Gerade in jüngerer Zeitgeschichte können wir beobachten, wie eine Ereignis eine völlig neue Deutung erfährt und Lügen nicht mehr länger als solche enttarnt werden. Linientreue Medien oder Journalisten sind stets dabei, wenn es darum geht, die offizielle Version zu verbreiten und alle Gegenstimmen ins Abseits zu befördern, sofern die Staatsorgane hierfür nicht schon das passende Mittle gefunden haben. Im Jahre 2023 ist es natürlich besonders der Krieg in der Ukraine, bei dem ein solches Szenario vorkommt und bei dem Politiker, vor allem auf der Seite Russlands, ihre Interpretation der Ereignisse als die Wahrheit ansehen wollen und dies mit entsprechenden Repressalien betonen.
Umso mehr ist es wichtig zu dokumentieren, zu berichten und festzuhalten, was passiert. Zu den vielen Filmemachern, die es als ihre Aufgabe ansehen, diese Wahrheit und den Kampf um diese zu zeigen, zählt der Ukrainer Roman Liubyi, der bereits mit seinem letzten Film War Note über die Annexion der Krim 2014 erzählte. Mit seinem neuen Projekt Iron Butterflies, der bereits auf dem Sundance Filmfestival lief und aktuell im Rahmen der Berlinale zu sehen ist, kehrt er in dieses Jahr zurück, genauer gesagt zum 17. Juli 2014, dem Tag des Abschusses des Linienfluges MH17 durch eine russische Luftabwehrrakete. Dabei greifen Liubyi und sein Team auf eine ganze Bandbreite an Material zurück, welches neben Aufnahmen rund um den Prozess sowie das Urteil auch nachgestellte Szenen beinhaltet oder russische Lehrfilme, in denen für angehende Soldaten die Funktionsweise der Luftabwehrrakete erklärt wird. In Interviews zu seiner Dokumentation erläutert Liubyi, dass es seine Intention war mit Iron Butterflies und damit der Erinnerung an dieses Ereignis zu betonen, dass der Krieg in der Ukraine bereits 2014 begann und er in dem Abschuss von MH17 einen Grund für die russische Invasion sieht.
Schmetterlinge des Todes
Einen Teil jener Rakete, die das Flugzeug traf, machten eiserne Kugeln aus, die bei Detonation das Ziel – in diesem Falle vor allem das Cockpit – penetrieren. Wegen der Heftigkeit der Explosion sowie des Aufpralls sehen die Kugeln aus wie „eiserne Schmetterlinge“, was Liubyi zum Titel seiner Dokumentation inspirierte, der damit eine Mischung aus Tod und Aggression darstellt sowie einen Bezug zur Luft und damit etwas Positivem hat. Die zentrale Metapher der Dokumentation steht jedoch zugleich sinnbildlich für den Zugang, den der Filmemacher zu seinem Thema wählt, welcher sich durch eine Mischung authentischen Materials und Abstraktion bedient, was beispielsweise bei den Szenen mit russischen Soldaten der Fall ist. Die Choreografien in diesen Szenen wurden von Bridget Fiske inszeniert, sind sehr kunstvoll ausgefallen, bilden jedoch nur in den ersten Minuten einen Kontrast. Je mehr Iron Butterflies die Methoden der Gehirnwäsche, der Manipulation und der schlichten Lüge in den russischen Staatsmedien zeigt, desto mehr wird dieser Gegensatz aufgehoben und betont das Bizarre dieses Narrativs, dem scheinbar keine Unterstellung zu schade ist, wenn sie nur der eigenen Ideologie dient.
Dass es Liubyi nicht nur um eine Abbildung der Ereignisse geht, wird recht schnell klar. Dem Regisseur scheint es um einen Prozess zu gehen, den man im aktuellen Konflikt abermals bemerkt. Es sind neue Fronten, die Iron Butterflies beschreibt, in einem Krieg, der bereits viele Opfer gefordert hat und dessen Hauptakteur eine Tragödie instrumentalisieren will, wenn es dem Zeil dient.
OT: „Iron Butterflies“
Land: Ukraine, Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Roman Liubyi
Drehbuch: Roman Liubyi, Mila Zhlutenko
Musik: Anton Baibakov, Oleksandra Morozova
Kamera: Andrii Kotliar
Sundance 2023
Berlinale 2023
DOK.fest München 2023
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