Eigentlich war der Regisseur Ismaël Vuillard (Mathieu Amalric) in sein Haus am Meer gefahren, um dort ungestört arbeiten zu können. Doch dann steht auf einmal seine Frau Carlotta Bloom (Marion Cotillard) vor ihm. 20 Jahre ist es her, dass sie spurlos verschwunden ist. Vor einigen Jahren war sie auch offiziell für tot erklärt worden. Während Ismaël nicht weiß, wie er mit der Situation umgehen soll, hatte er doch längst mit ihr abgeschlossen, fordert sie vehement ihr altes Leben zurück. Das wiederum will Sylvia (Charlotte Gainsbourg) nicht einfach so akzeptieren, die aktuelle Partnerin des Filmemachers, weiß sie doch plötzlich nicht mehr, ob es in seinem Leben überhaupt noch Platz für sie gibt. Und dann ist da noch Carlottas Vater Henri (László Szabó), ebenfalls ein Filmemacher, der seit dem Verschwunden seiner Tochter ein Wrack ist …
Ansammlung falscher Fährten
Arnaud Desplechin ist nicht unbedingt ein Regisseur, der für bekömmliche Massenware bekannt ist. Ob sein fragmentarisches Drama Im Schatten von Roubaix ist, das mit einem Krimisetting auf eine falsche Fährte führt, oder auch seine sexuell aufgeladenen Diskussionen in Tromperie: Einfach ist es nicht gerade, was der Franzose da seinem Publikum mitgibt. Doch auch diese Beispiele sind vergleichsweise harmlos, wenn man sie Ismaels Geister gegenüberstellt, an dem sich schon 2017 bei der Premiere in Cannes als Eröffnungsfilm die Geister schieden. Desplechin legt hier so viele Spuren, welche die Zuschauer und Zuschauerinnen in bestimmte Richtungen locken. Doch jedes Mal, wenn man meint, man wüsste endlich, worauf das Ganze hinauslaufen soll, stellt man fest, dass es doch wieder anders ist.
Das ist jetzt per se erst einmal nicht verkehrt. Es gibt nicht eben wenige Filme oder auch Serien, deren Reiz genau darin liegt, dass das Publikum an der Nase herumgeführt wird und vieles von dem, was es für gegeben hält, als spätere Täuschung erkennen muss. Bei Ismaels Geister kommt noch hinzu, dass die Geschichte anfangs den Eindruck eines regulären Mysterydramas erweckt. Wenn ein Mensch spurlos verschwindet und nach 20 Jahren wieder auftaucht, ergeben sich automatisch jede Menge Fragen. Carlotta scheint diese aber gar nicht wirklich beantworten zu wollen. Zumindest sind ihre Antworten so wirr, dass man automatisch misstrauisch wird. Was hat sie wirklich in all der Zeit getan? Weshalb ist sie jetzt wieder zurück? Es ist ja nicht einmal auszuschließen, dass die Frau überhaupt nicht Carlotta ist, sondern nur so tut als ob.
Zwischen Faszination und Langeweile
Doch wer sich auf diese Gedankenspiele einlässt, der hat automatisch verloren. Desplechin ist überhaupt nicht an Antworten interessiert. Ihn interessieren ja nicht einmal die Geheimnisse. Stattdessen kombiniert er diesen Strang mit einer Reihe anderer Themen und Geschichten. Beispielsweise gibt es einen Film im Film, bei denen dann mit Louis Garrel und Alba Rohrwacher noch zwei weitere Größen des europäischen Kinos zum Zug kommen. Mit der Geschichte um Carlotta hat das Ganze nichts zu tun, wobei Ismaels Geister immer mal wieder die Grenzen verschwimmen lässt zwischen dem, was aktuell geschieht, bewussten Fantasien und unbewussten Visionen. Vergangenheit und Gegenwart werden eins, Fiktion und Fakt sind bloße Begriffe, irgendwie hängt dann doch alles miteinander zusammen. Nur nicht auf eine Weise, die sich logisch erklären lässt.
Das kann dann faszinierend sein, wenn man sich in mehrfacher Hinsicht auf eine filmische Reise begibt, die in vielerlei Hinsicht auch eine Liebeserklärung an das Kino an sich ist. Oder auch frustrierend, anstrengend und irgendwie langweilig. Als wäre es nicht genug, dass es keine Antworten gibt. Es gibt nicht einmal tatsächlich interessante Fragen, bei denen es sich lohnen würde, über diese nachzudenken. Hinzu kommen die Figuren, die nur wenig Lust darauf machen, wirklich zwei Stunden mit ihnen zu verbringen. Für eine Komödie – als solche wird Ismaels Geister manchmal bezeichnet – sind sie nicht amüsant genug, für ein Drama haben sie zu wenig Tiefgang. Obwohl hier ein unglaublich talentiertes Ensemble am Werkeln ist, am Ende können sie nicht verhindern, dass sich der Film trotz der zahlreichen Pfade und Elemente wie Zeitverschwendung anfühlt.
OT: „Les fantômes d’Ismaël“
Land: Frankreich
Jahr: 2017
Regie: Arnaud Desplechin
Drehbuch: Arnaud Desplechin, Julie Peyr, Léa Mysius
Musik: Grégoire Hetzel, Mike Kourtzer
Kamera: Irina Lubtchansky
Besetzung: Mathieu Amalric, Marion Cotillard, Charlotte Gainsbourg, Louis Garrel, Alba Rohrwacher, László Szabó, Hippolyte Giradot
Cannes 2017
Filmfest München 2017
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