Als Teenager ist es nicht unüblich, dass man sich langsam von den Eltern abnabelt und ein eigenes Leben sucht. Nicht so in Bulldog. Der Film erzählt die Geschichte der 36-jährigen Toni (Lana Cooper) und ihres 21-jährigen Sohns Bruno (Julius Nitschkoff), die zusammen auf einer Ferienanlage in Spanien arbeiten und ein sehr enges Verhältnis haben. Dieses wird jedoch auf eine große Probe gestellt, als Toni eine neue Beziehung beginnt und ihre Verpflichtungen bei der Arbeit vernachlässigt. Zum Kinostart des Dramas haben wir Hauptdarsteller Julius Nitschkoff gesprochen. Im Interview erzählt er uns von der Arbeit an dem Film, schwierigen Abnabelungsprozessen und die Bedeutung von Erfahrungen.
Was hat dich an Bulldog gereizt? Warum wolltest du den Film drehen?
André Szardenings kam auf mich zu und hat mir dieses Buch geschickt. Das war ein Studentenfilm, weshalb von Anfang an klar war, dass es nicht um Geld geht, sondern Inhalte. Ich habe beim Lesen schon schnell gemerkt, dass mir André das Buch auf den Leib geschrieben hat, und habe sehr viel Potenzial für mich als Schauspieler gesehen. Es ist schon so, dass du auch in Deutschland schnell in eine Schublade gesteckt wirst. Das merkst du an den Castings, auf die du gehen darfst oder zu denen du eingeladen wirst. André hat mich aber in etwas gesehen, das ich so noch nie gespielt hatte und so noch nie zeigen durfte. Es ist auch so, dass du in Filmen oft gar nicht so viele Facetten von einer Figur zeigst, weil es dann doch mehr um die Handlung geht. Das ist bei „Bulldog“ anders, weshalb die Rolle ein großes Geschenk für mich war. Ich habe darin eine große Chance gesehen und mich auf das Projekt eingelassen, auch wenn mir klar war, dass das ein ziemlich intensiver Ritt wird.
Dann beschreibe Bruno doch mal. Was ist er für ein Mensch?
Er bringt auf jeden Fall eine Menge Körperlichkeit mit, die Eindruck hinterlässt, wenn man ihn so sieht. Er ist aber auch ein wahnsinnig warmherziger und zärtlicher Mensch, der wie so viele in seinem Alter noch auf der Suche ist. Er hat sich viel von dem Kind in sich bewahrt, gerade auch wegen seiner noch sehr jung gebliebenen Mutter.
Die Beziehung der Mutter wird sehr ambivalent beschrieben. Am Anfang wirkt das alles ganz toll. Später sieht man die Schattenseiten. Würdest du die Beziehung als gesund bezeichnen?
Definitiv nicht. Wobei die Frage natürlich auch immer ist: Was heißt gesund? Man kann ja nicht sagen, dass Toni eine schlechte Mutter ist. Sie liebt ihren Sohn und würde alles für ihn tun. Aber wir sind alle das Ergebnis unserer Umstände. Warum Toni ist, wie sie ist, wird dabei nie wirklich erklärt. Aber das gefällt mir auch an dem Film: Bulldog ist kein Erklärbär, der dem Publikum alles vorgeben will. Da muss nicht alles auserzählt werden. Man wird einfach in die Situation hineingeworfen, was für mich viel authentischer ist. Manchmal sind die Menschen einfach, wie sie sind, und wir müssen das nicht alles erklären. Toni ist ein sehr liebevoller Mensch und ist ihrem Sohn sehr nah. Manchmal auch zu nah, was sicher auch an der Situation liegt. Sie leben auf dieser Insel, haben diese Sprachbarriere. Da wird die Mutter zur besten Freundin. Eigentlich ist es normal, wenn du als Teenager ein bisschen gegen die Eltern rebellierst. Bruno hatte das nie.
Die Rolle der Mutter wird von Lana Cooper gespielt. Wie schwierig war es, diese Intimität, die eure beiden Figuren haben, selbst aufzubauen?
Gar nicht schwierig. Lana ist eine klasse Schauspielerin und ich liebe sie als Menschen. André hat uns gar nicht gecastet. Stattdessen haben wir uns einmal auf ein Bierchen getroffen und darüber gesprochen, was wir über die Rollen denken und fühlen. Da war relativ schnell klar, dass wir das zusammen machen wollen. Es ist natürlich wahnsinnig schön, wenn du mit jemandem zusammenspielst, der mehr ist als nur ein Kollege. Wo es auch privat harmoniert. Wenn du auf einer gemeinsamen Wellenlänge bist, kannst du auch viel besser eine gemeinsame Vision vor der Kamera entwickeln.
Im Film kommt es dann doch zu einem langsamen Abnabelungsprozess. Ganz allgemein: Wie schafft man die Balance, sich ein eigenes Leben zu schaffen und dabei trotzdem Teil der Familie zu bleiben?
Das kann man so pauschal glaube ich gar nicht beantworten. Das ist in jedem Fall anders. Der erste Schritt ist, für sich herauszufinden, dass man eine eigenständige Persönlichkeit ist. Toni und Bruno sind auch durch diese fehlende Rebellion am Anfang des Films eine Einheit. Bruno muss erst erkennen, dass er ein eigenes Leben und eigene Interessen hat. Eigene Gefühle. Das ist schon eine Art verzögerte Pubertät, die er da durchmacht. Er findet den Raum, auch einmal eigene Fragen zu stellen.
Bruno muss dabei immer wieder die Rolle des Erwachsenen übernehmen, weil seine Mutter das nicht kann oder nicht will. Denkst du denn, dass man ein Erwachsener werden kann, ohne dass einem gezeigt wird, wie das geht?
Es gehört natürlich ein gewisser Verstand dazu und eine gewisse Neugierde. Man muss sich schon mit sich selbst auseinandersetzen, sonst lebt man nur das nach, was einem vorgelebt wird. Ich glaub aber auch, dass es im Leben Ereignisse geben kann, die zu einem Weckruf für dich werden. Das kann ein Schicksalsschlag sein, muss es aber nicht unbedingt. Einfach etwas, das dich die Welt noch einmal mit anderen Augen sehen lässt. Solche erzwungenen Perspektivwechsel können dir dabei helfen, über dich hinauszuwachsen und dir auch einiger Sachen bewusst zu werden.
Woran merkst du denn für dich selbst, dass du erwachsen geworden bist?
Das ist interessant, weil es eine Frage ist, die ich mir in der letzten Zeit oft selbst gestellt habe. Ich bin jetzt 27 und schon auch ein bisschen durch die Welt gekommen. Erwachsenwerden ist etwas, das du nicht abschütteln kannst. Mit jeder Erfahrung, die du sammelst, wirst du erwachsener. Du hast diesen Pool an Erfahrungen, der vielleicht auch dazu führt, dass du ruhiger wirst als Erwachsener. Du musst nicht mehr alles ausprobieren oder gegen etwas rebellieren, weil du das alles schon getan hast. Ich versuche zwar trotz allem, ein bisschen das Kind in mir zu bewahren, weil mir das auch die Kraft gibt, Sachen auszuprobieren. Aber irgendwann kommt schon der Punkt, an dem du anfängst Verantwortung zu übernehmen – für dich selbst und für andere.
Als wir uns das letzte Mal über Toubab unterhalten haben, hast du mir stolz erzählt, dass du in Gestern waren wir noch Kinder jetzt eine richtige Erwachsenenrolle hast und einen Polizisten spielen durftest. Wonach suchst du allgemein bei deinen Rollen?
Ich finde es spannend, wenn ich einen Menschen spiele, bei dem eben so ein Bruch stattfindet. Ein Perspektivwechsel. Was macht das mit mir? Wie gehe ich damit um? Das ist das, was mich interessiert. Toubab ist ein schönes Beispiel, wenn meine Figur auf einmal eine ganz andere Erfahrung macht. Das finde ich sehr spannend und ist auch eine Bereicherung, weil ich diese ganzen Perspektivwechsel in mein eigenes Leben mitnehme. Ich sammle auf diese Weise lauter Erfahrungen, die ich sonst nie gemacht hätte. Und das bringt mich auch als Schauspieler wieder weiter: Je mehr Erfahrungen ich sammle, umso mehr kann ich in zukünftigen Rollen geben.
Das heißt, das Schauspielen hilft dir, selbst erwachsen zu werden?
Ja, auf jeden Fall! Klar habe ich in meinem Leben Scheiße gebaut, wie jeder andere auch. Aber ich habe noch mehr Scheiße vor der Kamera gebaut. Und das waren Dinge, die mein richtiges Leben komplett auf den Kopf gestellt hätten. Da konnte ich lauter Sachen ausprobieren, die ich im realen Leben nicht mehr machen muss – zum Beispiel ein Auto zu Schrott fahren. Außerdem beeinflusst dein Denken auch dein Sein. Wenn ich beispielsweise einen Tag lang sehr traurige Szenen spiele, bin ich am Abend komplett ausgebrannt, so als wäre das alles real gewesen. Denn diese Trauer, die du verkörperst, die ist zu einem gewissen Grad ja echt, weil du dich hineinversetzen musst.
Toubab und Bulldog spielen beide in einem queeren Umfeld. Ist das ein Thema, das du gezielt gesucht hast, oder war das jetzt reiner Zufall?
Ich bin ein absoluter Freund und Mitstreiter der queeren Community. Wir stehen als Gesellschaft an einem interessanten Punkt: Noch nie hatten wir so viel Selbstbestimmung, egal ob sexuell oder in einer anderen Form. Und auch Selbstverwirklichung. Wer wollen wir sein? Was sind meine Interessen? Die existenziellen Sorgen, die wir als Menschen früher hatten, haben wir heute kaum noch. Das schafft den Platz für Neues und sich über diese Punkte Gedanken zu machen. Diversität hat unsere Welt so viel reicher gemacht, auch auf der mikrobiologischen Basis. Genetik funktioniert durch Diversität, nicht durch Schwarzweiß. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir alle dadurch profitieren werden, wenn wir die Rechte auf sexuelle Selbstbestimmung durchsetzen. Das hat gar nichts mit meiner eigenen sexuellen Orientierung zu tun. Das ist nicht meine Sexualität. Aber da geht es um das Recht, man selbst zu sein. Und das ist etwas, das uns alle angeht. Es gibt nichts Schlimmeres, als nicht man selbst sein zu dürfen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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