In seinem populärwissenschaftlichen Werk The World is Flat bricht Autor Thomas Friedman die Geschichte der Globalisierung auf insgesamt drei Phasen herunter. Angefangen bei der Entdeckung Amerikas 1492 werden die Kulturen und Nationen der Welt miteinander verbunden, politisch und ökonomisch, und schließlich aufgrund der neuen Technologien des 20 und 21. Jahrhunderts zu einem „globalen Dorf“ oder einer flachen Welt, wovon Friedman den Titel seines Sachbuchs ableitet. In dieser flachen Welt sind Probleme konsequent auf verschiedenen Ebenen zu sehen, vom Individuum ausgehend bis hin zu den Managern und Politikern, die unser Leben leiten, und den Einzelnen nicht nur mehr Entscheidungsfreiheit gibt, sondern zugleich wirtschaftliche und politische Institutionen dazu bewegt, den Bürgern eben diese Macht wieder zu nehmen.
In Mexiko gilt deswegen ein Mann wie Emiliano Zapata als eine Art ideologischer Führer, der sich gegen diese Bevormundung wehrte und es gar schaffte, die Mächtigen zu einem Handeln zu bewegen, in diesem Falle zu einer Reform des Agrarrechts. Als diese Landreformen in den 1980ern und 1990ern wieder aufgehoben wurden, formte sich schnell Widerstand und die Zapatisten erhielten immer mehr Zulauf sowie Aufmerksamkeit, auch außerhalb Mexikos. Nicht nur seitens einer Bewegung wie den Zapatisten bemerkte man seitens der Regierung Widerstand, auch verschiedene Medienvertreter begannen sich kritisch zur politischen Lage, besonders aber der immer weiter auseinandergehenden Kluft zwischen Arm und Reich, zu äußern.
Diese Arbeit ist nicht ungefährlich, wie man an den zahlreichen verschleppten Journalisten und Reportern in Mexiko sieht, doch Menschen wie Diego Enrique Osorno machen trotz dieser widrigen Umstände ihre Arbeit. Nicht nur durch seine journalistischen Arbeiten zieht sich dieser kritische Ton mit seiner Heimat sowie Prozessen wie Globalisierung und Digitalisierung, auch seine filmischen Arbeiten sind davon durchdrungen. Vor zwei Jahren machten Osorno und ein kleines Team sich auf, eine Gruppe Zapatisten zu begleiten, die mit dem Schiff übersetzen wollen nach Portugal, als eine Form der Erinnerung an die Kolonisierung ihres Landes durch europäische Mächte. In seiner Dokumentation La montaña, die derzeit auf dem Internationalen Filmfestival Rotterdam zu sehen ist, wird man Zeuge dieser Schifffahrt, begleitet von Gesprächen der Zapatisten mit der Crew über ihre Sorgen und Ängste in einer Welt, die noch dabei war eine globale Pandemie zu überstehen.
Keine andere Welt, nur neue Denkweisen
Als Leitsatz für die Dokumentation fungiert die Idee, dass es keine andere Welt gibt, auf der wir leben können, aber durchaus alternative Wege, über diese nachzudenken und letztlich in ihr zu existieren. Dieses Konzept zeigt sich in den zwei Ebenen von La montaña, der zum einen die Geschichte der Zapatisten als Bewegung nachverfolgt, und zum anderen sich auf die Begegnungen an Bord konzentriert, wenn die Mexikaner mit Europäern über alltägliche Probleme, die Abläufe an Bord des Segelschiffs und schließlich über die großen Fragen der Zeit diskutieren. Eine fröhlicher Abend, bei dem gelacht und getanzt wird, schließt ab mit einer Unterhaltung über Aspekte wie die Verteilung von Wohlstand, über Fortschritt sowie das Nachdenken über die Menschheit an sich und ob diese sich eigentlich mit der Technik weiterentwickelt habe. Abgesehen von den Rückblenden zu der Geschichte der Zapatisten, enthält sich Osorno eines erklärenden Kommentars zu den einzelnen Szenen in La montaña und blickt – die Aussicht der Frauen und Männer an Bord imitierend – gedankenverloren hinaus auf den Ozean, was dem Zuschauer die Gelegenheit gibt, über das Gesagte und Gesehene ebenfalls nachzudenken.
Wie es gegen Ende der Dokumentation heißt, wird in La montaña keine Ideologie verfolgt. Niemand soll, auch wenn die Anhänger der Bewegung durchaus sympathisch sind, zu einem Zapatisten werden, was den Film von der Polemik und Programmatik manch anderen Werkes mit ähnlicher Thematik abhebt. Vielmehr sieht sich Osorno als Gedankengeber und streut konsequent immer wieder neue Bilder und Aussagen ein, welche manchen Zuschauer vielleicht banal erscheinen mögen, aber in vielen Fällen auch lange nachhallen. In einer Zeit, in welcher es gerade in den sozialen Medien, doch auch darüber hinaus, zu einem Verhärten von Positionen kommt sowie einem damit verbundenen Tonfall, sucht La montaña einen anderen Weg, der, angesichts der globalen Probleme, dringend notwendig geworden ist.
OT: „La montaña“
Land: Mexiko
Jahr: 2023
Regie: Diego Enrique Osorno
Drehbuch: Diego Enrique Osorno
Musik: Zulu Gonzalez, Esteban Aldrete
Kamera: Maria Secco
Wer mehr über den Film erfahren möchte: Wir hatten die Gelegenheit, mit Regisseur Diego Enrique Osorno und Produzentin Vivi Gonzalez ein Interview über La montaña zu führen.
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