Das weiß doch jedes Kind: Eis macht glücklich. Aber die zehnjährige Lucy (im Wechsel gespielt von den eineiigen Zwillingen Valerie und Violetta Arnemann), treibt die Binsenweisheit ein Stück weiter. Für jeden Besucher der Eisdiele „Felicità“ kennt sie die passende Eissorte, um ihr oder ihm über die kleinen Betrübnisse des Alltags hinwegzuhelfen. Für den Wachmann der örtlichen Bank müssen es unbedingt drei Kugeln Pistazie sein – schon strahlt er wieder. Ein anderer hingegen braucht „Waldmeister mit schwarzer Johannisbeere“ und für den nächsten muss man gar eine ganz neue Sorte erfinden. Darum sind Lucy und ihre italienisch-deutschen Eltern Pietro (Kostja Ullman) und Nadine (Franziska Wulf) nicht verlegen. Mit südländischem Temperament und überschäumender Lebensfreude zaubern sie beinahe täglich neue Kreationen aus ihrer handwerklich-traditionellen Tüftelwerkstatt. Lucys kindliches Gemüt liefert dafür sogar eine nachdenkenswerte Theorie: Wenn der Eisgenuss die Menschen ein wenig besser macht, bekommen die Bösen nicht die Überhand und die Welt kippt nicht aus dem Gleichgewicht.
Größte denkbare Katastrophe
So bunt wie die verlockenden Kugeln sind die farbenfrohen Kulissen, in denen die herrlich überdrehte Komödie Fahrt aufnimmt. Der unterhaltsame Ton ändert sich selbst dann nicht, als die größte aller denkbaren Katastrophen eintritt. Durch ein Missgeschick fällt ein Schraubenzieher in die Eismaschine, es kracht und zischt und knallt bis hin zum Totalschaden. 30.000 Euro würde der Ersatz Kosten, die Bank winkt ab und Vater Pietro verkündet tränenreich das Aus für die Gelateria. Aber da hat er nicht mit der Wandlungsfähigkeit seiner liebenswürdigen Tochter gerechnet, der selbst die gemütlichen Dorfpolizisten bescheinigen, sie sei zu gut für diese Welt. Nichts da, Lucy will jetzt böse werden und die Bank überfallen. Koste es, was es wolle. Selbst dem superbösen Möchtegern-Rapper Tristan (Brooklyn Liebig) fällt da die Kinnlade herunter, und Lucys beste Freundin Rima (Lisa Marie Trense) kann nur noch sorgenvoll zuschauen. Aber zu „Lucyfer“ zu werden ist gar nicht so leicht, wenn man „Hände hoch“ als zögerliche Bitte vorbringt und sich sogar noch bedankt, wenn dem Folge geleistet wird.
Die charmante Grundidee von Regisseur Till Endemann und seinem Ko-Autor Andreas Cordes trägt die märchenhafte Komödie quasi von allein. Es ist einfach ulkig, dem braven Mädchen beim permanenten Scheitern in ihrem Trainingsprogramm zur Kriminellen zuzusehen. Mobben, Klauen, Erpressen – nichts klappt. Der besondere Pfiff von Lucy ist jetzt Gangster liegt jedoch darin, dass die Filmemacher die kindgerechte Unterhaltung mit existenziellen Fragen verweben, die nicht nur die Weltreligionen und die großen Philosophen umtreiben, sondern auch im kindlichen Alltag eine Rolle spielen. Warum sind im Menschen sowohl das Böse als auch der Impuls zum Guten angelegt? Lohnt es sich überhaupt, gut zu sein? Und wie sieht die richtige Mischung zwischen gesunder Selbstbehauptung und moralisch reinem Gewissen aus?
Nah an der Erfahrungswelt
Der Familienfilm lässt diese Themen mit einfließen, ohne an Schwung zu verlieren und ohne die eigentliche Zielgruppe zu überfordern. Einmal mehr zeigen sich hier die Vorteile von originären, von den Autoren selbst entwickelten Stoffen, die in Deutschland trotz der lobenswerten Initiative „Der besondere Kinderfilm“ noch viel zu selten sind. Statt sich an vorgegebene Bestseller oder regelrechte Marken halten zu müssen, knüpfen solche Stoffe an die kindliche Erfahrungswelt an, ohne sich allein auf Abenteuer und lustige Figuren zu verlassen.
OT: „Lucy ist jetzt Gangster“
Land: Deutschland, Niederlande
Jahr: 2022
Regie: Till Endemann
Drehbuch: Andreas Cordes, Till Endemann
Musik: Rutger Reinders
Kamera: Lars R. Liebold
Darsteller: Valerie Arnemann, Violetta Arnemann, Lisa Marie Trense, Brooklyn Liebig, Sina Bianca Hentschel, Franziska Wulf, Kostja Ullmann, Esther Schweins
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Filmfest Schlingel 2022
Max Ophüls Preis 2023
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