June (Storm Reid) freut sich auf ein paar sturmfreie Tage, als ihre Mutter (Nia Long) mit ihrem neuen Freund Kevin (Ken Leung) zu einem Urlaub in Kolumbien aufbricht. Als sie die beiden jedoch bei deren Rückkehr aus dem Urlaub vom Flughafen in Los Angeles abholen will, fehlt von ihrer Mutter und Kevin jede Spur. June versucht, ihre Mutter zu erreichen und hinterlässt ihr mehrere Nachrichten. Als diese ohne jegliche Reaktion bleiben, wendet sich June an die Behörden, die ihr helfen sollen, ihre anscheinend in Kolumbien verschwundene Mutter aufzuspüren. Die Polizei kann ihr aber nur begrenzt weiterhelfen, so dass June auf kreative Weise beginnt, alle ihr zur Verfügung stehenden digitalen Möglichkeiten zu nutzen, um aus Tausenden Kilometern Entfernung Hinweise auf den Verbleib ihrer Mutter zu erlangen. Durch die bei ihren Recherchen ans Tageslicht tretenden Informationen lernt sie sowohl ihre Mutter als auch ihren verstorbenen Vater von einer neuen Seite kennen und gelangt mehrmals an äußerst überraschende Informationen.
Ein Bildschirm als Erzählmedium
Vor einigen Jahren erzählte Searching eine ganz ähnliche Geschichte, in der ein Vater sich auf die Suche nach seiner verschwundenen Tochter machte. Mit Missing erscheint nun ein spiritueller Nachfolger dieses Films, der nicht nur inhaltlich, sondern vor allem in der Form ganz ähnlich aufgebaut ist. Der Film wird nämlich komplett über Bildschirme und digitale Benutzeroberflächen erzählt. Wir sehen nur das, was auf den Screens von Junes Laptop, Smartphone oder Smartwatch erscheint. Zu Beginn des Films schaut sich June alte Familienvideos an, die sie als Kind mit ihrem Vater zeigen. Sie selbst (oder weitere Personen) kommen ins Bild, indem sie von der Laptopkamera gefilmt werden und zum Beispiel in Videotelefonaten auftauchen. Darüber hinaus wird per Text gechattet, es werden Mails geschrieben, immer wieder neue Apps geöffnet und natürlich viel gegoogelt.
Dass ein solcher Aufbau funktionieren kann, haben Searching oder die beiden Unknown User-Filme bereits bewiesen. Als Zuschauer muss man dabei nicht nur eine gewisse Medienkompetenz mitbringen und die Funktionen aller von June benutzten Programme kennen (was vor allem für ein jüngeres Publikum selbstverständlich sein dürfte), sondern auch durchgehend konzentriert bleiben und viel lesen (für die deutsche Fassung werden übrigens die meisten Texte auf Junes Bildschirmen direkt übersetzt, man muss also keine Untertitel lesen). Denn June springt ständig von einer App zu anderen. Die Handlung wird zu einem Großteil und ohne erklärende Kommentare über die Texteingaben erzählt, die sie auf ihrer Tastatur macht.
Twists am laufenden Band
Formal also fordernd und interessant, hat Missing auch inhaltlich einiges zu bieten. Der Film ist durchgehend spannend und hangelt sich temporeich von einem Informationsfetzen zum nächsten. Clever werden immer wieder bewusst Hinweise auf Dinge gestreut, die später noch wichtig werden und die es erleichtern, der Handlung zu folgen. Nach und nach ergeben die von June gesammelten Informationen ein großes Bild, wobei dieses Bild mehrmals wieder über den Haufen geworfen wird. Beginnt die Geschichte noch relativ konventionell und realistisch als die einer scheinbar von ihrem neuen Freund in Südamerika verschleppten Frau, so gibt es im weiteren Verlauf des Films so viele unerwartete Wendungen, dass sie irgendwann schon erwartbar werden. Was hier an Plottwists in weniger als zwei Stunden gepackt wird, reicht manchen Soap Operas für mindestens eine halbe Staffel.
Es ist zwar nicht mehr das erste Mal, dass ein ganzer Film nur über Benutzeroberflächen von Laptops und anderen Geräten erzählt wird. Dennoch ist diese Art des Storytellings noch so unverbraucht, dass sie zu faszinieren weiß. Der Film nutzt nicht nur gekonnt die Möglichkeiten, die sich ihm dadurch bieten. Er zeichnet June auch als clevere junge Frau, die die moderne Technik kreativ einzusetzen weiß, um auch ohne vor Ort zu sein in Kolumbien nach ihrer Mutter suchen zu können. Dabei kann man über die Fülle an unwahrscheinlichen Ereignissen und Enthüllungen angesichts des hohen Erzähltempos und der andauernden Spannung hinwegsehen. Nur sollte man keine allzu realistische Handlung erwarten.
OT: „Missing“
Land: USA
Jahr: 2023
Regie: Nicholas D. Johnson, Will Merrick
Drehbuch: Will Merrick, Nicholas D. Johnson
Musik: Julian Scherle
Kamera: Steven Holleran
Besetzung: Storm Reid, Joaquim de Almeida, Ken Leung, Amy Landecker, Daniel Henney, Nia Long
Sundance Film Festival 2023
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