Inmitten der traumhaften Landschaft Tahitis, Französisch-Polynesien, bekleidet De Roller (BenoÎt Magimel) schon seit einiger Zeit das Amt des Hochkommissars der Republik. Seine tägliche Routine ist geprägt von unterschiedlichen Besuchen und Anlässen, mal einem offiziellen Empfang mit verschiedenen Interessenvertretern, dann wieder einer Visite in einem Nachtklub, wo es gilt, Investoren für die eigene Sache zu gewinnen. Dabei schafft er es, sowohl seine Landsleute wie den zwielichtigen Geschäftsmann Morton (Sergi López) auf seine Seite zu ziehen wie auch die Ureinwohner der Insel. Seit geraumer Zeit unterhält er zudem eine Beziehung zu der Choreografin Shannah (Pahoa Mahagafanau), die ihm dabei hilft, Menschen auszuspionieren. Dazu gehört unter anderem ein französischer Admiral (Marc Susini), einer von vielen Vertretern des Militärs, deren Präsenz die Ureinwohner in ihrem Verdacht bestätigt, dass die französische Regierung dabei ist, ihre in den 90ern eingestellten Atomwaffentests wiederaufzunehmen. Als sich der Admiral eines Abends hoffnungslos betrinkt und entsprechende Anspielungen von sich gibt, führt dies zu erhitzen Diskussionen sowie der Gründung einer Bewegung, die sich gegen die Pläne der Regierung stellt.
Inmitten der erhitzen Gemüter versucht De Roller zu schlichten und zwischen den Seiten zu vermitteln, was jedoch immer schwieriger wird. Er muss einsehen, dass jenes Paradies, in dem er so viele Jahre verbrachte, dabei ist sich aufzulösen und er sich für eine der beiden Seiten entscheiden muss. Während er nach wie vor die Aussagen tätigt, die beide Seiten von ihm hören wollen, keimt in ihm die Paranoia, es handle sich um eine internationale Verschwörung, was die Treffen, insbesondere mit den Vertretern der Inselbewohner, sehr zäh macht.
Permanente Bewegung
Auf die Erzählweise seines neuen Filmes Pacifiction angesprochen, beschreibt der katalanische Regisseur Albert Serra diese als eine, welche weniger einer traditionellen narrativen Struktur folgt, sondern sich mehr durch eine „permanente Bewegung“ auszeichnet. Wie schon in seinen vorherigen Werken Der Tod von Ludwig XIV. und Liberté geht es Serra in erster Linie darum, die Handlungen einer Figur nachzuverfolgen, um darüber zu einem Verständnis (oder etwas, das diesem nahekommt) eines Zustands zu gelangen. So ist Pacifiction ein sehr zeitgemäßer Film, bei dem der Zuschauer die eine oder andere Parallele zu Vertretern der Politik oder der Wirtschaft ziehen kann, die sich wie der Protagonist mittels Worthülsen, Phrasendrescherei und falscher Versprechen über Wasser halten.
Die 165 Minuten Laufzeit von Pacifiction sind atmosphärisch sehr unterschiedlich, fassen aber das Gefühl des vergehenden Paradieses, wie es sich der Hauptcharakter geschaffen hat, gut ein. Von der ersten Minute an wird der leichte Weichzeichner, der anscheinend über jedes Bild gelegt wurde, zu einem ständigen Begleiter. Das Gleiche gilt für das fast schon unnatürlich wirkende Licht, das die Landschaft Tahitis, vor allem den Ausblick aufs Meer, zu einem wahrhaftig gewordenen Garten Eden macht. Man merkt schnell, dass diese ästhetische Herangehensweise im Kontrast steht zu den gärenden Konflikten unter der Oberfläche, dem angereisten, portugiesischen Diplomaten, der seinen Pass verloren hat, und später den Gerüchten um die Wiederaufnahme der Atomwaffentests. Einzig De Roller hält an dieser Postkarten-Sichtweise fest, schlafwandelt von einem Meeting zum nächsten und wirkt dabei, nicht erst wegen seiner Kleidung, wie ein Dandy aus einem Oscar Wilde-Roman. Serras zeigt den bevorstehenden Untergang ebenso wie die Sichtweise seines Helden, was zu einem interessanten Gegensatz führt, der Kennern seines bisherigen Werkes sicherlich bekannt sein dürfte.
Wellenreiter und Zwischengänger
Es wäre falsch, einen Charakter wie De Roller, oberflächlich zu nennen. Er hat es zu einer Art Kunst gemacht hat, sich über Wasser zu halten, was auch seine Sichtweise auf die Welt bestimmt. Schockiert reagiert er auf die riesigen Wellen an der Küste, lauscht gespannt den Ausführungen über ihre zerstörerische Kraft, doch er scheint sich seines sicheren Halts dennoch bewusst zu sein. Während Serras Drehbuch mit der Zeit beginnt, sich thematisch im Kreis zu drehen, bleibt die Darstellung dieses Schaumschlägers über die gesamte Laufzeit hinweg faszinierend. Von diesem ist eine Entscheidung gefordert, welche die Auflösung seines bisherigen Lebens bedeutet und damit diesen talentierten Wellenreiter und Zwischengänger zu Fall bringen könnte. Darüber hinaus gelingt es Hauptdarsteller Magimel (Ein leichtes Mädchen), die ironischen Zwischentöne in den Dialogen Baptiste Pinteaux’ herauszuarbeiten, was viele Interaktionen sehr unterhaltsam werden lässt, selbst wenn diese bisweilen länger andauern, als ihnen guttut.
OT: „Pacifiction – Tourment sur les Îles“
Land: Frankreich, Spanien, Deutschland, Portugal
Jahr: 2022
Regie: Albert Serra
Drehbuch: Albert Serra, Baptiste Pinteaux
Musik: Marc Verdaguer, Joe Robinson
Kamera: Artur Tort
Besetzung: BenoÎt Magimel, Pahoa Mahagafanau, Marc Susini, Matahi Pambrun, Alexandre Mello, Sergi López
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
Cannes | 2022 | Goldene Palme | Nominiert | |
César | 2023 | Bester Film | Nominiert | |
Beste Regie | Albert Serra | Nominiert | ||
Bester Hauptdarsteller | Benoît Magimel | Sieg | ||
Beste Musik | Marc Verdaguer, Joe Robinson | Nominiert | ||
Beste Kamera | Artur Tort | Sieg | ||
Bester Ton | Jordi Ribas, Benjamin Laurent, Bruno Tarrière | Nominiert | ||
Beste Kostüme | Praxedes de Vilallonga | Nominiert | ||
Bestes Szenenbild | Sebastian Vogler | Nominiert | ||
Beste Spezialeffekte | Marco Del Bianco | Nominiert | ||
Prix Lumières | 2023 | Bester Film | Nominiert | |
Beste Regie | Albert Serra | Sieg | ||
Bester Hauptdarsteller | Benoît Magimel | Sieg | ||
Beste Musik | Marc Verdaguer | Nominiert | ||
Beste Kamera | Artur Tort | Sieg |
Cannes 2022
Filmfest München 2022
Toronto International Film Festival 2022
International Film Festival Mannheim 2022
Around the World in 14 Films 2022
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