Reality Winner (Sidney Sweeney) arbeitet bei einem Nachrichtendienst als Übersetzerin, ist begnadete Kraftsportlerin, ehemalige Angehörige der US-Luftwaffe und will als Übersetzerin nach Afghanistan gesandt werden. Doch eines Tages stehen Männer vom FBI mit einem Durchsuchungsbefehl vor ihrer Haustür. Sie soll vertrauliche Dokumente veröffentlicht haben.
Authentizität
Regisseurin und Co-Drehbuchautorin Tina Satter verfilmt mit Reality ihren gleichnamigen Broadway-Hit. Film und Theaterstück basieren auf dem realen Fall der Whistleblowerin Reality Winner, die ein NSA-Dokument geleakt hat, das Manipulation der US-Wahl 2016 durch Russland bestätigt, und dafür seit August 2018 in Haft ist. Im Konkreten widmet sich der Film dabei der Hausdurchsuchung Winners durch das FBI am 3. Juni 2017. Die Dialoge sind dabei vollständig aus Originalaufnahmen bzw. Gesprächsprotokollen entnommen und der Film bleibt die gesamte Laufzeit auf Winners Grundstück.
Dadurch entspinnt sich ein Kammerspiel, das es schafft, eine sehr besondere Intensität und Spannung zu vermitteln. Das liegt zum einen an den Dialogen, die diverse Spracheigenarten und Versprecher der Figuren beinhalten. Das sieht man nicht alle Tage und sorgt dafür, dass eine tolle Authentizität geschaffen wird. Nicht zu vernachlässigen ist dabei auch das Schauspiel. Insbesondere Hauptdarstellerin Sidney Sweeney, aber auch Josh Hamilton als FBI-Agent machen ihre Sache wirklich gut. Schauspiel und Dialog schaffen es, den Figuren trotz des sehr begrenzten Handlungszeitpunkts eine gewisse Dreidimensionalität zu verleihen. Zwar haben die FBI-Agenten auch eine gewisse Beliebigkeit und Allgemeingültigkeit an sich, diese funktionieren aber erst richtig durch die Charakterzeichnungen. Sie sind mehr als nur Abziehbilder, dienen aber gleichzeitig als Repräsentanten eines Problems, das größer ist als sie als Individuen.
Machtgefälle
Und dieses Problem ist der polizeiliche Umgang. Gerade die erste Hälfte des Films ist geprägt von Szenen, in denen die FBI-Agenten als Unruhepol wirken und trotz vermeintlich deeskalierender Maßnahmen immer wieder unsouverän handeln. Erneut werden dabei aber nicht die Individuen kritisiert, sondern das konzeptionelle Vorgehen. Denn es gilt zu sagen, dass, insbesondere für amerikanische Verhältnisse, die Situation sehr kooperativ und vergleichsweise ruhig zugeht. Daraus folgt aber unweigerlich auch die Frage, wie es sein kann, dass das Dargestellte ein vergleichsweise positives Beispiel ist. Drängende Musik, viele durchbohrende Nahaufnahmen sowie die grundsätzliche räumliche Knappheit sorgen nämlich dennoch für eine durchgehende Anspannung.
Unterbrochen wird das vereinzelt von fast schon satirisch wirkenden Themenwechseln und Smalltalk versuchen seitens der Agenten. Gerade diese Momente sind es aber, die das Machtgefälle zwischen beiden Parteien besonders hervorheben und es infrage stellen. Die Hilflosigkeit Realitys ist dabei ein wichtiger Faktor. Denn spannend ist, dass Reality stets als Opfer inszeniert wird. Ihre Privatsphäre wird missachtet, ihr Tagesablauf komplett aus den Fugen geworfen und sie wird über die Ursachen für die Ermittlungen lange Zeit im Dunkeln gelassen. Das funktioniert besonders gut, da wir Zuschauenden sowohl weniger wissen als Reality als auch das FBI. Wir bekommen erst nach und nach mit, was vorgefallen ist und sind lange Zeit mindestens genauso hilflos wie Reality.
Eine Diskussion, die sich beim Schauen unweigerlich auftut, ist die Frage nach Objektivität. Denn der Film vermittelt durchaus das Gefühl, objektiv sein zu wollen. Die eindeutigen Anmerkungen bezüglich der echten Dialoge zeigt das. Und auch wenn der Film klar Partei für Reality ergreift, – es ist immerhin nicht endgültig klar, welches Gefahrenpotenzial die echte Reality 2017 ausgestrahlt hat und wie angemessen sich das echte FBI verhalten hat – gelingt es ihm, durch seine Detailfülle und Erzählperspektive ein gewisses Maß an Ambivalenz herzustellen.
Verbreiterin der Wahrheit
Wie angemessen diese Ambivalenz ist, muss jede Person selbst entscheiden, der Film ergreift aber zumindest bezüglich der Tat eine klare Position. Diese wird nämlich stark verteidigt und damit auch fehlende Transparenz von Geheimdiensten sowie der Umgang der Medien mit dem Fall angeprangert. Wie absurd es ist, die Aufarbeitung eines Angriffs auf die Demokratie nicht für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, zeigt sich auch auf sehr schöne Art und Weise im Film. Denn die Schwärzungen der Polizeiakten werden übernommen, indem an den entsprechenden Stellen Dialog fehlt. Noch überspitzt wird das Ganze dadurch, dass die fehlenden Informationen im Laufe des Films eingeblendet werden, bzw. sie zumindest angedeutet werden. Insgesamt verleiht all das Reality ein starkes und wichtiges Profil, durch das er zu mehr als nur einem Genrefilm mit einem ironischen Titel wird.
OT: „Reality“
Land: USA
Jahr: 2023
Regie: Tina Satter
Drehbuch: Tina Satter, James Paul Dallas
Musik: Nathan Micay
Kamera: Paul Yee
Besetzung: Sidney Sweeney, Josh Hamilton, Merchánt Davis
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