Es ist ein trockener, heißer Sommer an der Ostseeküste. Leon (Thomas Schubert) und Felix (Langston Uibel) sind auf dem Weg zu einem abgelegenen Ferienhaus, das sich zwischen Wald und Meer befindet. Ungestört und allein wollen die beiden dort die nächsten Wochen verbringen. Auch um zu arbeiten. Der eine an seiner Mappe für die Unibewerbung, der andere an seinem zweiten Romanmanuskript. Aber aus dem eigentlichen Vorhaben wird so schnell nichts, als sie ungebetene Gäste im Ferienhaus vorfinden, mit denen sie nicht gerechnet haben. Saisonkraft Nadja (Paula Beer) hat es sich nämlich bereits gemütlich gemacht und bringt zusätzlich am Abend Rettungsschwimmer Devid (Enno Trebs) für gemeinsame Stunden mit ins Haus. Leon, der in wenigen Tagen ein Treffen mit seinem Verleger hat, ist von den Störenfrieden zusehends genervt und zeigt sich auch sonst wenig begeisterungsfähig für Unternehmungen. Obwohl er sich versucht abzukapseln, mag ihm das wegen der sich zusammenbrauenden Eifersucht nicht mehr gelingen. Schwelende Gefühle, die wie die angrenzenden Waldbrände langsam außer Kontrolle geraten, bringen sie mitten ins Epizentrum lodernder Flammen …
Das Bedrohliche am Horizont
Die Bedenken von Felix, dass etwas mit dem Auto nicht stimmen würde, wischt Leon während der Fahrt mit einem forschen „Ich hör nichts“ weg und dreht die Musik augenblicklich lauter. „In my Mind“ schallt es ihm, der abwesend und in seinen Gedanken gefangen wirkt, passend entgegen. Mürrisch, angriffslustig und sichtlich genervt ist Leon dann aber schon, als das Auto mitten auf der Landstraße liegen bleibt und die beiden samt Gepäck jetzt den Weg zu Fuß bestreiten müssen. Da macht es die Abkürzung durch den Wald auch nicht besser. Zumal Felix nicht mehr ganz genau weiß, welche Richtung sie einschlagen müssen und Leon kurzerhand stehen lässt. Augenblicklich strömen von überall her verzerrte Tierschreie zur Lichtung und das plötzliche donnern eines Propellerflugzeugs erschüttert die ohnehin schon merkwürdig gespenstische Einsamkeit. Irgendwas liegt also doch in der Luft, möchte man meinen. Etwas Bedrohliches, das sich bis jetzt jedoch nur entfernt erahnen lässt.
Das Schreiben als Bühne
Wenn Roter Himmel ein waschechter Horrorfilm mit Katastrophenszenario wäre, hätte Regisseur Christian Petzold zumindest hiermit schon mal genau den richtigen Einstieg geschaffen. Aber Petzold, der ua. nach Undine und Transit mit Roter Himmel nun bereits zum fünften Mal im Wettbewerb der Berlinale vertreten ist, erzählt vielmehr im Stil von Eric Rohmer und einem Hauch Luca Guadagnino von einem Sommer, der die Weichen stellt. Und das auch für Leon, der sich, wenn alle anderen schwimmen gehen und ihre Tagesgestaltung der drückenden trockenen Hitze überlassen, immer noch komplett in langem Schwarz vor sein Manuskript klemmt.
Dabei macht er nicht nur den Mitbewohnern, sondern gleichwohl sich selbst etwas vor. Regelmäßig schläft er über seine losen Blätter ein. Wirft eine halbe Ewigkeit einen Tennisball an die Hauswand oder wird nicht zuletzt auch durch die fröhliche, aber für ihn rätselhafte Nadja abgelenkt. Da passiert es schon mal, dass er sich allein wähnend in ihrem Zimmer umsieht, das Tagebuch durchblättert oder ihre Musik hört, um mehr über sie herauszufinden. Die, die sich am Abend lautstark mit Devid vergnügt und am nächsten Morgen auf dem Fahrrad über den schmalen Waldweg ins Unbekannte entflieht. Weit kommt Leon in dem Augenblick allerdings nicht. Denn als er Felix vom Strand eintrudelt, hechtet er förmlich wieder zu seinem auserkorenen Arbeitsplatz am Rand der Wiese. Eine gut einsehbare Bühne, dessen Schauspiel vom schwer geschäftigen Schriftsteller schließlich gewahrt werden muss.
Vage schimmernde Sehnsucht
Es ist eine neckende Leichtfüßigkeit, mit der Petzold den betont genervten Leon aus seiner Isolierung holt und ihn mit dem unbeschwerten Kontrollverlust konfrontiert, dem sich seine Sommergefährten bereits hingeben und sich von der Wärme treiben lassen. Da ist es das gemeinsame Abendessen, bei dem Devid später versucht, mit einer Geschichte von der Rettungsschwimmer-Konferenz beim gespannt interessierten Felix zu landen, während Nadja schelmisch lächelnd und wohl wissend um den Ausgang der Story, den ungenießbar geladenen Leon beobachtet. Auch hier scheint wieder etwas in der Luft zu liegen.
Eine gegenseitige Faszination füreinander, der noch keiner der beiden so richtig nachgeben will. Immer öfter inszeniert Petzold Nadja und Leon wie zwei sich anziehende Planeten, die sich mit immer enger werdender Distanz umkreisen, nur um sich wieder abzustoßen. Spätestens als Nadja irgendwann ihr tragisches Lieblingsgedicht vorträgt, ist es nicht nur um die Ferienhausgäste, sondern auch um uns geschehen. Ein nächtliches, in bunten Farben erleuchtetes Speedminton Spiel auf dem Rasen bebildert die bereits vage schimmernde Sehnsucht. Vor allem Leon zeigt sich dadurch zunehmend sensibel und lässt den den Erfolgsdruck und Zweifel, die seine Tage bestimmen, unter der harten Schalen sichtbar werden.
Macht neugierig
Neben Paula Beer, die zum dritten Mal mit Petzold zusammenarbeitet, spielt Thomas Schubert großartig seinen miesepetrigen und doch verunsicherten Spielverderber. Er bringt die Gefühle seines theatralischen Autorens nuanciert auf die Leinwand, sodass man gar nicht anders kann als mit Neugier diese kleine Sommerreise zu folgen. Als aber die lodernden Feuer den Himmel über den Baumwipfeln in ein flammendes Lichtspektakel verwandeln und die dröhnenden Helikopter gefährlich nah über ihren Köpfen die Ruhe der Dämmerung zerschneiden, frisst sich doch noch bedrohlicher Horror seine Schneise in die Unbeschwertheit.
OT: „Roter Himmel“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Christian Petzold
Drehbuch: Christian Petzold
Kamera: Hans Fromm
Besetzung: Thomas Schubert, Paula Beer, Enno Trebs, Langston Uibel, Matthias Brandt
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