Neukölln im Jahr 2003: Es sieht wie ein typischer Sommer im Leben der drei Freunde Lukas (Levy Rico Arcos), Gino (Rafael Luis Klein-Heßling) und Julius (Vincent Wiemer) aus. Es gibt Stress mit den Familien, Stress an der Schule. Und jetzt auch Stress mit den Arabern. Erst wird Lukas übel von denen zusammengeschlagen, als es zum Gegenschlag kommt, landet Widersacher Djamel (Wael Alkhatib) im Krankenhaus. Dafür soll Lukas, der im Zweifel nie Gegenwehr zeigt, 500 Euro blechen. Die hat er aber nicht. Er hat ja nicht einmal das Geld für das Schwimmbad oder neue Turnschuhe. Doch die drei fassen zusammen mit dem neuen Mitschüler Sanchez (Aaron Maldonado-Morales) einen Plan, wie sie an die nötige Kohle herankommen können. Dabei ahnen sie nicht, dass damit die Probleme erst richtig anfangen …
Aus dem Leben in einem Problemviertel
In den letzten Jahren hat es eine ganze Reihe von Filmen gegeben, welche soziale Brennpunkte in Frankreich zum Thema machten. Titel wie Die Wütenden – Les Misérables oder Athena zeigten einen Mix aus Perspektivlosigkeit und Gewaltbereitschaft. Da reicht oft nur ein kleiner Funke und schon geht alles in die Luft. Ganz so heftig geht es in Sonne und Beton nicht zu. Vor allem gibt es keine brutalen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Letztere taucht zwar immer mal wieder auf, wenn es irgendwo wieder geknallt hat oder Verbrechen begangen werden – etwa bei der besagten Schlägerei, die eine ganze Kette aus Ereignissen auslöst. Während aber die Filme oben gerade auch davon erzählten, wie zwei Welten aufeinanderprallen, bleibt man bei der deutschen Variante des Sozialdramas doch lieber unter sich. Damit sind schon genügend Probleme verbunden. Im Zentrum des gleichnamigen, autobiografisch gefärbten Romans von Felix Lobrecht, der die Grundlage von Sonne und Beton bildet, stehen dabei die vier Jungs. Gleich bei dreien davon fehlen Elternteile, der vierte – Gino – würde sich wünschen, dass einer fehlt, wird er doch regelmäßig von seinem Vater verprügelt.
Doch die familiären Probleme sind nur ein Teil der Misere, in der die vier Jungs aufwachsen. Eigentlich fehlt es an allem. Es fehlt an Geld, es fehlt an Perspektiven, wie sie etwas aus ihrem Leben machen könnten. Zwei Männer dienen für Lukas als Vorbild, Da ist sein Vater Matthias (Jörg Hartmann), der selbst nie den Absprung geschafft hat, dabei völligen Gewaltverzicht predigt und zum Wegducken aufruft – was Lukas als unrealistisch abtut. Dann hört er doch lieber auf seinen älteren Bruder Marco (Luvre47), der sich mit allen anlegt und jede Konfrontation sucht. Gescheitert ist aber auch er in seinem Leben. Der einzige Ausweg, der sich dem Jungen tatsächlich bietet, sei sein Abitur zu machen, wie ihm sein freundlicher und wenig durchsetzungsstarker Vertrauenslehrer Sonnabend (Leon Ullrich) sagt. Und ausgerechnet der entpuppt sich später als Rassist.
Deprimierend und versöhnlich
Das ist dann auch das Besondere an dem Drama, das auf der Berlinale 2023 Weltpremiere feierte. Der Film verzichtet auf klare Schwarzweiß-Zeichnungen, nur wenige Figuren können hier rein gut oder rein schlecht genannt werden. Selbst Djamel, der anfangs noch als der brutale Schläger eingeführt wird, zeigt später Nuancen. Regisseur David Wnendt (Feuchtgebiete, Er ist wieder da) will aus den Leuten, welche die Großwohnsiedlung Gropiusstadt und den Rest von Neukölln bevölkern, Menschen aus Fleisch und Blut machen. Sie alle haben ihre Geschichten, haben ihre Träume und Sorgen. Sie alle versuchen, irgendwie durch eine Welt zu kommen, in der sich niemand für sie interessiert und in der es keinen Platz für sie gibt. Sonne und Beton wird zu einem Porträt der Abgehängten, verbunden mit typischen Coming-of-Age-Themen.
Das hört sich wahnsinnig deprimierend an. Ist es auch, aber nur zum Teil. So füllen Wnendt und Lobrecht, die gemeinsam das Drehbuch schrieben, diese Geschichte auch mit schönen Momenten an. Sonne und Beton ist eben auch ein Film über Freundschaft, über Zusammenhalt, selbst wenn dieser zuweilen etwas brüchig ist. Richtige Gewinner gibt es hier zwar keine, man streitet und prügelt sich nur um die Reste. Aber es gibt auch versöhnliche Töne, welche das überwiegend aus Nachwuchsdarstellern bestehende Ensemble ebenso beherrscht wie die plumpe und zum Teil sehr anstrengende Konfrontation. Und wenn dann irgendwann die Sonne auf Gropiusstadt scheint, was Marco zu einem titelgebenden Satz inspiriert, scheint es tatsächlich eine Welt da draußen zu geben, die auf einen wartet. Auch wenn das bedeutet, dass man dafür manchmal aus dem Fenster springen und sich alle Knochen brechen muss.
OT: „Sonne und Beton“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: David Wnendt
Drehbuch: David Wnendt, Felix Lobrecht
Vorlage: Felix Lobrecht
Musik: Enis Rotthoff, Konstantin „Djorkaeff“ Scherer, Phil The Beat
Kamera: Jieun Yi
Besetzung: Levy Rico Arcos, Rafael Luis Klein-Heßling, Vincent Wiemer, Aaron Maldonado-Morales, Luvre47, Wael Alkhatib, Lucio101, Jörg Hartmann, Imran Chaaban, Franziska Wulf, Leon Ullrich
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
Deutscher Filmpreis | 2023 | Bester Film | Nominiert | |
Bestes Drehbuch | David Wnendt, Felix Lobrecht | Nominiert | ||
Bester Schnitt | Andreas Wodraschke | Nominiert | ||
Bester Ton | Paul Rischer, Jan Petzold | Nominiert |
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