Tim Carlier Interview Paco

Tim Carlier [Interview]

Tontechniker Manny ist auf der Suche nach einer Schauspielerin, die nach Drehschluss noch ihr Ansteckmikro trägt. Dabei begegnen ihm jedoch allerhand skurriler Menschen und halten ihn auf. Darum geht es in Paco, der auf dem diesjährigen auf dem Internationalen Filmfestival Rotterdam 2023 Premiere feierte. Paco ist das Langfilmdebüt des australischen Regisseurs Tim Carlier. Neben der Regiearbeit ist Carlier auch verantwortlich für Kamera, Schnitt und hauptverantwortlich für das Drehbuch. Im Interview erzählt er von spannenden Produktionsbedingungen, realen Einflüssen, der harten Arbeit als Freelancer und mehr.

 

Du, Produzent Tim Hodgson und Hauptdarsteller Manuel Ashman seid gute Freunde und habt auch schon bei Kurzfilmen und Musikvideos zusammengearbeitet. Wie seid ihr jetzt zu eurem Langfilmdebüt gekommen?

Wir drei arbeiten alle als Freelancer in der Filmbranche in Adeleide. Meist arbeiten wir alle an verschiedenen Projekten, helfen uns aber so gut wir können und haben daher oft auch Sachen zusammen gemacht. 2016 habe ich im Rahmen meines Studiums einen Kurzfilm gedreht, auf dem Paco basiert. Die Idee war, ein Interview mit einer Person zu filmen, die dann wegläuft, weshalb der Tontechniker ins Bild kommt. Ich fand es total spannend, wie sehr sich das Seherlebnis verändert, wenn man das Mikrofon sieht, wenn man quasi das Handwerk hinter dem Film sieht. Damals hatte ich noch nicht den Plan, einen Langfilm daraus zu machen. Mit der Zeit haben wir drei aber mehr und mehr mit der Idee gespielt, den Film zu erweitern. Und irgendwann hatten wir dann die Struktur für einen Langfilm.

Ihr habt den Film mit einem winzigen Budget auf den Straßen Adeleides gedreht. Gab es dabei irgendwelche Schwierigkeiten, zum Beispiel mit Passant*innen?

Tatsächlich lief das alles ganz gut. Zuerst dachten wir, wir könnten alles selbst finanzieren. Das hat sich dann aber doch als schwierig herausgestellt hat, weshalb es sehr gut war, dass wir ein bisschen Förderung bekommen haben. Dadurch konnten wir das Ganze doch etwas größer aufziehen. Was unsere Begegnungen mit Passant*innen angeht, war das eigentlich ziemlich entspannt. Es gab vereinzelt Leute, die uns beobachtet haben. Ein paar Mal haben uns auch Leute angesprochen. Wir hatten zwischendurch auch mal die Idee, Gespräche mit Leuten, die nicht wissen, dass sie Teil eines Films sind, zu verwenden. Diese Gespräche haben wir letzten Endes aber rausgeschnitten, weil wir sie unpassend fanden. Ansonsten waren wir einfach ziemlich unauffällig. Wir waren nur zu vier Leute. Ich, mein Kameraassistent, ein Tontechniker und Manny.

Eine große Besonderheit an dem Film ist sicher auch die Kamera, die immer sehr weit weg von Manny ist. Wie hab ihr das bei der Auswahl der Drehorte berücksichtigt?

Ich lebe mittlerweile seit über zehn Jahren in Adeleide. Die meisten Orte waren also einfach Orte, die ich vorher kannte und an denen wir zum Teil auch schon für andere Projekte gefilmt haben. Es gab einige Orte, für die wir eine Erlaubnis zum Filmen brauchten oder spezielle Orte, wie die Kirche in der Wüste, die wir erstmal finden mussten. Das hat etwas Zeit gebraucht. Aber die Parks in Adeleide sind sehr leicht zugänglich. Beim Filmen war es dann so, dass wir uns an einem abgemachten Ort getroffen haben und ich eine grobe Ahnung hatte, in welche Richtung ich filmen wollte und Manny sich bewegen würde. Je nach Licht haben wir uns dann ausgerichtet und uns ggf. nochmal umentschieden. Da waren wir ziemlich flexibel.

Wie war die Erfahrung, über so eine Distanz Regie zu führen?

Es war eine sehr angenehme Erfahrung. Dadurch, dass ich die Kamera bedient habe und wir viel improvisiert haben, lief alles ziemlich glatt. Ich habe bei meiner sonstigen Arbeit die Erfahrung gemacht, dass an Sets oft sehr viel Zeit verloren geht, einander klarzumachen, was genau man haben will. Diese Problematik hatten wir nicht. Ich kannte Kamera und Objektiv und wusste, was ich zu tun hatte, um das Bild zu bekommen, das ich wollte. Was die Darsteller*innen angeht, habe ich sie anfangs instruiert und dann oft einfach machen lassen. Wir hatten kaum Dialoge, sondern eher einen Plan, was in der Szene passieren muss. Deshalb haben wir Szenen oft für mehrere Minuten länger laufen lassen, als ursprünglich geplant. Wir haben Takes wiederholt, bis es uns irgendwann gefallen hat. Sicherlich hat es auch geholfen, dass ich mit allen involvierten Leuten befreundet bin. Es hat sich stellenweise fast so angefühlt, als würde ich mit meinen Freund*innen rumhängen und wir würden versuchen, uns zum Lachen zu bringen.

Wie war die Arbeit mit dem Ton? Habt ihr tatsächlich nur Mannys Mikro benutzt oder wie war euer Audio-Setup?

Es gibt zwei Dialogzeilen, die nachträglich eingesprochen sind. Ansonsten war unser Aufnahme-Setup sehr limitiert. Manny hatte sein Mikrofon. Außerdem hatten wir Ansteckmikros an Manny und teilweise anderen Schauspieler*innen, die von meinem Tontechniker Will Sheridan kontrolliert wurden, damit die Dialoge gut zu verstehen sind. Ich hatte ein Ansteckmikro, mit dem Manny mich hören konnte. Das war’s. Wir haben versucht, möglichst viel über Mannys Mikro aufzunehmen und nur die Dialoge zu verstärken. Ich würde sagen, 90 Prozent des Tons wurde so beim Dreh aufgenommen.

Diese besondere Tonästhetik hat mich ein wenig daran erinnert, wie egal der Aspekt Ton in vielen Filmen leider ist. Ist das etwas, auf das ihr aufmerksam machen wollt?

Ich glaube, es gibt durchaus Probleme mit konventionellem Sound Design. Vor allem wollte ich aber zeigen, wie schwierig die Arbeit als Tontechniker sein kann und wie viel man ihnen oft abverlangt. Die Kritik anderer Filme stand für mich nicht im Vordergrund. Aber ich freue mich, wenn Leute noch mehr aus dem Film mitnehmen können.

Der Soundtrack fasst dieses Abverlangen ganz gut zusammen, „Can’t Think About Myself“. Würdest du sagen, dass das eine normale Erfahrung ist? Wird man den ganzen Tag nur herumgescheucht?

Ja, auf jeden Fall. Das war auch der Hauptgrund, warum ich den Song von The Empty Threads ausgewählt habe. Als Freelancer ist man so ein People Pleaser. Du versuchst, es allen Leuten recht zu machen, damit du an deinen nächsten Job kommst und sie dich nicht vergessen.

Inwiefern basiert der Film auf realen Erfahrungen, die ihr gemacht habt?

Sehr. Die Eröffnungsszene basiert eins zu eins auf einem Dreh für eine Serie, bei der ich mitgearbeitet habe. Auch da hat ein Dialog überhaupt nicht geklappt und die Stimmung ist dann mehr und mehr gekippt. Das mitzubekommen, war wahnsinnig faszinierend. Die ganze Crew war gestresst und alle wollten die Szene durchbringen. Wir haben wiederholt und wiederholt, während alles immer toxischer geworden ist. Rückblickend war das fast schlimmer als die Szene im Film. Viele kleinere Sachen basieren auch auf realen Erlebnissen von Tim, Manny und mir. Zum Beispiel spielen viele Leute, die zu sehen sind, fiktionalisierte Versionen von sich selbst. Es basiert aber auch vieles auf Träumen. Wenn ich einen stressigen Job mache, träume ich oft von Szenarien, in denen alles schiefläuft, was schieflaufen kann. Viele Szenen habe ich so oder so ähnlich schon mal geträumt.

Du hast die Eröffnungsszene eben schon hervorgehoben. Es geht in ihr um das Wiederholen von Takes, sie selbst ist aber ein One Take. Wie oft musstet ihr sie wiederholen?

Wir haben sie fünf oder sechsmal gedreht. Und die Takes waren länger als das, was im Film zu sehen ist. Insgesamt haben wir jedes Mal rund 18 Minuten am Stück gedreht. Die finale Version ist letzten Endes gar kein richtiger One Take, weil wir Material aus zwei Szenen genommen haben, aber es war trotzdem hart. Viele aus Cast und Crew sind ins Method Acting übergegangen, wodurch man schnell vergessen konnte, dass alles nur gespielt ist. Aber es gibt auch eine lustige Geschichte. Wir hatten einen Grip am Set, der anfangs nicht genau wusste, was wir vorhaben. Er war total verwirrt, warum wir die Szenen nicht schneiden, warum die Schauspielerin so schlecht ist und warum wir so gemein zu ihr sind. Irgendwann hat er es dann begriffen und war von da an so sehr dabei, dass er mir fast ein bisschen Angst gemacht hat. (lacht)

Eine große Angstquelle im Film ist der Sound Council und seine Regeln. Ist das nur ein Witz oder gibt es unter Tontechniker*innen ein vergleichbar strenges Miteinander auch in echt?

Natürlich ist es nicht so im Film, aber ich denke, es herrscht eine große Angst vor Blacklisting. Gerade wenn man anfängt. Die Angst, sich den Wecker falsch zu stellen, zu spät am Set zu sein und dann bis in alle Ewigkeit als unzuverlässig zu gelten, sodass niemand mehr mit dir arbeiten will. Das gilt gerade in kleinen Filmzweigen wie in Adeleide. Die Leute vergessen nicht. Deshalb versucht die Figur Manny ja auch, das Mikrofon sofort zu holen und wartet nicht einfach auf den nächsten Tag. Als Freelancer versucht man oft, die eigenen Fehler wieder auszubügeln, bevor sie bemerkt werden.

Kann der Film durch diese Begegnungen Figuren nur in Adeleide spielen?

Darüber habe ich schon länger nachgedacht. Es ist ein Film, der sehr auf Adeleide fokussiert ist. Die Art der Menschen, die Stimmung und Umgebung, all das findet man nur da. Diese konkrete Version des Films kann also auf jeden Fall nur in Adeleide spielen. Ich glaube aber, dass viele Aspekte der Freelance-Arbeit universeller sind und man eine andere Version des Films überall auf der Welt machen könnte. Wir wollen mit dem Film auch mit anderen Filmschaffenden ins Gespräch kommen und ihre Geschichte hören.

Steht ihr schon in Kontakt mit einigen Filmschaffenden?

Mit ein paar. Wir haben zwar auf mehr Menschen gehofft, aber wir haben ja auch gerade erst Weltpremiere gefeiert. Außerdem ist es nicht so einfach, Leute an fremden Orten zu erreichen. Wir sind deshalb froh, zumindest einige neue Kontakte in Rotterdam zu haben.

Ich habe auch das Gefühl, dass euer Film sehr wohlwollend in Rotterdam aufgenommen wurde. Auf der IFFR-Webseite wird Paco als „lovechild of Jacques Tati’s Monsieur Hulot and Peter Sellers‘ Hrundi Bakshi […] with the reflexive simplicity of a Kiarostami film“ beschrieben. Was hältst du von diesen Vergleichen?

Die Vergleiche freuen mich. Ich finde sie sehr interessant und auch irgendwo passend. Vor Drehbeginn haben Manny und ich uns nämlich Playtime – Tatis herrliche Zeiten angeguckt. Ansonsten gibt es aber eigentlich keine konkreten Einflüsse. Ich glaube, da arbeitet dann eher das, was unterbewusst abgespeichert ist. Und da sammelt sich dann eben vieles an. Viele Leute vergleichen unseren Film auch mit Monty Python. Das sind eben die Leute, an deren Einfluss man nicht komplett vorbeikommt. Aber solche Vergleiche schmeicheln uns natürlich sehr.

Du sagtest eben schon, ihr wollt mehr Leute ansprechen. Heißt das, man wird Paco noch auf weiteren Festivals sehen können?

Wir haben uns bei vielen Festivals dieses Jahr beworben und hoffen, dass wir einiges mitnehmen können. Genaueres können wir noch nicht sagen. Aber wir sind auch selber noch dabei, den Film zu verarbeiten und zu verstehen, was er anderen Leuten bedeutet. Wir haben den Film erst im Oktober fertigbekommen und suchen daher noch nach dem Publikum für unseren Film. Aber wir glauben, dass Festivals der beste Ort dafür sind. Auch um andere Filmschaffende zu treffen. Also mal gucken, was das Festivaljahr für uns bereithält.



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