Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, nun geht es darum, die Jahre des Dritten Reichs aufzuarbeiten. Ein wichtiger Punkt ist dabei, diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die in den Konzentrationslagern an den Massenmorden beteiligt waren. Carl Schrade (Bernd Michael Lade) soll bei dieser Aufgabe helfen: Zehn Jahre lang war er selbst Häftling, lernte während dieser Zeit die Konzentrationslager Buchenwald, Lichtenburg, Esterwegen und Flossenbürg kennen. Durch seine Aussagen und Erlebnisberichte aus erster Hand erhofft sich die Justiz konkrete Hinweise, wer unter den diversen Angeklagten eine Schuld trägt und wie das Leben in einem solchen Lager wirklich war …
Entmenschlichung durch die Nationalsozialisten
Als Schauspieler ist Bernd Michael Lade hierzulande einem Millionenpublikum bekannt. Mehr als 90 Titel sind auf der imdb gelistet, in denen der Deutsche mitwirkte. Am bekanntesten sind dabei immer noch seine Auftritte als Kommissar Kain beim Tatort, 45 Mal spielte er diesen und wurde damit zu einem Publikumsliebling. Wenn Lade jedoch selbst einen Film dreht, ist das Ergebnis weit entfernt von Unterhaltung für die Massen. So drehte er 2015 Das Geständnis, in dem er sich humorvoll mit der Verbrechensbekämpfung in der DDR auseinandersetzte. Damals spielte er selbst die Hauptrolle eines Polizisten aus der Mordkommission, der immer wieder an den Vorgaben von oben verzweifelt, und kostete genüsslich die Absurdität aus.
Viele Jahre später beschäftigt sich Lade in Der Zeuge erneut mit Verbrechen innerhalb eines Unrechtsstaates. Dieses Mal steht der Holocaust auf seinem Programm. Der Humor, den sein vorangegangener Film auszeichnete, ist hier jedoch völlig verschwunden. Anstatt die Absurdität zu thematisieren, behandelt er hier die Entmenschlichung durch die Nationalsozialisten. Dabei gehörte der real existierende Carl Schrade seinerzeit keiner der Minderheiten an, die systematisch verfolgt wurden. Stattdessen war er „nur“ ein Verbrecher, weswegen ihm trotz jahrelangen Aufenthalts in diversen Konzentrationslagern keine Entschädigung zugesprochen wurde. Das darf man als skandalös empfinden, ist aber gar nicht Thema des Films. Vielmehr befasst sich Letzterer mit dem Leben in den Lagern und der Schuldfrage.
Viel Stoff im spröden Gewand
Ungewöhnlich ist, wie Lade dies umgesetzt hat. So spielt sein Film ausschließlich vor Gericht, wo Schrade sehr ausführlich von den einzelnen Stationen berichtet. Drumherum sitzen eine Reihe von Leuten, die jedoch sehr wenig zu sagen haben. Den meisten Redetext hat noch zwangsläufig die Dolmetscherin, die simultan die Aussagen übersetzt. Über weite Strecken ist Der Zeuge deshalb in erster Linie Monolog und keiner dieser Gerichtsfilme, bei denen irgendwelche Wortduelle geliefert werden. Auch inszenatorisch sollte man keine große Abwechslung erwarten. Das ist alles schon sehr spärlich hier und bewusst trocken. Durch die monotone Vortragung dürfte es schon die einen oder anderen geben, die hier im Kino einschlummern werden. Man versuchte erst gar nicht, das Publikum in irgendeiner Form unterhalten zu wollen.
Dabei hat der Film inhaltlich schon einiges zu bieten. Da geht es nicht nur um die Erlebnisse des Mannes, die so schauderhaft sind, dass die Anwesenden davon erschüttert bis ergriffen sind. Es geht auch um Fragen der Schuld, wenn Schrade durch seine lange Zeit in den Konzentrationslagern und die Aufgaben, die er dort übernahm, selbst zu einem gewissen Grad Teil des Systems wurde. Diskussionsstoff gibt es in Der Zeuge also einigen. Selbst wer sich schon mehrfach mit dem Thema des Holocausts beschäftigt hat, findet hier spannende Ansätze für weitergehende Gesprächsrunden. Man muss sich jedoch auf den spröden Film einlassen können, der sich völlig auf seinen Inhalt konzentriert und dem Rest dabei wenig Aufmerksamkeit schenkt.
OT: „Der Zeuge“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Bernd Michael Lade
Drehbuch: Bernd Michael Lade
Musik: Michael Kobs
Kamera: Guntram Franke
Besetzung: Bernd Michael Lade, Maria Simon, Katrin Schwingel
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