Eigentlich sollte es eine ziemliche Selbstverständlichkeit sein, dass Frauen ebenso sexuelle Bedürfnisse haben und ein ebenso großes Recht auf deren Verwirklichung. Und doch zeigt der Blick auf diverse Gesellschaften, darunter auch altehrwürdige Demokratien, dass das mit der Gleichberechtigung so eine Sache ist. Wobei es natürlich Verbesserungen gegeben hat, manche der Probleme werden zumindest inzwischen als solche erkannt. Ein Name, der dazu beigetragen hat, dass diese Missstände auch den Mainstream erreichten, ist dabei Erica Jong. Bald 50 Jahre her ist es, dass die Autorin ihren Debütroman Angst vorm Fliegen veröffentlichte. Darin erzählte sie die Geschichte einer jungen Frau, die noch ihren Platz im Leben suchte. Und das bedeutete eben auch, diese sexuelle Befriedigung zu suchen. Mit dem für die damalige Zeit sehr freizügigen Inhalt traf sie einen Nerv, das Buch verkaufte sich weltweit viele Millionen Male.
Zurück in die Vergangenheit
Immer wieder kommt der Dokumentarfilm Erica Jong – Breaking The Wall auf dieses Buch zu sprechen. Natürlich ist dieses ein Relikt der damaligen Zeit. Würde es heute veröffentlicht, würde es kaum eine Reaktion provozieren, zu sehr hat sich seither die Gesellschaft verändert. Erotische Bücher für eine weibliche Zielgruppe? Gibt es inzwischen nicht zu knapp. Das legt den Verdacht nahe, dass der Film vergleichbar zu Alice Schwarzer vor einigen Wochen letztendlich nur dem Ruhm vergangener Tage hinterhertrauert und sich dabei ständig der eigenen Bedeutung vergewissert. Denn so erfolgreich das Debüt auch war, die seither erschienenen Romane oder Gedichte Jongs spielten in der Öffentlichkeit keine größere Rolle mehr. Beiden Produktionen ist auch gemeinsam, dass außenstehende Stimmen fehlen, die sich vielleicht auch einmal kritisch mit der Protagonistin auseinandersetzen und Gegenworte wagen.
Und doch ist Erica Jong – Breaking The Wall nicht uninteressant. So gewährt einem der Film Einblicke in die damalige gesellschaftliche Situation, sei es durch die Aussagen von Jong selbst oder historische Aufnahmen. Beispielsweise gibt es einen Auftritt im Fernsehen, wo die Autorin sich mit den frauenfeindlichen Aussagen des Moderators herumplagen muss. Wer diese Kontraste sieht, der ahnt zumindest, wie befreiend es für die Frauen damals war, dass da jemand mit ihrer Stimme sprach. Jong war keine Superintellektuelle, die eine Gleichberechtigung theoretisierte. Sie blieb nah genug an ihrem Publikum, damit dieses sich verstanden fühlen durfte. Für die Männer mag dieser offene Umgang mit Sex vulgär gewesen sein. Für die Frauen war es eine Befreiung.
Interessant, aber seltsam stumm
Der Film ist aber nicht allein Rückblick auf die damalige Zeit, sondern sucht immer auch die Verbindung zur Gegenwart. Ein Thema, das in Erica Jong – Breaking The Wall beispielsweise auftaucht, ist der Einsatz der Jugend für eine Zukunft und eine gesunde Erde. Das ist dann zwar kein direkt feministisches Thema. Und doch entspringt dieser Aktivismus einer ähnlichen Quelle, geht es um den Kampf, gleiche Rechte wie die anderen zu haben. Der Unterschied: Beim Feminismus geht es um ein aktuelles Ungleichgewicht, während der Kampf gegen den Klimawandel von einem Konflikt der Generationen handelt. Die jungen Menschen wollen ein ähnliches Leben führen dürfen wie ihre Eltern und Großeltern. Auch das sollte eigentlich selbstverständlich sein und ist es irgendwie doch nicht.
An diesen Stellen hätte man gern mehr erfahren. Zu wenig hört man, wie die Ikone über die heutige Welt denkt. So regt sie sich zwar auf, dass Frauen noch immer schlechter bezahlt werden. Dennoch: Es wäre spannend gewesen, die Veränderungen und Parallelen konkreter zu thematisieren. Was auch verwirrend kurz kommt, ist das literarische Schaffen der Autorin. Wenn sie an einer Stelle davon erzählt, dass sie dem Ruhm nur entkommen konnte, indem sie Gedichte schrieb, wäre es interessant gewesen, diese auch einmal zu hören. Was waren ihre Themen? Welche Sprache verwendete sie? Erica Jong – Breaking The Wall bleibt an diesen Stellen zu stumm. Sehenswert ist die Doku zwar trotz allem, sowohl für die historische Bedeutung wie auch für die Protagonistin selbst, der man hier gern zuhört – etwa wenn sie über ihre Suche nach Liebe spricht. Aber da wäre sicher noch mehr möglich gewesen.
OT: „Erica Jong – Breaking The Wall“
Land: Schweiz
Jahr: 2022
Regie: Kaspar Kasics
Drehbuch: Kaspar Kasics
Musik: Roger Eno
Kamera: Isabelle Casez, Gabriel Lobos, Christine A. Maier, James Carman
Locarno 2022
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