In seiner Laufbahn als Schauspieler hat Lars Eidinger die unterschiedlichsten Rollen angenommen. So verkörperte er mehrfach den distanzlosen Mörder im Tatort, war in dem humorvollen Hit-Roadmovie 25 km/h gestresster Geschäftsmann, auf der Bühne konnte man ihn unter anderem als Hamlet und Jedermann sehen. Doch so abwechslungsreich die Produktionen, in denen der deutsche Darsteller so mitwirkte, so sind sie doch nur Teile eines Gesamtkunstwerks, das sich an allem Möglichen mal versuchte. Und am Unmöglichen. Was treibt einen solchen Menschen an, für den auch Musik und Fotografie zum Selbstverständnis gehören? Wer ist Lars Eidinger? Eine Antwort darauf gibt der ihm gewidmete Dokumentarfilm Lars Eidinger – Sein oder nicht Sein.
Auf den Spuren eines Künstlers
Zu diesem Zweck folgte ihm Reiner Holzemer (Martin Margiela – Mythos der Mode) über Monate hinweg und zeigte ihn in den unterschiedlichsten Situationen. So sehen wir ihn zu Beginn, wie er im Auto ein telefoninterview führt. Später wird er Filme drehen oder bei Premieren derselben auftreten. Vor allem aber das Theater nimmt einen großen Raum in Lars Eidinger – Sein oder nicht Sein ein. Ganz fasziniert hält die Kamera fest, wie sich der Protagonist während der Proben versucht und dabei schon einmal mit dem Regisseur aneinandergerät. Dass Eidinger dabei wie eine große Diva wirkt, dürfte allen Anwesenden klar sein. Aber es sind solche Momente, die Holzemer zu suchen scheint: Der Exzentriker ist in seinem Element, lebt und atmet die Kunst. Und schreit schon mal, wenn er sich unverstanden fühlt. Was ziemlich oft vorkommt.
Die Perspektive ist dabei stets die des Bewunderers. So macht Holzemer keinen Hehl daraus, dass er schon vor dem Projekt sehr angetan war von dem Schauspieler, wenngleich er ihn nur aus der Distanz kannte. Lars Eidinger – Sein oder nicht Sein lässt dafür selbst keine Distanz zu, zumindest keine kritische. Beispielsweise kommt an mehreren Stellen eine umstrittene Aktion Eidingers zur Sprache, bei der dieser mit einer Rindsleder-Tasche im Design der Aldi-Nord-Tüten posierte. Dass die Kritik an dieser Aktion Eidinger getroffen hat, ist unverkennbar. Mehrfach regt er sich darüber auf, fühlt sich von allen verfolgt. Worin die Kritik aber bestand, wird aus dem Film heraus nicht deutlich. Zu Wort kommen, wie so oft bei solchen Künstler-Dokus, nur Leute, welche die porträtierte Figur ohne Ende loben.
Spannend mit Redundanzen
Das ist ebenso bedauerlich wie das Beharren auf das Motiv des unverstandenen Künstlers. Dass sich Eidinger so fühlt, ist dabei weniger das Problem. Dieses Motiv mehrfach aufzugreifen, führt aber unweigerlich zu Redundanzen. Aus dem reinen Beobachten wird ein bewusst zusammengeschnittenes Narrativ, das nicht annähernd so abwechslungsreich ist wie das Wirken des Schauspielers. Man sollte doch meinen, dass bei sich über mehrere Monate hinwegziehenden Arbeiten an dem Dokumentarfilm spannendere Momente gefunden hätten. Solche, die vielleicht auch für mehr Ambivalenzen sorgen, als man es bei Lars Eidinger – Sein oder nicht Sein offensichtlich haben wollte.
Wobei es durchaus Szenen gibt, die dem Bild des Exzentrikers gerecht werden und auf die eine oder andere Weise verblüffend sind. Wenn Eidinger über die Bedeutung von Schuhen spricht, sich über seine Schokoladenseite austauscht oder in einem grotesken Kostüm herumstolziert, dann sind das schon interessante Momente. Auch die Abhängigkeit des Schauspielers von einem Publikum – seine Bühnenkunst entsteht erst auf einer Bühne – und die starke Sehnsucht nach Anerkennung bringen einige spannende Einblicke mit sich. Als Ansammlung von Kuriositäten und Ansichten ist das hier daher schon lohnenswert, die Faszination für den Künstler ist auf jeden Fall ansteckend. Zumindest wird immer wieder klar, warum Lars Eidinger eine Ausnahmeerscheinung ist, egal, welchem Projekt er sich gerade zugewendet hat.
OT: „Lars Eidinger – Sein oder nicht Sein“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Reiner Holzemer
Drehbuch: Reiner Holzemer
Musik: Max Rieger
Kamera: Reiner Holzemer
Mitwirkende: Lars Eidinger, Juliette Binoche, Isabelle Huppert, Edith Clever, Angela Winkler, Verena Altenberger, Gustav Peter Wöhler, Thomas Ostermeier, Michael Sturminger, Olivier Assayas
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