Die Zeit heilt alle Wunden, hört man immer wieder von wohlmeinenden Menschen, wenn man gerade in einer schweren Krise steckt. Das soll Hoffnung spenden, um innerhalb des Schmerzes nicht vorzeitig aufzugeben. Und zumindest zum Teil ist da sicher etwas Wahres dran, wenn manches, das akut das Ende der Welt zu sein scheint, irgendwann doch nur eine Vergangenheit ist. Aber eben nur zum Teil. Manche Wunden bleiben eben doch, werden weder durch die Zeit noch das Vergessen wieder gut. Weil nicht alles, das schlecht ist, wieder gut werden kann. Von eben einem solchen Beispiel erzählt Liebe Angst, wenn wir hier eine Mutter und ihre Tochter kennenlernen, die beide von dem Schrecken des Holocausts geprägt wurden. Nur auf zwei sehr unterschiedliche Weisen.
Zwischen Sprechen und Vergessen
Überhaupt würde man auf den ersten Blick kaum ahnen, dass Lore die Mutter die Kim ist. So ist Lore sehr unordentlich. So unordentlich, dass Kim an einer Stelle des Dokumentarfilms in einer Mischung aus Anerkennung und Spott feststellt, wie ordentlich es dieses eine Mal bei ihr aussieht. Gleichzeitig hat Lore diese seltsame Angewohnheit, alles im Leben auf Karteikarten festzuhalten. Alles, nur nicht das eigene Leben, zumindest die Passagen, die mit einem unmenschlichen Schmerz verbunden waren. Wie ihre eigene Mutter Marianne, die von den Nazis deportiert und ermordet wurde, als Lore gerade einmal sechs Jahre alt war. Oder wie Tom, Lores Sohn und Kims Bruder, der sich das Leben nahm. Beides will die alte Frau nicht. Will nicht darüber nachdenken, nicht darüber sprechen. Sie würde es vielleicht auf eine dieser Karteikarten schreiben und diese dann so weit unter allen anderen begraben, bis nichts mehr davon zu sehen ist.
Auch hier ist Kim anders. Sie will darüber sprechen, will dem Schmerz begegnen, der sowieso immer da war, wie ein Schatten, der über allem liegt. Weil sie es braucht. Regisseurin Sandra Prechtel hat das Duo begleitet bei dem Versuch, das Unvereinbare zu vereinen und das Unausgesprochene, vielleicht Unaussprechliche in Worte zu packen. Einfach ist das natürlich nicht, weder für die beiden Frauen, noch für das Publikum, das bei dieser generationenübergreifenden Therapiesitzung still danebensitzt. Zwischendurch ist Liebe Angst selbst aus der sicheren Distanz heraus ein harter Brocken. Was bedeutet das, mehrfach im Leben einen geliebten Menschen verloren zu haben, während man selbst hilflos mitansehen musste? Wie fühlt es sich an, selbst zu überleben?
Wortlos vielsagend
Solche Nabelschauen können schnell unangenehm voyeuristisch werden, wenn Dokumentationen das Leid gezielt nutzen und damit ausnutzen. Doch Prechtel verzichtet dankenswerterweise darauf, daraus einen dieser zynischen Elendstourismus-Filme zu machen. So lässt sie die beiden Frauen lieber für sich sprechen. Und zu sagen haben sie beide viel, selbst dann, wenn das Schweigen im Raum steht. Tatsächlich ist Liebe Angst auch deshalb so sehenswert, weil die zwei Protagonistinnen spannend sind und man ihnen und der Dynamik der beiden gern zusieht. Selbst dann, wenn es gerade wieder schwierig wird und man nicht ganz sicher ist, ob man dabei sein sollte.
Überhaupt ist der Dokumentarfilm, der beim Filmfest München 2022 lief, keiner, der dem Publikum viel Gewissheit mitgibt. Hier gibt es eben keine beschwichtigenden Floskeln. Gibt es keine definitiven Antworten, wie man mit einem Trauma umzugehen hat. Stattdessen wird gesucht und versucht. Und eben auch gefunden: Auch wenn Liebe Angst keine Anleitung mitgibt, wie Menschen aus ihren Krisen herauskommen können, ist es doch aufmunternd, wie die beiden Frauen sich annähern. Wie sie Gräben überwinden, die sich durch das Leid gebildet haben, und sich eine Liebe ausdrückt, der selbst das größte Unglück nichts anhaben konnte. Das lässt sich dann vielleicht nicht so gut zusammenfassen, dass es auf eine Karte oder ein Kalenderblatt passt. Aber es hinterlässt auch ohne Worte viel Wirkung.
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