Was wir im Deutschen als Wrestling bezeichnen, das heißt im Englischen pro wrestling beziehungsweise professional wrestling. Damit wird die Abgrenzung zum amateur wrestling deutlich gemacht – was bei uns das Ringen ist. Von Unwissenden wird es gerne ignorant als „fake“ verschrien. Das ist eine Aussage, die von einem völlig falschen beziehungsweise gänzlich fehlendem Verständnis der Materie zeugt. Auch wenn das Wrestling nicht so sehr mit Magie und Film verbunden ist wie diese beiden untereinander, teilen sie doch einige auffällige Gemeinsamkeiten. Bei allen drei Unterhaltungsformen geht es in erster Linie genau darum – Unterhaltung. Dass der jeweilige Betrachter dafür getäuscht werden muss, ist eine notwendige Annehmlichkeit. Von Übel kann hier nämlich nicht gesprochen werden. Von den dreien ist der Film als Erfindung des ausgehenden 19. Jahrhunderts am jüngsten. Das Wrestling ist nur etwas älter; in den 1860er-Jahren wurde langsam damit angefangen, die Kämpfe zu skripten. Die Zauberkunst hat ein paar Jahrhunderte mehr auf dem Buckel. Wrestling ist jedoch auch ein Ableger des Ringens, welches dem Konsens nach die älteste Kampfsportart ist, und seine Wurzeln vermutlich in der Wiege der Menschheit hat.
Kritiker des Wrestlings verstehen, dass ein verblüffendes Zauberkunststück durch die Enthüllung des Tricks dahinter seinen Reiz verlieren kann. Sie verstehen, dass ein Making-Of-Video die Spannung aus einer gefährlich wirkenden Filmszene nehmen kann. Nur beim Wrestling ist es aus irgendeinem Grund ein Kapitalverbrechen zu „faken“. Die Faszination fürs Wrestling nährt sich vom gleichen Boden. Seinen Anhänger ist es schlicht egal, dass das Ergebnis eines Matches bereits vorab feststeht. Lange Zeit umgab das Wrestling ein gewisses Mysterium. Wer sind diese Leute, die da in den viereckigen Ring steigen? Wie wird jemand denn zum Undertaker (Escape the Undertaker)? Wie lässt sich der nächste Rey Mysterio Jr. (Contra las cuerdas) finden? Einen ersten großen Einblick gab WWE Tough Enough, deren erste Staffel 2001 auf MTV ausgestrahlt wurde. Es handelte sich um eine Reality-Show, bei der die Teilnehmenden Training im professional wrestling erhielten und die Chance bekamen, am Ende für die WWE zu wrestlen.
Zu Besuch bei einer Wrestling-Schule
Neben gigantischen Promotionen wie der WWE gibt es aber natürlich auch zahlreiche kleinere Organisationen, kommerziell oder im Indiebereich. „Paulsboro is known for wrestling and wrestling and wrestling and wrestling“, hören wir zu Beginn von Monster Factory. Die Apple TV+ Dokuserie widmet sich ebenfalls aufstrebenden Wrestling-Talenten. Paulsboro, das ist eine kleine Fabrikstadt in New Jersey. Nicht klein genug, um alle der etwa 6000 Einwohner vorstellen zu können, aber immerhin sechs davon werden wir hier kennen lernen. Fünf ambitionierte Wrestler und ihren Coach. Monster Factory ist nicht nur der Name der Show, sondern auch der Name der Wrestlingschule. Superstars wie Bam Bam Bigelow oder Big Show (The Big Show Show) trainierten hier.
Ganz so berühmt sind unsere Helden natürlich nicht – noch nicht? Monster Factory hat nicht nur einen soliden Production Value, die Serie hat einen kompetenten narrativen Aufbau vorzuweisen. Geschickt werden die Protagonisten in zügigem Pacing vorgestellt. Von Anfang an spüren wir die Leidenschaft, die Coach Danny Cage sowohl für das Wrestling als auch für seine Schützlinge aufbringt. Das heißt keineswegs, dass er sie verhätscheln würde – eher im Gegenteil. Mit harter Hand führt er die Trainingssessions. Den Schülern ist es recht so; zu viele Coaches wären heutzutage eher darauf bedacht, dass die Mitglieder sich wohl fühlen, damit der Geldfluss gesichert ist. Es wird im Leben aber kaum jemand etwas erreichen, der grundlos mit Teilnahmeurkunden und freundlichen Worten überschüttet wird, ohne je etwas leisten zu müssen. Dannys Strenge rührt daher, dass ihm seine Zöglinge am Herz liegen. Er möchte ihren Erfolg fast noch mehr als sie selbst.
Die Kunst der Vermarktung
Wir lernen Danny und Co. aber nicht nur im Wrestlingclub kennen. Bevor wir uns noch von den neuen Eindrücken im Gym erholt haben, sitzen wir schon bei ihm zuhause und hören seiner Frau Tracy zu, lassen uns von ihm über seine Vergangenheit als Indiewrestler erzählen. Monster Factory schafft es mühelos, dass wir schon nach jeweils wenigen Minuten das Gefühl haben, die meisten der vorgestellten Personen seit Monaten zu kennen. In den ersten beiden Folgen liegt der Fokus hauptsächlich auf Danny und der 19-jährigen Wrestlerin Notorious Mimi, die eine Einladung zu den WWE Tryouts erhalten hat – somit die Chance bekommt, vor Talentscouts der größten Wrestlingliga der Welt zu performen. Bei den Tryouts dürfen wir leider nicht zuschauen – die WWE erlaubt keine Kameras. Daher kehren wir zurück in den Club, wo Danny eine Indieshow mit seinen Schülern für das Publikum auf die Beine gestellt hat. Schließlich muss er sich um 40 Nachwuchstalente kümmern, und jedem die bestmöglichen Startchancen einräumen. Pro Jahr werden im Schnitt anderthalb Mitglieder der Monster Factory von großen Promotionen unter Vertrag genommen – auch wenn es für Uneingeweihte nicht so klingen mag, ist das eine enorme Quote.
Die körperliche Konstitution ist ein wichtiger Faktor im Leben eines Wrestlers, aber bei weitem nicht der einzige. Skills am Mic sind eine essenzielle Voraussetzung, um es zu etwas zu bringen. Schon vor Social Media war es für den Wrestler kriegsentscheidend, sich zu vermarkten. Da wird Fans natürlich nichts Neues erzählt, aber Monster Factory ist für Zuschauer jeden Kenntnisstandes geeignet: Begriffe wie cut a promo, heel, to sell a move und so weiter werden hier leicht verständlich und ganz nebenbei erklärt. Am stärksten ist Monster Factory ohnehin dann, wenn es ums Menschliche geht, was die Serie universell macht. Natürlich hat nicht jeder Aspirationen, ein Wrestler zu werden, aber jeder kann die privaten Probleme der Protagonisten verstehen. Jeder kann verstehen, was der Lebenstraum Wrestling für die Protagonisten bedeutet. Die ersten beiden Episoden sind klar das Flaggschiff der Serie, die weiteren vier sind aber nichtsdestotrotz ebenfalls überaus anschaubar, auch wenn sie im direkten Vergleich etwas nachlassen. Allerdings ist Monster Factory chronologisch gefilmt, der Plot also von der Realität vorgegeben. Ein begabter Drehbuchautor hätte manches von dem, was anfangs passiert, eher gegen Ende platziert, hier konnte es sich aber eben nicht ausgesucht werden.
OT: „Monster Factory“
Land: USA
Jahr: 2023
Regie: Galen Summer, Naiti Gámez
Musik: Dan Deacon
Kamera: Zach Kuperstein
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