Viele werden, wenn sie Rock’n’Roll hören, vermutlich zuerst an Namen wie Jerry Lee Lewis oder Elvis Presley denken. Doch auch wenn die Scheinwerfer der Geschichte sie nicht gebührend beleuchtet haben, auf der Bühne dieses Musikzweiges standen bereits in den frühen 1950er Jahren eine Reihe Musikerinnen, die nicht nur gegen Vorurteile zu kämpfen hatten, sondern einen prägenden und inspirierenden Beitrag leisteten – für die Rolle der Frau in der Gesellschaft, aber auch für den Rock’n’Roll selbst.
Wie schon in früheren Projekten richtet die preisgekrönte Regisseurin Marita Stocker in Rock Chicks den Fokus auf Künstler und Künstlerinnen und ihre Arbeit. Sie stellt in diesem Werk unteranderem die Frage, wer die wegebnenden „Eisbrecherinnen“ für Frontfrauen wie Linda Perry von den 4 Non Blondes oder Skin von Skunk Anansie waren, heißt es in den Directors Notes, deren Können und Energie die Regisseurin inspiriert haben. In Rock Chicks geht es um Frauen im Rock’n’Roll. Wer waren die Künstlerinnen? Was bedeutete ihnen die Musik? Welchen Einfluss hatten Sie auf das Genre und auf die Menschen?
Portraits
Es geht in dieser Dokumentation weniger darum, biografische Daten abzuarbeiten, sondern eher darum einen Gesamteindruck zu gewinnen. Wer waren wegweisende, weibliche Rock’n’Roll-Musikerinnen? Wie sah die Branche damals aus? Teilweise hätte man sich hier etwas mehr Informationen über die Künstlerinnen gewünscht, ihre Wege ins Rampenlicht. Wobei das potenziell auch zeitliche Rahmen gesprengt hätte. Dafür hören wir viele Erfahrungsberichte, sehen Fotografien und alte Aufzeichnungen von Auftritten. Dass man unteranderem auch die direkte Reaktion auf diese Aufzeichnungen sieht, verleiht der Dokumentation etwas zusätzlich sehr Nahbares und Menschliches.
Wir sehen jubelnde Massen, die Musikerinnen teilweise versunken in ein Stück, Gitarre spielend, bei Kaffee ein Lied übend. Man merkt, dass die Regisseurin ein gutes Gespür dafür besitzt, wie sie einen „Magic Moment“ einfangen kann. Der Film zeichnet sich durch eine – konträr zum Rock’n’Roll – ziemlich entspannte, ruhige Atmosphäre aus. Was nicht heißt, dass das Haus nicht auch gerockt würde. Der Film zeichnet sich durch einen angenehmen Flow aus – man könnte auch Rhythmus sagen.
Immer wieder begleiten wir die Künstlerinnen auf Autofahren, Reisen durch das Land, Reisen zu Auftritten. Dabei entwickelt die Kamera ganz nebenbei auch schöne Landschaftsaufnahmen. Es wirkt wie ein zusätzliches Thema für den Film. Die Häufigkeit legt die Vermutung nahe, dass es eine metaphorische Aufladung besitzt: Die Reise, das Vorankommen. Sowie die Rock’n’Rollerinnen die Musik und die Menschen vorangebracht haben. Musik als Reise, gewissermaßen auch als Akt der Befreiung. Dazu würden auch die weiten, offenen Landschaften passen, die wir sehen. Zusätzlich erleben wir Reisen in die Rock’n’Roll-Vergangenheit – Fernsehaufzeichnungen, altes Merchandise, Anekdoten. Es macht Spaß den Künstlerinnen dabei zuzuhören, wie sie mit Passion über die Musik sprechen.
Einflüsse
Wer sich bisher vielleicht nur oberflächlich mit der Thematik auseinandergesetzt hat, der wird hier sicherlich einige Aha-Momente haben. Die Einflüsse und Inspirationen der Musikerinnen auf das Genre sind nicht zu übersehen. Big Mama Thronton nahm noch vor Elvis den Song Hound Dog auf und man findet im Film Rock Baby Rock it von 1956/1957 bereits Elemente der Inszenierung und der Choreografie aus dem später erschienen Jailhouse Rock wieder.
Der Film lässt auch deutlich gesellschaftskritische Töne anklingen in Bezug auf den enervierend sexistischen Umgang der Branche mit weiblichen Künstlerinnen. Dadurch erhält der Rebellionsaspekt – „Das war nicht bloß Musik, es war Rebellion“, heißt es im Film –, eine historische Dimension.
OT: „Rock Chicks – I am not female to you“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie Marita Stocker
Drehbuch: Marita Stocker
Kamera: Mitja Hagelüken
Mitwirkende: Suzi Quatro, Kathy Valentine, Kristin Hersh, Rosi Flores, Linda Gail Lewis, Honeychild Coleman, Nancy Apple, Amy Lavere, Daphne A. Brooks, Nwaka Onwusa, Gayle Wald, Kay Wheeler
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