Guter Sex ist Charlotte (Sandrine Kiberlain) auch mit über 50 noch sehr wichtig. Auf Beziehungen legt sie hingegen eher weniger Wert, die braucht sie in ihrer aktuellen Lebensphase einfach nicht mehr. Als sie eines Tages Simon (Vincent Macaigne) über den Weg läuft, ist das für sie daher ideal. Die körperliche Anziehungskraft ist da, gleichzeitig ist er verheiratet und Familienvater. Auf diese Weise können sie das alles schön unverbindlich halten und müssen sich keine Gedanken darüber machen, dass es irgendwann ernst werden könnte. Ein bisschen Spaß zwischendurch, mehr wollen sie gar nicht. Wobei sie sich auch persönlich gut verstehen und sich über alles Mögliche austauschen können – was die Geschichte dann doch irgendwie kompliziert macht …
Wenn Sex mehr wird
Wenn in Filmen die Figuren eine Affäre starten, nimmt das selten ein gutes Ende. So gibt es ein ganzes Thriller-Subgenre, bei denen ein Seitensprung teuer bezahlt werden muss, getreu den puritanischen Vorstellungen Hollywoods. Auch im Drama-Bereich gibt es zahlreiche Beispiele, in denen solche Betrügereien auf die eine oder andere Weise bestraft werden, und sei es nur durch Kontrollverlust. Aber es gibt auch Ausnahmen, bei denen Filme solche Affären einfach nur beschreiben, ohne sie damit gleich werten zu wollen. Vor einigen Wochen startete An einem schönen Morgen bei uns im Kino, bei dem eine Frau in der Krise mit einem alten Bekannten anbändelt, obwohl der verheiratet war. Nun startet mit Tagebuch einer Pariser Affäre ein zweiter französischer Film in kurzer Zeit, der eine solche Geschichte erzählt.
Im Gegensatz zur obigen Kollegin ist Charlotte aber deutlich selbstbestimmter. Die Affäre wird bei ihr auch nicht Teil einer Übergangsphase, durch die alles im Leben auf den Kopf gestellt wird. Dafür weiß sie zu genau, was sie will – und was sie nicht will. Im Grunde geht das hier daher in die Richtung von Liebeskomödien wie Freundschaft Plus. Immer heißt es da am Anfang, dass Sex ohne Gefühle möglich ist und das alles ganz wunderbar einfach wird. Bis es das nicht mehr ist. Es dürfte daher auch niemanden im Publikum überraschen, wenn auch in Tagebuch einer Pariser Affäre die zunächst noch völlig unverbindliche Liebelei mit der Zeit doch an Tiefe gewinnt und die beiden mehr füreinander sind als eine bloße Bettbekanntschaft. Damit einher gehen Zweifel und die Frage, wie es in Zukunft weitergehen soll.
Nachdenklich und eigensinnig
Und doch wäre es nicht fair, wenn man den Film auf diese Klischees reduzieren wollte. So ist die Liebeskomödie, die bei den Filmfestspielen von Cannes 2022 Premiere hatte, deutlich nachdenklicher. Wo es bei den thematisch ähnlich gelagertem Werken oft nur darum geht, irgendwelche traumhaft aussehenden Leute gemeinsam ins Nett zu stecken und dabei die eine oder andere peinliche Situation zu kreieren, da ist Regisseur und Co-Autor Emmanuel Mouret (Leichter gesagt als getan) bei Tagebuch einer Pariser Affäre deutlich stärker an einem Austausch interessiert. Seine Figuren haben mehr Ecken und Kanten, sind auch tiefsinniger, als es in diesem Segment oft üblich ist, was sicher teils durch das höhere Alter bestimmt ist. Da treffen zwei Leute aufeinander, die sich tatsächlich etwas zu sagen haben und reflektierter mit der Situation umgehen.
Aber auch bei der Umsetzung der Geschichte ist Tagebuch einer Pariser Affäre eigensinniger. So ist der Film dem Titel entsprechend tatsächlich wie ein Tagebuch angelegt. Das bedeutet, dass sich Mouret für eine elliptische Erzählweise entschieden hat, bei der wir immer wieder von Treffen zu Treffen springen, die Ereignisse dazwischen aber höchstens angesprochen werden. Von der Außenwelt bekommen wir dadurch nur wenig mit. Es gibt kaum andere Figuren, die in dem Film mal auftauchen. Das ist einerseits realistisch und im Einklang mit der Natur einer solchen Affäre. Es führt aber auch dazu, dass man sich manchmal außen vor fühlt und die Ereignisse etwas Bühnenhaftes an sich haben.
OT: „Chronique d’une liaison passagère“
Land: Frankreich
Jahr: 2022
Regie: Emmanuel Mouret
Drehbuch: Pierre Giraud, Emmanuel Mouret
Kamera: Laurent Desmet
Besetzung: Sandrine Kiberlain, Vincent Macaigne, Georgia Scalliet, Maxence Tual, Stéphane Mercoyrol
Wer mehr über den Film erfahren möchte: Wir haben uns mit Regisseur und Drehbuchautor Emmanuel Mouret unterhalten. Im Interview zu Tagebuch einer Pariser Affäre sprechen wir über ungezwungene Bindungen und anregende Ellipsen.
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
César | 2023 | Bester Hauptdarsteller | Vincent Macaigne | Nominiert |
Prix Lumières | 2023 | Bester Hauptdarsteller | Vincent Macaigne | Nominiert |
Cannes 2022
Internationales Filmfestival Mannheim Heidelberg 2022
Französische Filmwoche 2022
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