TÁR (2022)
© Universal Pictures

Tár

„Tár“ // Deutschland-Start: 2. März 2023 (Kino) // 17. August 2023 (DVD / Blu-ray)

Inhalt / Kritik

Lydia Tár (Cate Blanchett) hat im Leben alles erreicht, als Dirigentin hat sie Weltruhm erreicht. Doch sie hat noch weitere Ziele. So arbeitet sie an einer Aufführung von Gustav Mahlers Fünfter Symphonie und hat ein Buch veröffentlicht, wofür sie schon einmal Werbung macht. Während sie sich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere wähnt, tauchen dunkle Wolken am Horizont auf. So kriselt ihre Ehe mit Ersten Violinistin Sharon (Nina Hoss), mit der sie ein Kind großzieht. Es gibt Konflikte hinter den Kulissen, was auch ihre Assistentin Francesca (Noémie Merlant) vor große Herausforderungen stellt. Und während Tár von der neuen Cellistin Olga (Sophie Kauer) fasziniert ist, erfährt sie von dem Selbstmord einer jungen Musikerin, zu der sie ein enges Verhältnis hatte …

Die Kunst der Verachtung

Man kann nicht unbedingt behaupten, dass Todd Field ein sehr produktiver Filmemacher ist. Nachdem er als Schauspieler eine Reihe von Auftritten hatte, gab er 2001 mit In the Bedroom sein Regiedebüt. Fünf Jahre später folgte Little Children. Seither: nichts. Allein deshalb schon war die Neugierde groß, als bei den Filmfestspielen von Venedig 2022 sein lang erwarteter dritter Film Tár Premiere feierte. Dort sorgte er für Begeisterung, aber auch für kritische Kommentare. Denn obwohl das Drama zum erweiterten Favoritenfeld bei den Oscars zählt, ist es nicht unumstritten. Das liegt an seinem heiklen Thema – und daran, dass es in mehrfacher Hinsicht so ambivalent ist, dass das Publikum eigene Schlüsse ziehen muss. Und die können sehr unterschiedlich ausfallen, je nach eigenem Standpunkt.

So greift Field hier gleich zwei heiße Eisen an. Das eine ist #MeToo. Anfangs merkt man das noch nicht so. Anspielungen auf ein Fehlverhalten von Tár baut Field zwar ein. Es dauert aber eine Weile, bis klar wird, dass die Dirigentin immer wieder junge Frauen gezielt gefördert hat und dabei persönliche Ziele verfolgte. Da ging es nicht darum, wer die besten Qualifikationen hatte, sondern wer ihr persönlich gefiel. Das Beispiel Krista Taylor, deren Selbstmord zu einem Stolperstein im Leben der Protagonistin wird, zeigt auf, wie eiskalt Letztere ihre Lieblinge auch wieder abservieren kann. Die kultivierte Frau, die in Interviews so eloquent ist, charmant und witzig sein kann, ist auch voll Verachtung für die Menschen. Was für sie zählt, ist die Kunst und das persönliche Vergnügen. Wertvoll ist, wer zu beidem etwas beitragen kann. Der Rest ist ihr egal.

Ambivalent und faszinierend

Das klingt nach einer eindeutigen Verurteilung der Hauptfigur. Ganz so eindeutig ist es aber nicht. Nicht nur, dass Tár von der Schwierigkeit erzählt, einen künstlerischen Menschen von seiner Kunst zu trennen. Ist es möglich, das Werk von jemandem zu genießen, der andere Menschen zerstört? Machen wir uns dadurch mitschuldig oder hat das eine nichts mit dem anderen zu tun? Field spricht zudem die sogenannte Cancel Culture an, die für viele zu einem Sammelbegriff für all das geworden ist, was man an der modernen Gesellschaft nicht mag. Auch die ist hier zwiespältig. So gibt es eine Szene, in der ein Student sich gegen Bach ausspricht aus moralischen Überlegungen und dabei von Tár vor allen anderen lächerlich gemacht wird, indem sie ihm sein Unwissen demonstriert. An der Stelle werden vor allem diejenigen laut applaudieren, die ihr Vergnügen nicht moralisiert haben möchten und an den richtigen Stellen die Augen zudrücken. Und doch ist es ein Totschlagargument, mit dem sich aus der eigenen Verantwortung gezogen werden soll.

Über diese Szene wie auch die späten darf ausgiebig diskutiert werden. Wollen wir auf große Kunst verzichten, wenn dadurch Menschen beschützt werden? Oder wählen wir die Kunst und nehmen dafür in Kauf, Kristina und die anderen zu opfern? Tár bleibt hier ambivalent, gibt keine eindeutigen Antworten. Das betrifft auch sonderbare Szenen, in denen das Drama auf einmal Horror-Elemente aufgreift, parallel zu dem Kontrollverlust der Protagonistin. Field sieht fasziniert der Dirigentin zu, zeigt sie in ihren unterschiedlichsten Facetten. Cate Blanchett, die von Anfang an die Wunschkandidatin des Regisseurs war, ist hierfür natürlich eine Idealbesetzung. Wie kaum einer anderen Schauspielerin gelingt ihr der Spagat aus Charisma und Eiseskälte, aus Stärke und Verletzlichkeit. Auch wenn man im Anschluss nicht genau weiß, was man von der Figur halten soll, die Lichtgestalt und Monster in einem ist: Sie auf der Leinwand sehen zu dürfen, ist auf jeden Fall ein Geschenk.

Credits

OT: „Tár“
Land: USA
Jahr: 2022
Regie: Todd Field
Drehbuch: Todd Field
Musik: Hildur Guðnadóttir
Kamera: Florian Hoffmeister
Besetzung: Cate Blanchett, Noémie Merlant, Nina Hoss, Sophie Kauer, Julian Glover, Allan Corduner, Mark Strong

Bilder

Trailer

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
Academy Awards 2023 Bester Film Nominiert
Beste Regie Todd Field Nominiert
Beste Hauptdarstellerin Cate Blanchett Nominiert
Bestes Original-Drehbuch Todd Field Nominiert
Beste Kamera Florian Hoffmeister Nominiert
Bester Schnitt Monika Willi Nominiert
BAFTA 2023 Bester Film Nominiert
Beste Regie Todd Field Nominiert
Beste Hauptdarstellerin Cate Blanchett Sieg
Bestes Original-Drehbuch Todd Field Nominiert
Bester Ton Deb Adair, Stephen Griffiths, Andy Shelley, Steve Single, Roland Winke Nominiert
Film Independent Spirit Awards 2023 Bester Film Nominiert
Beste Regie Todd Field Nominiert
Beste Hauptdarstellerin Cate Blanchett Nominiert
Beste Nebendarstellerin Nina Hoss Nominiert
Bestes Drehbuch Todd Field Nominiert
Beste Kamera Florian Hoffmeister Nominiert
Bester Schnitt Monika Willi Nominiert
Golden Globes 2023 Bester Film (Drama) Nominiert
Beste Hauptdarstellerin (Drama) Cate Blanchett Sieg
Bestes Drehbuch Todd Field Nominiert
Venedig 2022 Goldener Löwe Nominiert
Queer Lion Nominiert
Beste Darstellerin Cate Blanchett Sieg

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Tár
fazit
„Tár“ folgt einer Frau, die als Dirigentin Großes geschaffen hat und gleichzeitig rücksichtlos das Leben anderer zerstört. Der Film ist dabei eine ambivalente Auseinandersetzung mit #MeToo und Cancel Culture, die es dem Publikum nicht leicht macht. In Erinnerung bleibt einem das Porträt einer faszinierenden Persönlichkeit jedoch, gerade auch wegen einer entfesselten Cate Blanchett, die hier die Balance aus Charisma und Eiseskälte mitbringt.
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