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Eigentlich war der Abriss des Dorfes Alt-Bützenich längst beschlossene Sache. Doch dann kommt es anders, zur Verwunderung der Bevölkerung. Noch rätselhafter ist aber, dass der Arzt Dr. Christian Franzen (Leopold von Verschuer) in dem alten Dorf erschossen aufgefunden wird, nachdem jemand in sein Haus eingebrochen sein soll. Als Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) in dem Fall ermitteln, stellen sie fest, dass der Verstorbene nicht unbedingt beliebt war, was die Suche nach dem Täter oder der Täterin nicht vereinfacht. Dabei stellt sich die ehemalige Pensionswirtin Karin Bongartz (Barbara Nüsse), bei der die beiden Polizisten notgedrungen ihr Quartier aufschlagen, als nützliche Informationsquelle heraus, hat sie doch viel über die Menschen und ihre Geschichten zu erzählen …
Die Trauer zieht weiter
Derzeit springt man beim Tatort wieder von Thema zu Thema. Hoch im Kurs stehen dabei gesellschaftliche Phänomene, die auf einzelne Individuen heruntergebrochen werden. Das kann mal humorvoll sein wie bei MagicMom, das sich über Influencerinnen und bewussten Umgang miteinander lustig machte. Schockierend wurde es im Folgefilm Hackl über einen bissigen, alten Außenseiter und verlorene Gestalten in einem Plattenbau. Nun kommt mit Abbruchkante ein weiterer Film, der dazu prädestiniert ist, aktuelle Schieflagen anzusprechen und damit Kritik zu üben. Schließlich steht im Mittelpunkt ein Dorf, das dem Erdboden gleichgemacht werden sollte, damit dort Kohle abgebaut wird. Am Ende kam es anders, weshalb die ganzen Gestalten verloren in der Gegend herumstehen und trotz großer Versprechungen nicht wissen, wie es weitergehen soll.
Das hätte eine große Anklage gegen den Raubbau werden können. Gegen einen Kapitalismus, der die Umwelt zerstört und die Menschen verschluckt. Etwas unerwartet interessiert sich der 1229. Teil der ARD-Krimireihe aber kaum dafür. Das Drehbuchduo Eva Zahn und Volker A. Zahn nutzt die Gelegenheit vielmehr, um sich den Leuten und ihren Geschichten zu widmen. Dass einige von denen auf den Doktor nicht gut zu sprechen sind, verwundert nicht. Tatort: Abbruchkante ist schließlich trotz allem ein klassischer Whodunnit-Krimi, bei dem das Publikum rätseln darf, wer den Mord begangen hat. Und doch rückt das immer wieder in den Hintergrund, wenn es vor allem die traurigen Schicksale sind, die den aktuellen Fall des Köler Duos definieren.
Tieftrauriger Krimi ohne Gewinner
Schon der Einstieg zeigt auf, in welche Richtung das alles gehen wird. So gibt es zum Auftakt ein altes Ehepaar, das ganz verträumt miteinander tanzt, der prickelnde Sekt steht nebendran – bevor sie sich gemeinsam umbringen wollen. Auf diese Weise geht es weiter. Zwar ist die Zahl der Figuren überschaubar, was automatisch den Rätselgehalt drückt. Doch Tatort: Abbruchkante hat über sie alle etwas zu sagen, wenn sie jeweils durch das traurige Leben geprägt wurden und auch durch den einen oder anderen Todesfall. Da gibt es die alkoholkranke Witwe, den trauernden Opa, den vor Wut gefüllten Enkel. Lediglich die ehemalige Pensionswirtin sorgt für kleine Tupfer der Wärme und auch des Humors, wenn sie die beiden Polizisten zu einer eher weniger gesetzestreuen Aktion anstiftet. Die Moral und Gott seien auf ihrer Seite. Außerdem ginge es darum, das Dorf zu beschützen, wie immer.
Mit der Kohle und Umweltschutz hat das nichts zu tun. Vieles von dem, was hier erzählt wird, hätte auch in einem anderen Kontext funktioniert. Und doch ergibt es irgendwie Sinn, wie die einzelnen Mosaiksteine zusammengesetzt werden, die nicht zusammengehören und doch ein Bild ergeben. Tatort: Abbruchkante ist ein tieftrauriger Krimi über Verlust und Menschen, die irgendwo auf dem Weg in die Zukunft gebrochen wurden. Wenn dann zum Schluss ganz klassisch alle Verdächtigen versammelt werden, um die Tat zu rekonstruieren, spielt es fast schon keine Rolle mehr, wer letztendlich abgedrückt hat. Gewinnen kann hier niemand mehr.
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