The Lost Boys Le paradis
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Le Paradis

„Le Paradis“ // Deutschland-Start: 29. Februar 2024 (Kino) // 16. Mai 2024 (DVD)

Inhalt / Kritik

Joes (Khalil Gharbia) Tage in der Jugendstrafanstalt sind geprägt von monotoner Routine aus Arbeit, Sport und Schule, die den Jugendlichen Struktur geben und sie auf die Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorbereiten soll. Joe jedenfalls sehnt sich seiner Entlassung entgegen. Dem Tag in die Unabhängigkeit und die vermisste Freiheit. Nachdem er für einen Nachmittag aus der Anstalt abgehauen ist, um am Meer den Duft seines möglicherweise zukünftigen Lebens zu schnuppern, ermahnen ihn die Sozialarbeiter danach fortlaufend daran, nicht noch einmal solch eine Dummheit zu begehen. Schließlich gefährde das den Entlassungsprozess und im schlimmsten Fall würde ihm eine Freiheitsstrafe drohen. Während Joe dann mit den Vorbereitungen für sein neues Leben beginnt, zieht im Nachbarzimmer William (Julien de Saint Jean) ein. Die beiden entwickeln schnell Interesse füreinander und ganz plötzlich nimmt der Traum von Freiheit ganz neue Formen an …

Die Monotonie hinter Gittern

Ein verlassener Sportplatz, ein angrenzender ruhiger Wald, ein altes Backsteingebäude. Egal in welche Richtung der Blick schweift, es sind keine Menschen, sondern Gitter oder Zäune, die hier immer präsent sind. Unmissverständlich eröffnet Regisseur Zeno Graton sein Jugenddrama, über dem schon jetzt eine schwere Melancholie zu liegen scheint. Genau wie in Joes Stimme, die aus dem Off von einem Erlebnis mit seiner Mutter erzählt. Darin heißt es, er habe einmal im See eingefrorene Fische gesehen. In der Eisdecke aufgereiht, wie eine Familie sah das aus. Lange dachte er, sie würden Winterschlaf halten und wieder zum Leben erwecken, wenn der Winter vorbei sei. Dabei sieht Joe, der als einziger in der Gruppe dann noch vor einem leeren Blatt Papier sitzt und seine Gedanken nicht teilen will, selbst aus, als würde er seine Tage in der Vollzugsanstalt im Winterschlaf verbringen. Darauf warten aus diesem endlich zu erwachen.

Die vorherrschende, erdrückende Monotonie und die absolute Gleichheit manifestiert der Regisseur gleichwohl innerhalb nur weniger Bilder. Zeigt die Jungen in blauen Overalls beim Arbeiten, in roten Shirts beim Sport, in grauen Sachen, wenn sie ihre eingeschränkte Freizeit fernab des strickten Stundenplans verbringen. Es waren mal Einzelschicksale, die jetzt hinter Gittern in der Masse untergehen und in der Anonymität der Gruppe verschwimmen. Eine Anonymität, die sich in einer Gleichgültigkeit des Systems gegenüber jungen Inhaftierten äußert, das sie am Ende nämlich buchstäblich im Regen stehen lässt. Der Regisseur bindet dafür manchmal kurze Dialoge ein, in denen beispielsweise die betreuenden Erwachsenen schmerzhaft leere Versprechungen und Hoffnungen machen oder nutzt ausdrucksstarke Bilder als Metapher für einen Kreislauf, aus dem die Jugendlichen sehr wahrscheinlich in ihrem Leben nicht entkommen werden.

Freiheit als zweischneidiges Schwert

Und dessen sind die sich, allen voran sowohl Joe als auch William bewusst. So hält sich Joes Enthusiasmus für die eigene Wohnung und Weg zurück in die Selbstständigkeit immer in Grenzen. Wie wir später sehen werden, ist diese Zurückhaltung nur die Konsequenz daraus, dass er schon zu oft miterleben musste, wie Hoffnungen und Perspektiven von Strafrichtern grundlos zerstört wurden. Hinter dem scheinbar verschlossenen und leeren Blick jedoch brodeln die Emotionen. Nicht zuletzt auch Wut, die explosionsartig aus Joe herausbrechen und in einer minimalistisch gestalteten, aber umso eindrucksvollen Rap-Performance von Hauptdarsteller Khalil Gharbia münden wird. Erst in dem Moment erfahren wir dann etwas mehr über die Figur und warum die Zukunft in Freiheit für ihn ein zweischneidiges Schwert bleiben wird. Familiäre Probleme, Vernachlässigung durch die Eltern und Rassismus spielen da eine tragende Rolle und werden von dem Regisseur direkt adressiert.

Dem zweiten Protagonisten ergeht es ähnlich. Im Gegensatz zu Joe, dem Regisseur Graton die Musik als wichtigstes Ausdrucksmittel zur Verfügung stellt, zeichnet William. Und das ziemlich großzügig in seinem Zimmer verteilt. Das Bild der sich selbst fressenden Schlange, das er immer und immer wieder aufs Papier bringt, wird zum Leitsymbol von The Lost Boys. Für uns offenbart sich die Unendlichkeit hinter Gittern, für den Jugendlichen ist es der Beschützer eines Paradieses. Was damit gemeint ist, wird sich in The Lost Boys mit Beginn der Romanze zwischen Joe und William verdeutlichen. Dem Film haftet plötzlich eine subtile Zärtlichkeit und Schönheit an, die in den oft kontrastierenden Bildern noch sichtbar bleibt. Nicht zuletzt auch durch die Bildgestaltung mit der selbst gebauten Camera obscura und dem tanzenden Spiel von Licht und Schatten, das der Regisseur gemeinsam mit seinem Kameramann Olivier Boonjing (Wenn ich es oft genug sage, wird es wahr) auf fantastische Weise in Romantik übersetzt.

Unerwartet zarte Intimität

Das entstehende fotografische Abbild der Welt, der Jugendlichen und von Joe werden dabei zum Sammelpunkt von Gefühlen. Als Projektion von Sehnsüchten. Sehnsüchte nach Liebe an einem der hoffnungslosesten Orte. Dabei entwickelt das Drama eine unerwartet zarte Intimität, in der aus einem Kuss eine innige und liebevolle Umarmung wird oder ein selbst gestochenes Tattoo das versteckt gehaltene Zusammensein unter Beweis stellt. Vornehmlich allerdings nur für Joe und William. Eine geheime Beziehung entsteht, die der Regisseur mit seinem Film auf eine harte Probe stellt und mit einem emotionalen Finale in die Unendlichkeit des Paradieses im Winterschlaf entlässt.

Credits

OT: „Le Paradis“
Land: Belgien, Frankreich
Jahr: 2023
Regie: Zeno Graton
Drehbuch: Zeno Graton, Clara Bourreau
Musik: Bachar Mar-Khalifé
Kamera: Olivier Boonjing
Besetzung: Khalil Gharbia, Julien de Saint Jean, Eye Haïdara, Jonathan Couzinié, Samuel Di Napoli, Metéo Bastien, Nlandu Lubansu, Amine Hamidou, Terry Ngoga

Bilder

Trailer

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Le Paradis
fazit
Thematisch wenig subtil überzeugt das Jugenddrama vor allem durch zwei stark spielende Hauptdarsteller und die hervorragende audiovisuelle Gestaltung. Ein einfühlsames Debüt über Ängste, Hoffnungen sowie junge Liebe, Verlangen und Familie, das Freiheit neu definiert
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