Und draußen die Nacht

1978 steckt Italien in einer tiefen Wirtschaftskrise. Um sein Land wieder in die Spur zu bringen und tiefe Gräben in der Bevölkerung zu überwinden, beschließt Aldo Moro (Fabrizio Gifuni), dessen christdemokratische Partei gerade eine Minderheitsregierung innehat, mit der kommunistischen Partei und der gemäßigten sozialistischen Partei zusammenzuarbeiten. Die Reaktionen auf diese historische Entscheidung fallen jedoch gemischt aus. Sowohl konservative Kräfte wie Papst Paul VI. (Toni Servillo) wie auch kommunistische Aktivisten halten wenig von der Kooperation. Selbst bei den Christdemokraten ist das Vorhaben umstritten, bedeutet es doch, Posten im Kabinett aufgeben zu müssen. Doch so weit kommt es nicht, wird Moro doch auf dem Weg zum Parlament entführt …

Schlüsselmoment der italienischen Geschichte

In seinen Werken hat sich der italienische Regisseur und Autor Marco Bellocchio immer wieder mit Schlüsselentwicklungen seines Heimatlandes auseinandergesetzt. So erzählte er in Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra von einem epochalen Prozess gegen die Mafia, einem Meilenstein der Verbrechensbekämpfung. Und auch in der Serie Und draußen die Nacht, welche hierzulande per arte ausgestrahlt wird, nimmt er sich eines Ereignisses an, das in Italien tiefe Spuren hinterlassen hat. So erinnert er an den Politiker Aldo Moro, der 1978 von den Roten Brigaden entführt wurde, einer linksterroristischen Organisation, die gern als italienisches Pendant zur hiesigen RAF bezeichnet wurde. Auch diese wollte mit aller Gewalt ihre Vision einer Gesellschaft durchdrücken und beging zahlreiche Verbrechen. Darunter eben auch die Entführung des konservativen Moro.

Bis heute ranken sich zahlreiche Gerüchte um diese Entführung. Wie immer bei solchen Gewaltakten wird gemunkelt, dass das in Wahrheit alles völlig anders war und die Spuren bis ganz nach oben führen. An Feinden mangelte es Moro tatsächlich nicht. Sein Vorhaben, links und rechts miteinander zu versöhnen, führte nur dazu, dass ihn Linke und Rechte gleichermaßen ablehnten. Wo endgültige Antworten ausbleiben, wird dies zu einem Spielfeld wilder Hypothesen. Tatsächlich hätte sich der Stoff für eine der aktuell so beliebten True-Crime-Produktionen angeboten, etwa MH370: Das verschwundene Flugzeug. Doch Bellocchio geht es in der Serie nicht um irgendwelche Spekulationen, hat auch kein Interesse an billiger Unterhaltung. Wichtiger ist ihm, in Und draußen die Nacht ein Porträt der damaligen Zeit zu entwerfen.

Vielschichtiges Krimidrama

Natürlich dürfen die Zuschauer und Zuschauerinnen trotz allem reichlich mitfiebern, sofern sie nicht die Geschichte und deren Ausgang kennen sollten. Der Fokus der italienisch-französischen Produktion liegt aber nicht darauf. Stattdessen vertraut Bellocchio auf einen multiperspektivischen Ansatz. So wechselt er immer wieder zwischen verschiedenen Figuren und schildert dabei, wie diese die damalige Ausnahmesituation wahrnehmen. Das kann beispielsweise der Papst sein, der in der Kommunikation mit den Entführern nach den richtigen Wörtern sucht. Oder auch eine Terroristin, die in dem Chaos nach dem richtigen Weg sucht. Und draußen die Nacht entwirft auf diese Weise ein Mosaik, das die einzelnen Gruppierungen näherbringt und auch die Beziehungen zwischen diesen aufzeigt.

Als reines Genrewerk ist das deshalb weniger geeignet – weil es das auch gar nicht sein kann. Man sollte hier keinen actiongeladenen Thriller erwarten, bei dem man seine Fingernägel vor lauter Aufregung abkaut. Vielmehr handelt es sich bei der Serie, die 2022 bei den Filmfestspielen von Cannes Premiere feierte, um eine vielschichtige Mischung aus Drama und Krimi. Die Atmosphäre ist angespannt, auch unabhängig von dem Entführungsfall. Man hat hier ständig das Gefühl, dass das alles noch sehr viel schlimmer kommen wird. Das Ergebnis ist sehenswert und gut gespielt. Trotz des historischen Settings, welches uns mehr als 40 Jahre zurück in die Vergangenheit nimmt, ist Und draußen die Nacht auch erschreckend aktuell. Vor allem die hasserfüllten Gegensätze, bei denen man gegenseitig schon aus Prinzip keine Aussöhnung will, erinnern an heutige Gräben und wie finster es beim Umgang miteinander aussieht.