Die 28-jährige Tsunami-Forscherin Bigna (Valentina Di Pace) liebt Sex. Mit Menschen kann sie hingegen nicht ganz so viel anfangen, die sind für sie nur ein Mittel zum Zweck. Und so wechselt sie jedes Mal den Partner und gibt sich anonymen Rollenspielen hin. Bis sie den 33-jährigen DJ Frank (Dominik Fellmann) trifft. Auf Anhieb stimmt die Chemie. Sie stimmt so gut, dass Bigna von ihrer Linie abweicht und sich auf weitere Treffen mit ihm einlässt. Doch während Frank Interesse an mehr hätte, tut sie sich schwer damit, eine wirkliche Beziehung zu führen, zu sehr liebt sie ihre Freiheit. Die leidenschaftliche Affäre der beiden wird für sie zu einer zunehmenden Belastung …
Nur Sex, bitte
Geht Sex ohne Liebe? Dieser Frage sind im Laufe der Jahre eine ganze Reihe von Filmen nachgegangen. Die bekanntesten darunter dürften die Hollywood-Hits Freundschaft Plus und Freunde mit gewissen Vorzügen sein. Kürzlich war im Kino auch der französische Beitrag Tagebuch einer Pariser Affäre zu sehen, das thematisch in eine ähnliche Richtung geht. Fürs Heimkino gibt es jetzt noch mehr Stoff in Form von 99 Moons. Auch hier geht es damit los, dass eine Frau und ein Mann sich zu unverbindlichem Sex treffen. So zumindest der Plan. Dabei müssen sie aber feststellen, dass das mit dem rein Körperlichen nicht ganz so funktioniert, da irgendwann noch andere Gefühle mitmischen und die zwei in ein ziemliches Dilemma stürzen.
Anders als die obigen Beispiele, die in diesem Wechselbad der Gefühle vor allem die Komik gesehen haben, betont der Schweizer Regisseur und Drehbuchautor Jan Gassmann (Europe, She Loves, Heimatland) hier die Tragik. So genießen die zwei zwar ihre Amour Fou, wenn sie immer wieder leidenschaftlichen Sex haben und sich dabei völlig gehen lassen können. Aber es ist auch zunehmend mit einem Leiden verbunden, wenn sie in eine Abhängigkeit geraten, mit der sie nicht klarkommen. 99 Moons erzählt damit die Geschichte von zwei Menschen, die nicht ohne einander können, aber auch nicht wirklich miteinander. Es gibt ein ständiges hin und her, bis das Publikum nicht mehr sagen kann, ob man ihnen nun die Beziehung oder die Trennung wünschen soll.
Längen im Mittelteil
Mit toxischen Beziehungen, wie sie in der After-Reihe zelebriert werden, hat das nur wenig zu tun. Hier wird nicht gezielt anderen das Leben zur Hölle gemacht. Es treffen nur zwei Leute aufeinander, die andere Vorstellungen vom Leben haben und lang damit kämpfen, es irgendwie passend zu machen. Interessant ist dabei, dass sich 99 Moons von dem üblichen Klischee verabschiedet. Während es in Filmen meist die Männer sind, die sich nicht binden wollen, und die Frauen klammern, ist es hier die weibliche Hauptfigur, die immer zum Notausgang hinüberschielt. Selbst als sie beginnt, sich stärker auf ihr Gegenüber einzulassen und ihn zu einem tatsächlichen Bestandteil ihres Lebens zu machen, bleibt da ihr Fluchtinstinkt, womit sie dann doch alles sabotiert.
Warum sich Bigna so schwer damit tut, eine richtige Partnerschaft einzugehen, wird dabei nie wirklich klar. Gassmann psychologisiert nicht, sondern beschränkt sich auf ein reines Beschreiben. Das könnte manche Zuschauer und Zuschauerinnen frustrieren. Das größere Manko ist jedoch, dass das Drama, welches in der Cannes-Sektion ACID 2022 Premiere feierte, allgemein nicht viel zu sagen hat. Nach den eindrucksvollen Anfangsmomenten beginnt 99 Moons im Mittelteil zu stocken. Die vor sich hin laborierende Nicht-Beziehung ist dann einfach nicht mehr sonderlich interessant. Bei einer Laufzeit von 112 Minuten ist das auf Dauer zu wenig. Erst zum Ende hin gelingen wieder mitreißende Szenen, in der Schmerz und Begehren, Sehnsucht und Distanz zusammenkommen und das Zimmer zum Vibrieren bringen. Wortwörtlich.
OT: „99 Moons“
Land: Schweiz
Jahr: 2022
Regie: Jan Gassmann
Drehbuch: Jan Gassmann
Musik: Michelle Gurevich
Kamera: Yunus Roy Imer
Besetzung: Valentina Di Pace, Dominik Fellmann
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