1944 arbeitet der Chirurg Julien Dandieu (Philippe Noiret) in der südfranzösischen Stadt Montauban. Während sich das Ende des Krieges eigentlich schon abzeichnet, haben die langen Jahre der Entbehrungen, die Operationen sowie die Razzien durch die Soldaten Spuren bei dem Mediziner hinterlassen. Als er eines Tages einen Drohung gegen ihn und seine Familie wahrnimmt, überredet er seine Frau Clara (Romy Schneider) und die gemeinsame Tochter zur Flucht in die kleine Gemeinde Barberie. Um den Schein zu wahren und die im Keller des Krankenhauses befindlichen Partisanenkämpfer so gut es geht zu schützen und zu versorgen, bleibt Julien in der Stadt. Als nach über einer Woche die SS noch immer auf sich warten lässt, wähnt sich Julien in Sicherheit und er beschließt, nach Barberie für eine kurze Stippvisite zu fahren, um zumindest ein Abendessen mit seiner Familie zu haben.
Die ersten Schritte im Ort jedoch lassen nichts Gutes erahnen und als Julien die ersten Leichen vorfindet, ahnt er Fürchterliches. Schließlich findet er die Leichen seiner Frau und seiner Tochter, doch ebenso den Trupp NS-Soldaten, die es sich nach der Hinrichtung der Dorfbewohner im Haus der Dandieus gemütlich gemacht haben. Von Trauer und Wut zerfressen, macht sich Julien auf die Suche nach dem Gewehr, was ihm einst sein Vater zum Jagen gegeben hat. Noch während sich die Soldaten am Champagner erfreuen und Pläne schmieden, wie man die wahrscheinlich letzten Wochen des Krieges überlebt, begibt sich Julien auf einen blutigen Rachefeldzug gegen die Mörder seiner Frau und seiner Tochter.
Gewehr und Abschied
Mit Abschied in der Nacht, der in Deutschland wohl eher unter dem Titel Das alte Gewehr bekannt ist, legte Regisseur Robert Enrico (Die Abenteurer) Mitte der 1970er Jahre seinen bis dahin besten und zugleich kontroversesten Film vor. Das Drama um einen Mann, der Rache an den Mördern seiner Frau und seiner Tochter nimmt, kann zum einen als Rachethriller gelesen werden, doch zum anderen als ein Porträt auf die Folgen des Zweiten Weltkrieges, der Kollaborateure wie auch der seelischen Wunden, die diese Zeit nach sich zog. Es ist ein aufrüttelnder Film, der nicht zuletzt durch seine Schauspieler zu überzeugen weiß.
Im Grunde kann man Abschied in der Nacht in zwei Abschnitte unterteilen. Während der eine das Leben der Familie und die Arbeitsroutine Juliens beschreibt, konzentriert sich der zweite auf die Rache des Arztes, seine Erinnerungen an seine Liebe zu Clara sowie die sich zuspitzende Lage in Barberie. Philippe Noiret spielt dabei einen Sympathisanten, einen Mann, der den Widerstand indirekt unterstützt, aber sich zugleich heraushält, besonders, wenn es um seine Familie und deren Wohlergehen handelt. Die Trennung von Beruf und Familie macht diese zweite Komponente zu einem Rückzugsort, in dem es sich Julien gemütlich gemacht hat und der für ihn zu einem Rettungsanker geworden ist, den er auch angesichts der nunmehr offensichtlichen Tragödie nicht mehr loslassen kann (und will). Enrico behandelt in seinem Film die Folgen, als sich diese Trennung nicht mehr aufrechterhalten lässt und der Mensch direkt betroffen ist, was den Zuschauer immer mehr in einen Gewissenskonflikt bringt, wenn man zum einen die Motivation des Protagonisten versteht, doch zugleich die blutigen Folgen seines weiteren Handelns beobachtet.
Ein letzter Widerstand
Trotz dieses Aspekts der Handlung sollte man nicht den Fehler begehen, Abschied in der Nacht als einen moralisierenden Film zu verstehen. Die Dramaturgie wie auch die Bilder des Filmes bringen dem Zuschauer vielmehr das Dilemma dieses Mannes nahe, der sich im Konflikt mit seinem hippokratischen Eid sieht wie auch jenem Menschen, der er bis kurz vor dem schrecklichen Anblick der Leichen seiner Frau und Tochter noch war. Durch die Verbindung der Gegenwart von 1944 mit einzelnen Episoden aus der Vergangenheit dieser Figuren, beispielsweise einer Schulveranstaltung oder dem ersten Kennenlernen von Clara und Julien, wird das Trauma der Hauptfigur verdeutlicht, ebenso wie das einer ganzen Nation, welche die Erinnerung an den Krieg und die eigenen Schreckenstaten nicht mehr los wird. Eine Rückkehr zu der Zeit, oder vielmehr dem Menschen davor, ist unmöglich geworden, was Abschied in der Nacht eine wahrhaft niederschmetternde Dramatik verleiht.
OT: „Le Vieux Fusil“
Land: Frankreich, Deutschland
Jahr: 1975
Regie: Robert Enrico
Drehbuch: Robert Enrico, Pascal Jardin, Claude Veillot
Musik: François de Roubaix
Kamera: Étienne Becker
Besetzung: Philippe Noiret, Romy Schneider, Jean Bouise
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)