Das Debüt Die beste aller Welten von Adrian Goiginger war 2017 ein Überraschungserfolg. Das biografisch inspirierte Drama um einen Jungen mit einer drogenabhängigen Mutter wurde nicht nur von der Kritik und auf Festivals gefeiert, sondern kam auch beim Publikum gut an. In seinem mittlerweile dritten Spielfilm Der Fuchs erzählt der österreichische Jungregisseur (Jahrgang 1991) wieder von seiner Familie, diesmal von seinem Urgroßvater. Franz Streitberger, intensiv verkörpert von Simon Morzé, wächst als armer Bergbauernbub auf. Die Not seiner vielköpfigen Familie ist so groß, dass Franz zu einem Großbauern in Knechtschaft gegeben werden muss – ein Trauma, das ihn lebenslang verfolgt. Volljährig und damit in Freiheit, bleibt ihm nur das Militär, das bald mit Deutschland in den Zweiten Weltkrieg zieht. Während des Frankreichfeldzuges findet Franz, der unter den Kameraden als Sonderling gilt, einen verletzten Fuchswelpen, den er aufzieht und mitten im Bombenhagel durch den Krieg rettet. Zum Kinostart am 13. April 2023 sprachen wir mit Adrian Goiginger über erste Anfänge des Filmemachens, die Probleme mit Tieren am Set und die Gespräche mit seinem Urgroßvater.
Innerhalb kurzer Zeit kamen zwei neue Filme von dir ins Kino, Märzengrund nach der Vorlage eines Theaterstücks, und jetzt Der Fuchs. Wie kam diese enge zeitliche Aufeinanderfolge zustande?
Der Fuchs war viel länger geplant gewesen. Die ganze Vorproduktion und die Locationsuche waren fertig, aber dann kam Corona. Wir waren gezwungen, den ganzen Dreh um ein Jahr zu verschieben. Und zwar deshalb um ein ganzes Jahr, weil die Fuchswelpen immer nur im Frühjahr auf die Welt kommen. In dieser Zeit bekam ich das Angebot, Märzengrund zu machen. Das hat gut gepasst und deswegen kommen beziehungsweise kamen die beiden Filme im kurzen Abstand hintereinander in die Kinos.
Alle deine drei bisherigen Filme handeln in gewisser Weise vom Verlassenwerden, in Die beste aller Welten geschieht dies zumindest zeitweilig, in den beiden anderen ist es viel drastischer. Ist das ein Thema, das dich in besonderer Weise beschäftigt?
Ich sehe die Parallelen eher bei den Vaterfiguren. Entweder ist kein Vater da oder der Vater entfremdet sich vom Sohn. Das ist wohl unterbewusst ein Thema, das sich durchzieht, wahrscheinlich weil ich in meinem Leben ganz lange keinen Vater hatte und das filmisch zu verarbeiten versuche.
Stimmt es, dass du schon als Jugendlicher fest vorhattest, Filmemacher zu werden?
Die Idee hatte ich schon mit elf, als ich zum ersten Mal Forrest Gump gesehen habe. Der Fuchs war die erste konkrete Filmidee als Teenager. Für mich waren die Erzählungen meines Urgroßvaters ein Geschenk, weil er 1917 geboren wurde und so viel in seinem Leben erlebt hat. Die Freundschaft mit dem Fuchs ist ja wie ein Märchen, das ein Jahr dauerte, mitten im Krieg. Das war eine Geschichte, die mich schon in sehr jungen Jahren angesprochen hat.
Muss man sich das bei dir so ähnlich vorstellen wie bei Steven Spielberg, der schon als Kind eine Kamera hatte?
Bei mir war es weniger die Kamera, sondern der Schreibblock und der Stift. Ich war nie der Techniker, das bin ich auch heute noch nicht, aber ich liebe es, Geschichten zu erzählen, zu schreiben, Notizen zu machen. Das war immer ein Teil von mir. Das technische Filmemachen kam später dazu.
Als Jugendlicher hast du Gespräche mit deinem Uropa geführt und die aufgezeichnet, mit Blick auf einen möglichen Film. Viele Kriegsveteranen sprechen nicht gern über ihre Erlebnisse. Wie war es bei deinem Uropa?
Es hat gedauert. Seinen Kindern hat Franz Streitberger, mein Urgroßvater, nicht viel vom Krieg erzählt. Es musste eine Generation dazwischen liegen, bevor er das konnte. Aber gegenüber seinen Enkeln und Urenkeln, also auch mir gegenüber, hat er sich geöffnet. Es war ihm wirklich ein Anliegen, seine Erlebnisse zu teilen. Je älter er wurde, desto größer war sein Wunsch, sich an die Geschehnisse im Gespräch noch einmal zu erinnern. Er hatte ja ein langes Leben und wurde 100, bis er 2017 starb. Ich habe das alles aufgesaugt und irgendwann dann auch mit dem Diktiergerät aufgenommen. Es wurde ein regelmäßiger Bestandteil der Besuche, dass er mir von seiner Vergangenheit erzählte.
Vom Kern her gehen alle deine Geschichten sehr zu Herzen. Der Fuchs bringt darüber hinaus noch ein Tier ins Spiel. Die Gefahr, zu sentimental zu werden, ist da immer gegeben. Hast du das von Anfang an im Blick? Wie schaffst du es, Kitsch zu vermeiden?
Ich glaube, dass meine Filme immer an der Sentimentalitäts- und Kitschgrenze streifen. Ich bin ein bisschen so sozialisiert worden und aufgewachsen mit dem Hollywoodkino der 1990er Jahre. Das war ein Jahrzehnt der großen Emotionen und in meinen Filmen spiegelt sich das wider. Ich mag das als Zuschauer auch heute sehr gern. In meinen eigenen Filmen versuche ich im Schnitt, einen Schritt zurückzutreten und zum Beispiel bei der Filmmusik darauf zu achten, dass die Emotionen nicht allzu dick aufgetragen werden.
Es gibt sicher ganz wenige Menschen, die schon einmal einen Fuchs aufgezogen haben. Dein Hauptdarsteller Simon Morzé aber musste das tun, damit er überhaupt mit echten Füchsen drehen konnte. Wie muss man sich das vorstellen?
Es war natürlich nicht so, dass er in den Wald ging und dort nach einem Fuchswelpen suchte (lacht). Er bekam den Anruf vom Tiertrainer, dass die neuen Füchse gerade geboren wurden. Er fuhr dorthin und verbrachte zwei Wochen damit, die Füchse zu füttern, zu streicheln, herumzutragen und Zeit mit ihnen zu verbringen. Es war wichtig, von frühester Kindheit Präsenz bei den späteren Filmfüchsen zu zeigen, damit sich die Tiere an ihn und an seinen Geruch gewöhnen und ihn dann später beim Dreh wiedererkennen und nicht als Bedrohung wahrnehmen. Damit der Dreh überhaupt funktionieren konnte, mussten die Füchse frühzeitig mit dem Schauspieler, der Kamera und den Motorrädern vertraut werden, in denen sie im Film in der Seitentasche mitfahren.
Das Drehen mit Tieren gilt generell als schwierig. Nun sind Füchse aber besonders scheu. Wurde der Dreh dadurch noch komplizierter?
Es war furchtbar (lacht). Es war ganz, ganz anstrengend. Und ich werde es nie wieder tun. Jedes Tier ist anders, nicht nur jede Tierart, sondern jedes einzelne Tierindividuum. Wir hatten sechs Füchse, zwei erwachsene und vier Welpen. Alle waren charakterlich total unterschiedlich und hatten jeweils ihren eigenen Kopf. Wir haben dann immer geschaut, welcher Fuchs gerade gut drauf war und auf eine bestimmte Aktion Lust hatte. Wildtiere lassen sich einfach nicht zähmen. Das führte oft zu Zeitverlusten und Wartezeiten. Aber das soll jetzt nicht zu negativ klingen, denn wir haben es am Ende geschafft und das Schöne ist, dass wir, soweit ich weiß, filmische Pionierarbeit geleistet haben. Nach meiner Kenntnis ist noch nie ein Film mit Füchsen in der Hauptrolle gedreht worden.
Du legst viel Wert auf Authentizität in diesem historischen Film. Also darauf, dass die Fakten stimmen, dass zum Beispiel die Uniformen echt sind, die Panzer und vieles mehr. Wie viel Fiktion steckt trotzdem in der Geschichte und wie viel entspricht exakt den Erinnerungen deines Uropas?
Mein Urgroßvater hat nicht jeden Tag der Handlung so blumig erzählt, dass ich das einfach eins zu eins umsetzen hätte können. Deshalb sind vielleicht etwa 25 Prozent hinzugefügt worden aus anderen Erzählungen und Recherchen. Aber der Kern der Geschichte, also die Kindheit, das Weggegeben-Werden, die Zwischenkriegszeit und alles, was mit dem Fuchs zu tun hat, ist sehr eng an die Erzählungen meines Urgroßvaters angelehnt.
Du erzählst sowohl in deinem Debüt, das von deiner Mutter handelt, wie auch jetzt wieder über Menschen, die dir sehr viel bedeutet haben. Macht es die Arbeit leichter, wenn man so nah dran ist, oder bedeutet es auch einen enormen Druck, der geliebten Person auch wirklich gerecht werden zu wollen?
Es ist leichter, weil alles so bekannt ist und weil man gleich ganz viel Material an der Hand hat: Fotos, Erzählungen, Erinnerungen, Tagebucheinträge, Tonbandaufnahmen und so weiter. Außerdem konnte ich mit den anderen Verwandten reden. Beim Fuchs habe ich ein bisschen die Gefahr gespürt, dass ich nur einer von ganz vielen Urenkeln bin und eben nicht der Sohn, der naturgemäß viel näher dran ist. Deshalb habe ich viel mit meiner Oma geredet, der Tochter vom Franz. Von ihr habe ich viel Zusätzliches erfahren, wie der Uropa wirklich gelebt, gefühlt und gedacht hat. Bei meiner Mutter in Die beste aller Welten war ich mir dagegen hundertprozentig sicher. Ich wusste genau, wie sie war. Bei der eigenen Mutter ist eben der Abstand sehr viel geringer.
Kann man sagen, dass du ein Faible für Außenseiter hast? Jede der Hauptfiguren in deinen Filmen steht auf eine gewisse Art am Rande der Gesellschaft.
Ja, das würde ich unterschreiben. Alle meine Filme erzählen von Menschen, die sonst in der Gesellschaft keine Stimme oder Lobby haben. Für sie möchte ich Filme machen, weil sie es wert sind, dass man ihnen die Zeit widmet, die es kostet, einen Film zu realisieren. Das können Drogensüchtige sein oder Einsiedler oder, wie beim Fuchs Menschen, die nie auf die Idee gekommen wären, ihre Geschichte niederzuschreiben oder etwas zu machen, was erhalten bleibt. Mein Urgroßvater kannte sein Leben lang immer nur Arbeit, Arbeit, Arbeit. Deswegen freut es mich total, dass dieses Leben und dieses Schicksal nun für die Nachwelt zugänglich bleiben.
Du hast schon angekündigt, dass dein nächster Film in Richtung Komödie geht. Ich habe gelesen, dass der auch schon abgedreht ist. Kannst du mehr darüber verraten?
Ich bleibe bei den Außenseitern und widme meinen nächsten Film dem Wiener Wirtshaus-, Untergrund- und Arbeitslosenmilieu. Es geht um den Singer-Songwriter Voodoo Jürgens, der die Hauptrolle spielt. Es ist ein Film übers lustvolle Scheitern, über einen Musiker, der seit sechs Jahren versucht, ein Album fertigzustellen und immer an sich selbst scheitert, auf eine herzliche und hoffentlich unterhaltsame Art. Der Film wird nächstes Jahr ins Kino kommen. Das Album ist mittlerweile unter dem Titel Wie die Nocht noch jung wor erschienen.
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