Hingerichtete Klone, Orgien im Drogenrausch und Raubzüge durch die Hotelanlage, ein ganz normaler Urlaub also. Zumindest für die finanzielle Elite in Brandon Cronenbergs neuem Film Infinity Pool (Kinostart: 20. April 2023). Aufgrund zu expliziter sexueller Darstellungen in den USA nur geschnitten gelaufen, darf man sich in den deutschen Kinos auf die unzensierte Version freuen. Doch natürlich wird der Film nicht nur von seiner Explizitheit getragen, sondern lebt vor allem auch von seiner satirischen Note und seinen wahnwitzigen Figuren sowie deren Darstellungen. Die beiden wohl wichtigsten Rollen des Films, James und Gaby, werden von einem Schauspieler und einer Schauspielerin dargestellt, die wohl zu den aktuell gefragtesten überhaupt gehören dürften: Alexander Skarsgård und Mia Goth. Wir haben die beiden während der Europa-Premiere des Films auf der Berlinale 2023 getroffen und sprachen mit ihnen über herausfordernde Rollen, die Bedeutung des Horrorfilms, als wohlhabende Person in einer Satire über die Oberschicht mitzuspielen und vieles mehr.
Alexander, jetzt in Infinity Pool als James oder zuletzt auch in The Northman, viele deiner Rollen wirken wahnsinnig intensiv. Suchst du dir bewusst Rollen, die dich so an Grenzen bringen?
Alexander Skarsgård: Ich weiß nicht. Ich glaube, ich bin einfach von Figuren fasziniert, die sich durch Non-Konformität auszeichnen, Figuren, die die Grenzen ausreizen. Sowohl sehr düstere Figuren als auch im komischen oder satirischen Sinne. Viele Drehbücher fühlen sich derivativ an, als wären sie von einer Fokusgruppe geschrieben worden. Daher ist es so erfrischend, wenn man etwas wie Infinity Pool liest. Fast schon anarchistisch auf eine gewisse Art und Weise und so herausstechend. Für mich war es eine tolle Möglichkeit, eine Figur wie James zu spielen. Eine Figur, die ein so großes Problem mit der eigenen Identität und auch Männlichkeit hat, die letztlich so viele Versionen von sich selbst ist. Damit herumzuspielen, war wirklich aufregend.
Diese Probleme rund um Identität und die eigene Männlichkeit sind ja auch ein wichtiger Teil von The Northman. Hat dir deine Erfahrung als Amleth für James’ Darstellung geholfen?
Alexander Skarsgård: Auf jeden Fall. James und Amleth sind zwar in vielerlei Hinsicht sehr unterschiedlich, aber beide versuchen die Frage nach ihrer Männlichkeit zu beantworten, indem sie ihre animalistische Seite herauslassen. Zugegeben, für James dauert es deutlich länger, diese Seite in sich zu finden, Amleth wird nicht ohne Grund Björnulfur, also Bärenwolf, genannt, aber letzten Endes kommt sie auch bei James zum Vorschein. Für mich war es sehr spannend, wie bei einer Zwiebel Schicht um Schicht festzustellen, wer er tief im Innern wirklich ist.
Was glaubst du, sorgt letztlich dafür, dass wir dieses Innere zu sehen bekommen?
Alexander Skarsgård: Na ja, er verliert seine Hemmungen… Aber es gibt da viel zu entpacken. Es fängt ja schon mit der Frage an, ob es wirklich James ist, den wir am Ende sehen, oder ein Klon. Er ist eine Figur, der nie irgendwas hinterfragt hat. Er lebt ein sehr privilegiertes und unbesorgtes Leben. Seine Frau verdient mehr als genug Geld dafür. Das Einzige, was er hinterfragt, ist sein eigenes Talent. Er ist ein gescheiterter Schriftsteller und stellt sich die Frage, ob der Verlag sein erstes Buch nur veröffentlicht hat, weil er seinem Schwiegervater gehört. Er ist wahnsinnig unsicher und auf der Suche nach Bedeutung in seinem Leben und das erkennt die Gruppe. Oberflächlich ist alles wunderbar, Em und James sehen aus wie ein Paar aus einem Reisekatalog, aber er ist nicht im Reinen mit sich selbst. Deshalb ist er so ein leichtes Ziel für Gaby und die anderen. Und deshalb macht es ihr auch so viel Spaß, die Puppenspielerin zu sein. Er frisst ihr komplett aus der Hand.
Welche Rolle spielt es dabei vielleicht auch, dass er so sehr mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert wird?
Alexander Skarsgård: Eine sehr große. Das ist das erste Mal, dass er wirklich etwas tut. Er wehrt sich, er hat einen Willen zu überleben. Und genau das merkt er. Er spürt eine Lebendigkeit in sich, die er vermutlich noch nie gespürt hat. Das ist wahnsinnig aufregend und belebend für ihn und etwas, dass er weiter erforschen will.
Diese Lebendigkeit sehen wir in Gaby ja die ganze Zeit. Mia, wie war es für dich, eine so wahnwitzige Rolle zu spielen?
Mia Goth: Es hat mir unfassbar viel Spaß gemacht, Gaby zu spielen. Ich habe ständig dazugelernt und die Rolle weiter und weiter geführt. Ich habe in Szenen immer wieder Dinge ausprobiert, die ich nicht vorher geplant hatte. Es hat sich oft einfach richtig und authentisch für die Figur angefühlt. Außerdem habe ich auch viel von der Rolle für mich selbst gelernt. Sie fühlt sich so wohl in ihrer Haut und ist in der Lage diese Energie und Macht in sich abzurufen, um James zu manipulieren. Das ist schon sehr faszinierend.
Inwiefern sticht diese Rolle für dich aus deinen bisherigen Rollen heraus?
Mia Goth: Mir war es wichtig, dass wir Gaby zunächst als Person kennenlernen, die eine gewisse Süße und Unschuld an sich hat. Warum sollten sich Em und James auch auf eine Person einlassen, die Gefahr ausstrahlt? Sie musste also so wirken. Nach und nach lässt sie dann aber ihre Hülle fallen und wir sehen das volle Ausmaß ihrer Gelüste. Am Ende des Films wirkt sie völlig anders und gefährlich. Viele meiner Rollen spielen mit Unschuld und versteckter Gefahr, aber bei Gaby ist das besonders explizit.
Wir wissen ja quasi nichts über die Vorgeschichte der Figur. Hast du dir eine Biografie für sie ausgedacht?
Mia Goth: Ich finde es nicht hilfreich, mir zu überlegen, was sie gemacht hat, als sie 12 Jahre alt war, aber ein paar Gedanken und Notizen mache ich mir immer. Mir hilft es, am ersten Tag am Set etwas in der Hand zu haben. Es gibt mir Sicherheit. Außerdem überlege ich mir oft, welche Schnittstellen das Leben der Figur und mein eigenes Leben haben. Ich versuche sie nämlich, so stark wie möglich miteinander zu vermischen, damit ich mich auch über das Drehbuch hinaus mit der Figur auseinandersetzen kann. Wenn ich meinen eigenen Lebenslauf ins Spiel bringe, muss ich mich viel persönlicher und intensiver mit der Figur auseinandersetzen. Und ich glaube, das ist mir bei Gaby ganz gut gelungen.
Alexander, neben Gaby hat James ja auch eine sehr interessante Beziehung zu seiner Frau, Em. Wie war es für dich, diese Beziehung zu ergründen?
Alexander Skarsgård: Ich hatte Glück und habe in der letzten Zeit viele solcher komplexen Beziehungen mit tollen Schauspielerinnen spielen dürfen. Sarah Snook in Succession, Nicole Kidman in The Northman und in Infinity Pool neben Mia eben auch Cleopatra Coleman… viele Australierinnen. (lacht) Bei der Beziehung zwischen Em und James war es mir und Cleo war es mir wichtig, die Traurigkeit ihrer Beziehung herauszustellen. An der Oberfläche wirkt alles super, aber James ist komplett. Wir mussten es glaubhaft wirken lassen, dass es nur ein kleines Kompliment von Gaby braucht, um James komplett für sich zu gewinnen. Man muss beim Zuschauen merken, dass selbst seine Frau ihm kein Kompliment für sein beschissenes, großkotziges Buch gegeben hat und er daran zerbricht. Es ist fast schon witzig, wie einfach es Gaby fällt, das auszunutzen. Hey, dein Buch ist toll und schon ist er hin und weg. Em funktioniert anders. Sie sieht, im Gegensatz zu James, alles mit nüchternen Augen und erkennt, was da eigentlich passiert. Die Rollen und unser Spiel komplementieren sich sehr gut. Wenn wir uns die erste Hinrichtung angucken und wie unterschiedlich Em und James reagieren, sehen wir das. Ich hatte das Gefühl, viel durch ihre Rolle auch über meine Rolle zu lernen. Es war sehr spannend, das gemeinsam mit Cleo zu erforschen.
Mia, du hast zuletzt im Zuge von Interviews zu X und Pearl darüber gesprochen, wie viel dir das Horrorgenre bedeutet. Was fasziniert dich so daran?
Mia Goth: Ich glaube, wir finden in Horrorfilmen oftmals Figuren und Motive, die zu uns auf einer sehr tiefen und persönlichen Ebene sprechen. Mir als Schauspielerin bietet das bei vielen Rollen die Möglichkeit, Dinge zu tun, die andere Genres nicht ermöglichen. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich suche meine Rollen nicht nach bestimmten Genres aus, aber ich mag es, Rollen zu spielen, die mich herausfordern und da bietet das Horrorgenre eben viele Gelegenheiten. Ich weiß nicht, warum es nicht mehr Leute in der Branche gibt, die das wertschätzen können. Es gibt viele großartige Darstellungen und Regieleistungen im Horrorgenre. Mir zeigt das immer wieder, dass Awards und die ganze Branche keine Meritokratie sind. Es steht viel Politik und Geld dahinter. Dabei ist für mich das wichtigste, dass die zuschauenden Menschen bewegt werden, dass sie eine Art Gemeinschaft bilden können und kaum ein Genre schafft das so sehr wie der Horrorfilm. Und das zu erreichen, ist für mich als Schauspielerin der beste Preis, den man bekommen kann.
Du hast für Pearl auch als Co-Autorin gearbeitet. Hast du vor, das zukünftig noch mehr zu tun?
Mia Goth: Ich würde liebend gerne noch mehr schreiben. An Pearl mitzuschreiben, war das kreativ Erfüllendste, was ich je getan habe. Vor allem, weil ich von der ersten Idee an involviert war. Alle Phasen eines Films mitzuerleben, von der Vorproduktion, über den eigentlichen Dreh und die Postproduktion bis zur Veröffentlichung und dann dieses tolle Feedback zu bekommen, war wirklich wundervoll und etwas, das ich auf jeden Fall nochmal erleben will. Und ich weiß aus erster Hand, dass auch das Schauspiel profitiert, wenn man so stark involviert und auch investiert ist.
Alexander, du hast den satirischen Aspekt des Films vorhin schon mal kurz angedeutet. Im Grunde geht es dabei ja um Kritik an der Oberschicht. Inwiefern fühlt ihr euch selbst damit vielleicht auch ein wenig ertappt?
Alexander Skarsgård: Wir sind sehr privilegiert und reisen viel mehr als die meisten anderen Menschen, leben viel mehr in Hotels als die meisten anderen Menschen. Viele von uns wohlhabenden, privilegierten Menschen, und ich hoffe, ich bin keiner von ihnen, werfen ihren moralischen Kompass auf Reisen oder im Urlaub aus dem Fenster. Sie benehmen sich, als gäbe es keine Konsequenzen. Die Menschen vor Ort sind Bedienstete und deshalb kann man sie so behandeln, wie man will. Man ist unbesiegbar und unfehlbar und kann sich zur Not aus allem wieder rauskaufen. Auch der Aspekt „kultureller“ Erfahrungen zeigt das. Eigentlich will man gar nichts Authentisches, sondern eine sehr zugeschnittene Erfahrung. Und ich glaube, Brandon [Cronenberg] schafft es sehr gut, das zu transportieren. Es gibt diese inszenierten „kulturellen“ Erfahrungen, die nichts mit der tatsächlichen Kultur zu tun haben.
Mia Goth: Dem kann ich nur zustimmen. (lacht)
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