Schon seit vielen Jahren gab es durchaus berechtigte Befürchtungen seitens der Bürger Hongkongs, dass China sich die Stadt einverleiben und damit seine Macht ausweiten wird. 2014 wurden diese Befürchtungen bestätigt, als ein umstrittenes Gesetz China Einfluss bei der Wahl der Verwaltung Hongkongs einräumte. Die darauf folgenden Proteste, die international unter dem Titel „Regenschirm-Revolution“ bekannt wurden, verliefen zunächst friedlich, doch spätestens mit dem Einschreiten der Polizei, die mit äußerster Gewalt gegen die Demonstranten vorgingen, kam es zu einer Eskalation sowie zu Besetzungen von Gebieten der Stadt durch die Protestler.
Für viele Hongkonger wie auch Beobachter von außen bestätigten sich die oben erwähnten Befürchtungen, nicht zuletzt aufgrund der Verfolgung der Demonstranten, die inhaftiert und verurteilt wurden und letztlich sich gezwungen sahen, ihre Heimat zu verlassen. Während diese ersten Proteste zerschlagen wurden, dauerte es nur fünf Jahre, bis das umstrittene Auslieferungsgesetz den Grundstein legte für eine neue Welle des Protests, die nun darauf bestand, dass der Prozess der Demokratisierung weiter vorangetrieben werde. Für viele war diese zum einen ein Funke Hoffnung, die schlimmsten Befürchtungen doch noch zu verhindern, doch andere sahen einen Moment gekommen, in dem China seinen Einfluss geltend machen würde.
In den letzten Jahren hat es eine Vielzahl von Veröffentlichungen zu den Protesten von 2014 und 2019 gegeben, welche die Ereignisse aufarbeiten und in einen historischen Kontext setzen wollen. Regisseurin Lia Erbal, die sich in ihren Arbeiten mit Themen wie wirtschaftlicher Globalisierung und Umbrüchen der Zeit befasst, sieht in den Protesten Ereignisse, die verschiedene Aspekte beleuchten, vor allem aber die Vormachtstellung der Volksrepublik China. Be Water – Voices From Hong Kong, eine Dokumentation, die im Rahmen des DOK.fest München zu sehen ist, geht deswegen weniger den Ereignisses chronologisch nach, sondern interessiert sich für globale Zusammenhänge, was die Proteste und ihr Verlauf uns lehren können und wie sie unser wirtschaftlich-politisches Handeln bestimmen können. Neben Menschen, die bei den Protesten dabei waren, kommen in Be Water beispielsweise deutsche Politiker zu Wort, um die Ereignisse von 2014 und 2019 zu bewerten, was im Unterschied zu vorherigen Dokumentation zu dem Thema ein wichtiger Aspekt ist, der Erbals Film hervorhebt.
Kollektive Hoffnung
Die Kamera begleitet eine junge Frau, die durch Berlin streift, während wir ihre Geschichte hören, von ihren Meinungsverschiedenheiten mit ihren Eltern sowie ihre Haltung zu den Protesten in Hongkong. Die Ratlosigkeit der Frau erscheint wie eine Spiegelung von der Suche nach Hoffnung, von der sie wiederholt spricht und welche sinnbildlich für die Sehnsucht vieler Hongkonger ist (oder war). Dann wechselt die Perspektive zu einem Politiker der Grünen, der die Verfolgung einer Pressekonferenz über die Wirtschafts- und Militärpolitik Chinas sich an einer Deutung versucht, welche Stellung die Nation in Zukunft innerhalb der Weltpolitik einnehmen will.
Diese beiden Perspektiven, wie auch viele andere, stehen sinnbildlich für Erbals Herangehensweise an ihr Thema, die sich abwechselnd auf die individuelle Ebene bezieht und dann zurückkehrt auf eine Deutung, welche weit darüber hinausgeht. Be Water ist nicht nur Aufarbeitung, er ist auch Interpretation (oder vielmehr die Möglichkeit einer solchen) der Ereignisse von 2014 und 2019, die deutlich machen, dass es hier möglicherweise um die Ablösung einer alten Weltordnung geht und ein Füllen der ideologischen Leerstelle vieler Kulturen. Die Zusammenschnitte von den Demonstrationen schockieren nach wie vor, sind aber beim besten Willen nicht plakativer Natur, sondern verweisen immer wieder auf den beschrieben Kontext, was Erbals Dokumentationen eine bedrückende Eindringlichkeit verleiht.
OT: „Be Water – Voices From Hong Kong“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Lia Erbal
Musik: Davide de Timoleone
Kamera: Ines Thomsen, Alexander Gheorghiu
DOK.fest München 2023
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