Ein gescheiterter Schriftsteller gerät in einem Resort-Urlaub an eine Gruppe reicher Mit-Tourist*innen und lässt sich mit ihnen nach und nach auf einen hemmungslosen Rausch ein. Abgefahrene Bilder, viel Sex und noch mehr Gewalt: Wo Cronenberg draufsteht, ist auch Cronenberg drin. Doch gemeint ist in diesem Fall nicht die Horrorlegende David, sondern dessen Sohn Brandon Cronenberg. Nach Antiviral und Possessor kommt mit Infinity Pool sein dritter Spielfilm am 20. April 2023 in die Kinos und kann mit bewährten Stärken auftrumpfen. Wir haben uns mit dem Regisseur während der Europa-Premiere auf der Berlinale 2023 getroffen. Im Interview erzählt Cronenberg von der holprigen Entstehung des Films, Urlaub in Resorts, dem animalischen Inneren von Menschen und vielem mehr.
Du hast zwischen deinem Debüt Antiviral und Possessor eine sehr lange Pause gemacht. Infinity Pool kam jetzt aber relativ schnell danach. Woran liegt das?
Es ist einfach sehr schwer, einen Film zu machen (lacht). Ich habe die acht Jahre zwischen Antiviral und Possessor die ganze Zeit gearbeitet und probiert, Filme auf die Beine zu stellen, das aus verschiedenen Gründen aber nie hinbekommen. Mal haben wir keine Finanzierung bekommen, mal hat sich kein Cast gefunden. Teilweise sind wir viermal im Jahr in Vorproduktion gegangen, haben die Finanzierung dann aber wieder verloren. Das war der Grund für die Pause. Ich hätte gerne sofort meinen nächsten Film gemacht. Dass Possessor und Infinity Pool jetzt so schnell nacheinander kamen, liegt vor allem daran, dass ich Infinity Pool schon vor Possessor geschrieben habe und die beiden mehr oder weniger gleichzeitig in Produktion waren. Insgesamt haben wir für Infinity Pool etwa sechs Jahre gebraucht. Ich hoffe aber, dass ich jetzt genug Momentum habe, um direkt mein nächstes Projekt starten zu können, aber die Welt der Indie-Filme ist ziemlich unberechenbar. Für Infinity Pool war es sehr hilfreich, als wir Alexander Skarsgårds Zusage für die Rolle hatten. Die Finanzierung war danach vergleichsweise einfach.
Neben Alexander Skarsgård wird die zweite tragende Rolle im Film von Mia Goth gespielt, die sich ja zuletzt mit X und Pearl zum Liebling aller Horror-Fans aufgeschwungen hat und immer ihre große Liebe zum Horror-Genre bekundet. Wie war eure Zusammenarbeit?
Ich wollte schon lange mit ihr zusammenarbeiten, weil sie mit ihren Szenen einfach so oft die Show stiehlt. Und unsere Zusammenarbeit war wirklich toll. Als wir angefangen haben zu drehen, war sie gerade fertig mit Pearl. Aber ich habe schnell gemerkt, dass Mia alles Rolle für Rolle angeht. Ich will nicht zu sehr für sie sprechen, aber bei den vielen Interviews, die wir zusammen gegeben haben, hat sie immer wieder betont, dass wenn sie sich für eine Figur interessiert, diese Figuren all ihre Entscheidungen lenkt. Und ich glaube, dieses Herangehen passt sehr gut zu meinem Ansatz. Wenn wir mit dem Drehen beginnen, bin ich nämlich oft gelangweilt von den Figuren, wie sie im Drehbuch stehen, weil ich sie für mich überdacht habe. Deshalb gebe ich meinen Schauspielerinnen und Schauspielern viele Freiheiten beim Dreh. Ich will, dass sie den Figuren neues Leben einhauchen, ich will ihnen die Möglichkeit geben, selber etwas beizutragen und ich will von ihnen überrascht werden. Ich führe zwar Regie, versuche aber immer, allen genug Platz zu geben. Und das hat mit Mia sehr gut funktioniert.
Ich habe mich während des Schauens an so manch anderen Film oder andere Serie erinnert gefühlt. Von Westworld über eXistenZ bis zu weiteren Resort-Satiren wie The White Lotus und Triangle of Sadness. Haben dich bestimme Werke besonders beeinflusst?
Gerade den Vergleich zu den letzten beiden höre ich oft. Ich habe aber schon vor sehr langer Zeit angefangen, an Infinity Pool zu arbeiten und ich bin mir sicher, dass das bei den anderen Projekten auch so war. Ich glaube, es ist einfach ein ungeplanter Zufall, dass all diese Projekte zu einer ähnlichen Zeit rauskommen. Über sonstige Inspirationen zu sprechen, fällt mir schwer, weil ich mich sehr unwissentlich inspirieren lasse und einfach viel aufsauge, ohne es zu merken. Ich gucke Filme und Serien oder lese Bücher während irgendwo in meinem Hinterkopf ein Teig daraus zusammengeknetet wird, bis irgendwann ein Brot, also eine fertige Idee entsteht. Einen gewissen Anteil an Infinity Pool hat sicherlich J. G. Ballard mit seinen späteren Werken, da ist vieles tonal recht ähnlich. Ich arbeite zurzeit auch an einer Adaption seines Romans Super-Cannes als Mini-Serie.
Die Figuren befinden sich am Ende des Films mehr oder weniger da, wo sie auch am Anfang stehen. Die Geschehnisse haben scheinbar keine Rolle gespielt. Warum hast du dich für dieses Ende entschieden?
Mir ging es um die Trivialität des Ganzen. Letztlich leben die Figuren im Film alle ein total glattgebügeltes Leben. Im Urlaub haben sie zwar Spaß an diesen Extremsituationen, aber im Alltag sie sind die langweiligsten Leute, die man sich vorstellen kann. Sie toben sich nur so aus, weil es in dem Kontext sozial akzeptiert ist. Mir war es wichtig, den animalischen Teil des Menschen zu zeigen, der so sehr von der Norm abhängig ist. Wenn es erlaubt ist, zeigt er sich.
Glaubst du, dass dieses Verhalten bei allen Menschen kommt, wenn sie keine Verantwortung tragen und sie keine Konsequenzen für ihr Handeln zu befürchten haben?
Ich glaube, das sehen wir oft bzw. haben wir schon oft so gesehen. Je nachdem, was der Kontext ist, was uns erlaubt ist, verhalten wir uns völlig anders. Es ist ein bisschen wie beim Panoptismus. Wir erinnern uns ständig selbst an die Zwänge von Normen, egal ob sie von jemandem durchgesetzt werden oder nicht. Wir wissen, dass sie durchgesetzt werden könnten. So funktioniert der Kern unserer Moral. Wenn wir also in Situationen kommen, in denen wir wissen, dass niemand die Moral durchsetzen wird, verhalten wir uns entsprechend. Es gibt eine so lange Geschichte furchtbaren menschlichen Verhaltens, dass ich glaube, dass dieses fast schon automatische Ausschalten der Moral in entsprechenden Momenten ein fester Teil unseres Inneren ist. Und dass das eben aus so unspektakulären Leuten kommen kann, ist ein entscheidender Teil des Films.
Welche Rolle spielen Filme und vor allem Horrorfilme dabei, sich mit diesen Themen zu befassen?
Ich glaube, Horrorfilme sind gut geeignet, um sich mit psychologischen Abgründen auseinanderzusetzen, wie es sonst nur auf problematische Art und Weise möglich wäre. Und ich glaube, dass diese Auseinandersetzung sehr sinnvoll für uns ist. Ich habe gelesen, dass Fans von Horrorfilmen beispielsweise weniger Probleme mit Depression während der Pandemie hatten. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber es ergibt sehr viel Sinn für mich (lacht). Wir projizieren uns selbst in Horrorfilme, wenn wir sie gucken, so wie es ja irgendwo auch die Figuren im Film tun. Sie haben quasi ein vierdimensionales Filmerlebnis.
Infinity Pool ist ein Film, der sehr explizit Gewalt und Sex, die Entstellung des menschlichen Körpers zeigt. Das sehen wir in deinen vorherigen Werken und natürlich auch im Werk deines Vaters. Was fasziniert dich ausgerechnet so am Body-Horror?
So genau kann ich das nicht benennen. Viele Leute fühlen sich natürlich sofort an meinen Vater erinnert, sagen, ich wurde quasi dazu erzogen. Aber ich folge einfach meinen kreativen Impulsen und dem, was mich interessiert. Ich überlasse es anderen Leuten, zu beurteilen, wie viel Ähnlichkeit sie da zu meinem Vater sehen wollen. Wenn ich absichtlich nur Themen behandeln würde, die er nicht behandelt hat, würde er meine Karriere viel mehr bestimmen, als er es jetzt tut. Wir sprechen beispielsweise auch nur recht dürftig über unsere unfertigen Projekte, in einer Art und Weise, wie in jeder Familie über die Arbeit gesprochen wird.
Der Film spielt explizit in keinem echten Land. Warum hast du dich dafür entschieden?
Zum einen liegt das an der Klon-Technologie. Es wäre sehr merkwürdig, ein echtes Land mit fiktionaler Klon-Technologie darzustellen und ich wollte den Film nicht in der Zukunft spielen lassen. Zum anderen hat mir ein fiktionales Land einfach erzählerische Freiheiten gegeben, die ich haben wollte. Außerdem wollte ich kein spezifisches Land kommentieren, sondern eher die Strukturen, die global existieren. Aber natürlich gibt es Merkmale, die den Staat etwas eingrenzen. Für mich ist es ein bisschen wie ein Fiebertraum von einem nicht genau definierten ehemaligen Ostblock-Staat.
Für mich passt auch die kulturelle Ignoranz der Figuren sehr gut dazu. Hat auch das eine Rolle bei der Entscheidung gespielt?
Definitiv. Ich habe vor kurzem mit einem Journalisten gesprochen, der mir von einem Kollegen erzählt hat, der nicht wusste, in welchem Land er seinen Urlaub verbringt, sondern nur, dass es in den Süden geht (lacht). Ich glaube, das fasst dieses Mindset ganz gut zusammen. Außerdem sehen alle diese Resorts mehr oder weniger gleich aus. Viele Elemente des Bühnenbilds waren dem einen All-inclusive-Urlaub entlehnt, den ich vor 20 Jahren mal gemacht habe. Das war in der Dominikanischen Republik und es war eines der bizarrsten Erlebnisse, die ich je hatte. Wir wurden nachts mit dem Bus vom Flughafen abgeholt und dann in ein mit Stacheldraht abgesperrtes Resort mitten im Nirgendwo gebracht. Als ich wieder zuhause war, habe ich mich gefühlt, als wäre ich in einer seltsamen Parallelwelt gewesen.
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