Mi país imaginario – Das Land meiner Träume
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Mi país imaginario – Das Land meiner Träume

Mi país imaginario – Das Land meiner Träume
„Mi pais imaginario – Das Land meiner Träume“ // Deutschland-Start: 13. April 2023 (Kino)

Inhalt / Kritik

Geht man nach dem heutigen Wechselkurs, entsprechen 30 Chilenische Peso in etwa 0.0011 Euro (Stand: 9. April 2023). Was für viele Bürger in Europa ein Betrag wäre, dessen Fehlen in unserer Brieftasche wir noch nicht einmal wahrnehmen würde, ist für viele Bürger in Chile ein weitere Kalkulation, die es mit zu berechnen gilt im Alltag und die über viele andere Aspekte, etwa den Wohnsitz oder die Arbeit, entscheiden kann. Als Ende 2019 der Preis für ein Standard-Metro-Ticket um eben jene 30 Peso erhöht wurde, hätten sich die Verantwortlichen wohl niemals ausgemalt, dass dies der berühmte letzte Tropfen sein könnte, der für die Bürger der Hauptstadt wie auch für den Rest des Landes das Fass zum Überlaufen brachte. Was folgte waren Proteste, die sich zunächst nur auf Bushalte- oder Metrostationen konzentrierten, doch schon bald zu einer Bewegung wurden, die weit mehr als nur den Preis für eine Fahrt mit Bus und Bahn in Betracht zog.

Die steigenden Grundkosten, das Altersvorsorgesystem und schließlich die Verfassung des Landes, die sich nach dem Ende der Diktatur unter Pinochet nicht geändert hatte, standen in der Kritik. Staatspräsident Sebastián Piñera, der die Demonstranten scharf verurteilte und sie als Menschen darstellte, die einfach nur zerstören wollte, rief schon bald das Militär zur Hilfe, um Herr der Lage zu werden, womit er die Lage nur noch schlimmer machte. Am Ende standen ein Referendum und die Entscheidung für eine neue Verfassung – eine Entwicklung, die viele Chilenen nicht für möglich gehalten hätten.

Als Dokumentarfilmer Patricio Guzmán seine Heimat Ende 2019, wenige Wochen nach den ersten Protesten, wieder sah, traute er seinen Augen nicht. In Werken wie Nostalgia de la luz (2010) oder El boton de nacar (2015) hatte er immer wieder die sozio-politischen Missstände Chiles zum Thema gemacht, von der mangelnden Aufarbeitung der Zeit der Diktatur bis hin zu der grassierenden Armut. Auf einmal also, aufgrund eines an sich banalen Ereignisses, wurde eine Protest ausgelöst, der sich gegen eben jene Umstände richtete, die er schon immer kritisiert hatte. Zugleich war er sich bewusst, dass er dabei war, etwas zu erleben, was es seit dem Sturz Pinochets nicht mehr gegeben hatte und was es festzuhalten galt, für die Gegenwart wie auch die nachfolgenden Generationen. In Mi pais imaginario zeigt er den Verlauf der Proteste in Chile, die verschiedenen Facetten, die sich in den Demonstrationen widerspiegeln, die einzelnen Gruppierungen und ihre Forderungen und welche Hoffnungen die Menschen mit ihnen verbinden. Entstanden ist dabei ein hochaktuelles, historisches Dokument, welches ein Ereignis zeigt, was in Chile hohe Wellen schlug und tatsächlich zu einer Veränderung führte.

„Wir stehen alle an der Front.“

Eine junge Frau, ihr Gesicht durch eine Stoffmaske, eine Kapuze sowie eine Taucherbrille gänzlich vermummt, blickt in die Kamera und erzählt darüber, was sie sich von den Protesten verspricht. Sie berichtet von ihrem Sohn, den sie über alles liebt, und wegen dem sie an den Demonstrationen teilnimmt. „Wir stehen alle an der Front.“, sagt sie und verweist damit auf das Kriegsvokabular, das bereits Präsident Piñera nutzte, um die Bewegung wie auch seine Reaktion auf diese zu beschreiben. Für die Frau geht es jedoch nicht um politischen Machterhalt, sondern um Dinge wie eine Altersvorsorge, eine Ausbildung für ihren Sohn und ihre Miete, die sie sich nicht mehr leisten können angesichts der steigenden Lebenskosten in Chile.

Sie ist die Erste, die mit Guzmán über die Proteste ins Gespräch kommt (oder zumindest die erste Person, die der Film zeigt) und bereits in diesen ersten Minuten zeigt sich, dass der thematische Rahmen von Mi pais imaginario weit über die Landesgrenzen Chiles hinausgeht. Die Bedürfnisse der jungen Frau, wie der anderen Gesprächspartner des Regisseurs, könnten auch die vieler Menschen in anderen Ländern sein, welche beispielsweise die Kosten für Strom, Wasser und Gas als eine existenzielle Herausforderung sehen, während eine politische Reaktion auf sich warten lässt und in der Wirtschaft volle Taschen herrschen.

In Mi pais imaginario zeigt Guzmán die Entwicklung der Proteste wie auch die Parallelen zu der Zeit vor dem Sturz Pinochets, die er ebenfalls mit der Kamera begleitet hat. Die Dokumentation zeigt die Wut eines Volkes über die wachsende Diskrepanz zwischen den Herrschenden und den Bürgern. Die Empörung als Empfindung überträgt sich auf den Zuschauer, auch wenn die kulturellen Umstände naturgemäß meist anders sind. Guzmán dokumentiert den Frust der Masse ebenso wie die Zuversicht, dass man etwas verändern kann, wenn man nur die eigene Stärke kennt und für ein gemeinsames Anliegen nutzt.

Credits

OT: „Mi pais imaginario“
Land: Chile, Frankreich
Jahr: 2022
Regie: Patricio Guzmán
Drehbuch: Patricio Guzmán
Musik: Jose Miguel Miranda, Jose Miguel Tobar
Kamera: Samuel Lahu

Bilder

Trailer

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fazit
„Mi pais imaginario“ ist eine Dokumentation über die Proteste in Chile, die zu einer Veränderung der Verfassung führten. Patricio Guzmán zeigt die vielen Facetten und die Forderungen der Demonstranten, und macht darüber hinaus deutlich, wie die Emotionen, die Wut wie auch die Zuversicht, sich weit über die Landesgrenzen Chiles hinaus wiederfinden.
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