Nach einer unschönen Trennung zieht Spieleprogrammiererin Mila (Friederike Kempter) in ein schönes Apartment, um ihren neuen Lebensabschnitt zu beginnen. So ganz ohne Partner will sie aber auch nicht – von sich aus, obwohl etwa ihre Schwester Anja (Heike Makatsch) durchaus Interesse daran zeigt, sie wieder in festen Händen zu sehen. Milas Datingversuche scheitern jedoch. Eines Tages stößt sie auf Tender Hearts – eine Firma, die revolutionäre Lovedroids vermietet. Das Modell Friendly Bo (Madieu Ulbrich), für das sie sich entscheidet, wird bald ihre gesamte Welt durcheinander bringen. Doch die Liebe zwischen Mensch und Maschine wird noch lange nicht von jedem akzeptiert …
Nicht wirklich aufgepasst
Wie Extraordinary weist Tender Hearts Mängel im Worldbuilding und in der internen Logik auf. Die Interessen solcher Serien liegen in anderen Bereichen, aber das darf kein Freifahrtschein dafür sein, ein undurchdachtes Produkt abzuliefern. Was damit gemeint ist, soll anhand einer Szene aus der sechsten Episode veranschaulicht werden. Mila bringt Bo zu einem gemeinsamen Essen mit ihren Eltern, ihrer Schwester, deren Mann (Jan-Peter Kampwirth) und deren gemeinsamen Kindern. Es ist den anderen davor bekannt, dass Bo ein Android ist. Als alle am Esstisch sitzen, erinnert Milas Mutter (Cornelia Lippert) die Anwesenden daran, dass die technischen Geräte auszuschalten sind. Diese kommen der Aufforderung nach. Da Mila keine Anstalten macht, Bo zu deaktivieren, weist ihre Mutter nachdrücklich auf die geltende Regel hin.
Mila weigert sich und betont, dass Bo ihr Freund sei, ihr Partner, und dass sie eine Beziehung mit ihm habe. Ihre Mutter wendet ein, dass er doch eh nicht essen könne, woraufhin Mila sie widersprechend belehrt. Die Mutter lenkt ein, alle stoßen miteinander an. Inklusive dem Androiden. Der seit Anfang der Szene wie alle anderen am Tisch ein gefülltes Weinglas und einen Teller vor sich stehen hat … Das ist alles sehr gut gespielt und es handelt sich um eine wichtige Schlüsselszene, in der Hinsicht gibt es hier nichts auszusetzen. Die Unachtsamkeit bei der Inszenierung ist das Problem. Es mag wie eine Kleinigkeit wirken, aber beim Film gibt es keine kleinen Dinge. Eine simple Lösung wäre gewesen, die Szene mit geringfügigen Anpassungen im Dialog beim Tischdecken spielen zu lassen.
In Sachen Worldbuilding sieht es nicht besser aus. Das Ganze spielt in der zweiten Hälfte der 2030er-Jahre, und zumindest Mila hat alle möglichen futuristischen Gadgets am Start. Etwa eine Art Sonnenbrille, mit der sie fernsehen und mehr kann, selbst während sie in der U-Bahn sitzt. Auch einige der anderen Sprechrollen sind mit modernen Telefonen und desgleichen ausgestattet. Im Hauptquartier von Tender Hearts geht es hypermodern zu. Aber eben nirgendwo sonst. Wenn Mila sich in freier Wildbahn bewegt, sieht das abgesehen von ihr selbst oft einfach aus wie heute. Die Welt um sie herum erweckt nicht den Eindruck, sich knapp fünfzehn Jahre weiterentwickelt zu haben.
Auf der Suche nach Frieden
Es gibt allerdings auch durchdachte Aspekte in Tender Hearts. Zumindest können wir manches wohlwollend so auslegen – es ist natürlich sehr gut möglich, dass hier zu viel hineingelesen wird. Der Name der Protagonistin etwa ist interessant. Wie der Zufall so spielt, passt er zum Namen der Hauptdarstellerin. Friederike, das bedeutet so viel wie „die Friedensfürstin“. Mila hingegen lässt sich mit „die Frieden Bringende“ übersetzen. In gewisser Weise bringt Mila Frieden. Ihrer Umgebung, aber vor allem sich selbst. Oder sie versucht es wenigstens. Bo bedeutet „der Sesshafte“. Mila kommt aus einer schwierigen Beziehung, auf Abenteuer kann sie sich nicht einlassen. Sie will mit jemandem sesshaft werden – ob sie das nun weiß oder nicht. Von den zur Verfügung stehenden Optionen hat sie explizit ihn gewählt. Es handelt sich dabei zudem um einen Vornamen, der zwar vorwiegend an Männer vergeben wird, aber im Grunde geschlechtsneutral ist, was zum Kosmos der Serie passt.
Wieder anderes ist durchwachsen. Milas linkes Bein ist seit einem Unfall in der Kindheit gelähmt. Sie muss daher eine Orthese tragen. Abgesehen von einer einzigen Szene (an der sich zudem so einiges kritisieren ließe), spielt das Teil aber nie eine echte Rolle. Die Hintergrundgeschichte wird im Laufe der Serie etwas mehr als nur angedeutet, und diese ist auch für Bos Entwicklung wichtig, aber insgesamt wurde doch zu wenig damit gemacht. Wir können die Orthese wieder wohlwollend als allegorisches Hilfsmittel interpretieren: Mila kommt nur schwer im Leben voran, braucht externe Hilfe, um internen Frieden zu finden. Das stellt die Serie vor gewisse selbstfabrizierte Probleme. Jene Zuschauer, die nicht verstehen (wollen), was ein Schauspieler ist, werden sich weidlich darüber echauffieren können, dass die Rolle nicht mit einer Person besetzt wurde, die tatsächlich gelähmt ist. Diese haltlose Kritik wird ironischerweise aus den Reihen derer kommen, bei denen Tender Hearts sich in bestimmten Aspekten anbiedern möchte.
Gelebte Normalität
Wenn der Pressetext eines Films oder einer Serie von einer Welt redet, „in der Themen wie Diversität, nonbinäre Geschlechtsidentitäten und polyamore Beziehungen längst zum Alltag gehören“ oder davon spricht, dass „damit der Near-Future-Serienwelt die dringend benötigte weibliche Perspektive“ hinzugefügt würde, ist das für manche aufgrund der ganzen diesbezüglichen Flops aus der jüngeren Vergangenheit bereits ein deutliches Warnzeichen. Zumindest das erste Zitat ist aber ausnahmsweise einmal akkurat. Die genannten Themen gehören in Tender Hearts tatsächlich zum Alltag. Heißt: Sie finden wie selbstverständlich in der Filmrealität statt. Sie werden dem Zuschauer also nicht wie so oft mit aller Gewalt als normal eingeprügelt, sodass das Gegenteil offensichtlich wird, sondern sind es tatsächlich. Die Normalität wird gezeigt und gelebt, statt mit bloßen Lippenbekenntnissen beteuert. Daran werden sich zukünftige Werke messen lassen müssen.
Die schauspielerischen Fähigkeiten von Friederike Kempter (Ach Du Scheiße!) sind über jeden Zweifel erhaben, und ihre brillante Performance hier zu zerreden, wäre Zeichenverschwendung – sie muss erlebt werden. Was auch immer bei Tender Hearts falsch gemacht wurde, die Besetzung der beiden Protagonisten rettet einiges. Madieu Ulbrich hat seine Rolle auf eine Weise begriffen, wie es im deutschen Film nicht allzu häufig vorkommt. Sprachduktus, Intonation, sogar die Augenbewegungen wirken bis ins letzte Detail durchdacht. In Situationen, in denen Bo etwas nicht versteht, wären viele Schauspieler in die Falle getappt, dies mit einem überbetonten Stirnrunzeln zu verdeutlichen. Ulbrich hingegen macht genau das Richtige: Nichts. Ein Computer ist ein genialer Idiot. Die KI in Bo wurde sicher darauf trainiert, ein angenehmer Partner zu sein, aber menschliche Sprache und menschliches Verhalten übersteigen mitunter die Komplexität, welche eine Maschine verarbeiten kann. Bo ist oft überfordert von Milas Aussagen und Ansprüchen. Ulbrichs Schauspiel vermittelt uns nicht das Bild eines verwirrten Mannes, wie es vermutlich bei vielen seiner Kollegen der Fall gewesen wäre. Stattdessen sehen wir eine zweckmäßige, heteronome Körperhülle, in deren Inneren ein Algorithmus versucht zu eruieren, wieso das Befolgen seiner Handlungsvorschrift zur Lösung des jeweiligen Problems nicht das gewünschte Ergebnis erzielt hat.
Zu viel gewollt
Marie-Lou Sellem ist fantastisch als Tender-Hearts-Chefin hergerichtet. Das Drehbuch kann ihre Rolle nicht ganz ausloten, aber die Masken- und Kostümabteilung verhilft der Schauspielerin dennoch dazu, zumindest optisch zu überzeugen. Der Name von Heike Makatsch wird aufgrund ihrer Reputation als Aushängeschild der Serie verwendet, aber ihre Figur könnte beinahe komplett rausgestrichen werden. Für die angesprochene Schlüsselszene ist sie wichtig, und natürlich kann der Charakter nicht dort zum ersten Mal auftauchen, er musste schon vorher eingeführt werden. Die Serie scheint über weite Teile jedoch einfach zu vergessen, dass es ihn überhaupt gibt. So kann der Eindruck entstehen, die Figur wäre nur ins Drehbuch aufgenommen worden, um Makatsch in Tender Hearts unterzubringen. Anhand vereinzelter Szenen lässt sich fundiert gegen diese These argumentieren, aber der Umgang mit Milas Schwester ist eine weitere Unzulänglichkeit des Skripts. Dabei ist Anja so ein furchtbar kaputter Mensch, es wird unglaublich viel Potenzial vergeudet, da ihr Charakter nicht tiefer ergründet wird. Stattdessen wird sie immer wieder einmal dazu benutzt, die Handlung mit Amy Schumer-esken, auf weiblicher Anatomie basierenden ‚Humor‘ ‚aufzulockern‘. Völlig falsche Prioritätensetzung und sicher keine „dringend benötigte“ Perspektive jedweder Art.
Die erste und die letzte Folge sind die schwächsten der Serie, was viel schlimmer ist als ein starker Anfang und ein starkes Ende, die durch einen schwachen Mittelteil verbunden werden. Den Zuschauer nicht direkt zu Beginn zu packen oder ihn nicht wenigstens zum Abschluss mit positiv in Erinnerung bleibenden Eindrücken in die reale Welt zu entlassen, ist ein Kardinalfehler. Die erste Episode wirkt öfter wie reiner Filler, die letzte Folge ist hingegen recht chaotisch. Es fühlt sich wie ein ständiges Hin und Her, ein Vor und Zurück an. Der klare Fokus scheint zu fehlen. Das lässt sich wie einige weitere Probleme auf eine bestimmte Sache zurückführen: Tender Hearts möchte zu viel. Milas Liebesgeschichte steht schon über weite Teile im Vordergrund, aber es kommen im Laufe der Zeit so viel mehr Themen dazu, für die Tender Hearts gar nicht den Raum hat, um sie alle angemessen zu behandeln. Das Ergebnis ist, dass vieles auf der Strecke bleibt. Das Skript ist schlicht überfrachtet.
OT: „Tender Hearts“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Pola Beck
Drehbuch: Eva Lia Reinegger
Musik: Joe Masi
Kamera: Johannes Louis
Besetzung: Friederike Kempter, Madieu Ulbrich, Vladimir Korneev, Marie-Lou Sellem, Heike Makatsch, Jan-Peter Kampwirth, Cornelia Lippert, Yousef Sweid
https://youtu.be/xOyIqwvNAe8
Wer mehr über Tender Hearts erfahren möchte: Wir hatten die Gelegenheit, uns mit Hauptdarstellerin Friederike Kempter und Hauptdarsteller Madieu Ulbrich Interviews zu führen und uns mit ihnen über die Serie zu unterhalten.
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