Vicky (Sally Dramé) führt ein ruhiges, wenngleich nicht übermäßig glückliches Leben in einem kleinen Dorf in den französischen Alpen. So ist die Beziehung ihrer Eltern Joanne (Adèle Exarchopoulos) und Jimmy (Moustapha Mbengue) schon vor einer ganzen Weile erkaltet. Die Achtjährige wird zudem als Tochter einer weißen Frau und eines schwarzen Mannes immer mal wieder gemobbt. Dafür hat sie eine besondere Fähigkeit, von der niemand etwas weiß: Sie kann einzelne Düfte über weite Strecken klar erkennen und sie zudem auch rekreieren. Diese Fähigkeit macht sie sich auch zunutze, als eines Tages Julia (Swala Emati) auftaucht, die Schwester von Jimmy. Dass mit der etwas nicht stimmt, merkt sie schnell. Bei dem Versuch, ihre Essenz einzufangen, reist sie weit in die Vergangenheit und lernt dabei mehr über ihre Familie …
Aufwachsen als Ausnahmezustand
Man kann Léa Mysius sicherlich nicht vorwerfen, dass sie in den letzten Jahren untätig gewesen ist. So war sie als Drehbuchautorin sehr gefragt, arbeitete mit André Téchiné an Abschied von der Nacht, mit Jacques Audiard an Wo in Paris die Sonne aufgeht, und mit Arnaud Desplechin an Im Schatten von Roubaix. Die letzten beiden Filme brachten ihr auch jeweils eine César-Nominierung für das beste adaptierte Drehbuch ein. Während sie auf dieser Weise mit einer Reihe bedeutender Regisseure kooperierte, musste man ziemlich lange warten, bis die Französin auch wieder selbst hinter der Kamera stand. Fünf Jahre dauerte es nach Ava – Plötzlich erwachsen, bis sie sich mit The Five Devils zurückmeldete. Doch die Wartezeit hat sich gelohnt, die Filmemacherin zeigt auch bei ihrem zweiten Langfilm, dass sie eine ganz eigene Stimme hat.
Wobei ihre beiden Filme eine Reihe von Gemeinsamkeiten haben. So erzählt sie erneut von einem Mädchen, das unter schwierigen Bedingungen aufwachsen muss. War es im gefeierten Debüt noch eine zunehmende Erblindung, die das Aufwachsen erschwerte, sind es hier familiäre Probleme sowie Rassismus. Vicky ist ein Fremdkörper in dem kleinen Bergdorf, was zu einer symbiotischen Beziehung mit ihrer Mutter geführt hat. Und noch etwas hat The Five Devils mit dem ersten Drama gemeinsam: Mysius verbindet den Coming-of-Age-Aspekt mit Fantasy-Elementen. So gab es beim letzten Mal ziemlich surreale Szenen. Dieses Mal wird der außergewöhnliche Geruchssinn der Protagonistin zu einer Möglichkeit, in die Vergangenheit zu reisen, wenn sie an den selbst kreierten Kopie-Düften riecht.
Mysteriöser Abgrund in den Bergen
Wie das genau funktioniert, wird nie erklärt. So spielt das Drama, das 2022 in der Directors’ Fortnight von Cannes Premiere feierte, der Mystery-Faktor keine wirkliche Rolle. Die Spezialfähigkeit der Protagonistin ist zwar wichtig für den Ablauf der Handlung, steht selbst aber nicht im Mittelpunkt. Eine längere Passage zeigt, wie Vickys Mutter von der Begabung erfährt und überrascht ist. Ansonsten befasst sich Mysius stärker mit den Beziehungen innerhalb der Familie. Die sind allesamt besonders, egal ob nun Mutter-Tochter, Mann-Frau oder Frau-Frau. Und dann ist da auch noch Nadine (Daphné Patakia), die früh auftaucht, deren Bedeutung aber erst im späteren Verlauf deutlich wird. The Five Devils gleicht hier einem Puzzle, dessen einzelnen Stücke zunächst gar nicht zusammenpassen.
Tatsächlich wird der Film in mancher Hinsicht auch bis zum Schluss ein Stückwerk bleiben. The Five Devils ist ein verschachteltes Werk, irgendwo zwischen Alltag und magischem Realismus, das gar nicht vor hat, alles zu beantworten. Darauf muss man sich einlassen, der Genremix befasst sich zwar mit unserer Welt, lebt dabei aber auch in einer eigenen. Das ist faszinierend, teilweise sehr traurig und bitter. Dazu passen auch die Bilder: Anstatt sich auf idyllischen Heimatfilm-Landschaften auszuruhen, wird das Bergdorf zu einem kalten Ort der Entfremdung, an dem vieles nichts ausgelebt werden kann. Dann und wann bricht es heraus, in einem Strudel aus Gewalt und Leidenschaft. Oft genug bleibt den Figuren aber nichts anderes übrig als einfach zuzuschauen, während vor ihren Augen alles kaputt geht.
OT: „Les Cinq Diables“
Land: Frankreich
Jahr: 2022
Regie: Léa Mysius
Drehbuch: Paul Guilhaume, Léa Mysius
Musik: Florencia Di Concilio
Kamera: Paul Guilhaume
Besetzung: Adèle Exarchopoulos, Sally Dramé, Swala Emati, Moustapha Mbengue, Daphné Patakia
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
César | 2023 | Beste visuelle Effekte | Guillaume Marien | Nominiert |
Cannes 2022
Filmfest Hamburg 2022
Sitges 2022
QFFM 2022
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