Irgendwann kommt im Leben der meisten Jugendlichen die Phase, in der sie ihre Komfortzone verlassen und eine Reise in die Welt da draußen wagen. Während das bei den meisten aber bedeutet, dass sie das erste Mal Sex haben, sich Gedanken über eine berufliche Zukunft machen und sich selbst zu finden versuchen, bedeutet das bei den Anhängern der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage: Gehet raus und mehret euch! Nicht im Sinne biologischer Fortpflanzung. Vielmehr wird erwartet, dass die jungen Männer und Frauen durch die Welt reisen und andere zu dem eigenen Glauben bekehren. Denn während die Zeit großer Missionierungsexpeditionen des Christentums vorbei ist, ist man bei den Mormonen – unter dem Namen ist diese Glaubensrichtung bekannt – der Ansicht, dass gar nicht genug Leute bei ihrem Club mitmachen können.
Auf der Suche nach neuen Gläubigen
The Mission begleitet vier solcher Menschen – zwei Jungs und zwei Mädchen – auf ihrer Reise von den USA nach Finnland, wo man sich offensichtlich Chancen ausrechnet, noch andere Leute rekrutieren zu können. Einer der vier träumt sogar davon, die absolute Zahl zu verzehnfachen. An Ambitionen mangelt es ihnen also nicht, wohl aber an Erfahrung. So haben sie zuvor zwar einen Crashkurs für angehende Missionierende gemacht. Richtig viel Kontakt zu Andersgläubigen hatten sie aber sicher nicht. Wobei in einer Szene eine davon berichtet, wie sie selbst von anderen Menschen auf Mission zum Glaubenswechsel überredet werden sollte – was in ihr ein herzhaftes Lachen provoziert.
Es wäre interessant gewesen, diese Szene auch selbst sehen zu dürfen, anstatt nur eine Beschreibung derselben zu erhalten. Allgemein gibt es in The Mission enttäuschend wenige inhaltliche Auseinandersetzungen mit Andersdenkenden. Das betrifft nicht nur die Missionierungsversuche, die meistens schon bei der Begrüßung wieder vorbei sind. Es fehlt vor allem ein Austausch mit der lokalen Bevölkerung außerhalb der Missionierung. So wurde zwar schon im Vorfeld etwas Finnisch gelernt, was ein Interesse am Fremden impliziert. Da aber den jungen Menschen der Kontakt außerhalb der Glaubensgemeinschaft verboten wird, mangelt es nicht nur an religiösen Diskussionen. Es mangelt an allem, was den Horizont irgendwie erweitern könnte. Wenn bei der Rückkehr zum Ende des Films die Rede davon ist, wie bereichernd die immerhin viele Monate lang dauernde Reise war, darf man sich fragen: inwiefern?
Das Individuum hinter der Uniform
Wer darauf aus ist, geht hier also leer aus. Gleiches gilt für Zuschauer und Zuschauerinnen, die erfahren wollen, was genau diese Glaubensgemeinschaft von anderen Formen der Religion unterscheidet. The Mission ist in der Hinsicht ziemlich dünn. Deutlich interessanter ist dafür der persönliche Zugang. Regisseurin Tania Anderson, die selbst einmal eine Begegnung mit missionierenden jungen Männern hatte, wollte wissen, wie das so ist, wenn man die vertraute Heimat hinter sich lässt, um andere Menschen von etwas überzeugen zu wollen, die zum Großteil nichts damit zu tun haben wollen. Trotz des starken Drucks und eines allgegenwärtigen Konformismus’, der Teil dieser Religion ist: Hinter den austauschbaren jungen Menschen verbergen sich Individuen.
Am stärksten ist der Dokumentarfilm, der 2022 beim Sundance Film Festival Premiere feierte, wenn tatsächlich das Persönliche hinter der offensiven Freundlichkeit hervortritt. Wenn kurz innegehalten wird, etwa bei einem jungen Mann, der zunehmend verzweifelt und seine Depressionen offen zeigt. Gerade weil drumherum die heile Welt inszeniert wird, hinterlässt die Szene einen bleibenden Eindruck. Ansonsten bleibt The Mission leider zu oft an der Oberfläche hängen. Ob Anderson bei diesen Stellen nicht nachhaken wollte oder durfte, ist müßig zu diskutieren. So oder so bleibt das Gefühl einer verpassten Chance. Zwar hat man hier im Anschluss an die anderthalb Stunden wieder eine Ahnung davon, dass diese lächelnden Gläubigen mehr sein können als auswendig gelernte Handbücher. Aber es bleibt doch alles recht fremd und kurios.
OT: „The Mission“
Land: Finnland, Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Tania Anderson
Drehbuch: Tania Anderson
Musik: Mikko Joensuu
Kamera: Antti Savolainen
Sundance 2022
Zurich Film Festival 2022
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