Der Zehntklässler Jin (Ben Wang) findet in der Schule keinen richtigen Anschluss. Die Probleme seiner Eltern (Chin Han, Yann Yann Yeo) zu Hause machen die Sache für ihn auch nicht einfacher. Als er mit Wei-Chen (Jimmy Liu) einen neuen Mitschüler bekommt, ändert sich sein Leben bald darauf jedoch grundlegend. Der ist nämlich gar kein Mensch, sondern der Sohn des Gottes Sun Wukong (Daniel Wu), dem Affenkönig aus der chinesischen Mythologie. Wei-Chen weiß durch einen Traum, dass ein ganz normaler Teenager ihm dabei helfen wird, die sagenumwobene Vierte Schriftrolle zu finden, welche eine Revolution gegen den Himmel verhindern kann …
Inspiriert von einer Legende
In Chang Can Dunk übernahm Ben Wang noch eine Nebenrolle als Sidekick des Protagonisten, in der ebenfalls auf Disney+ veröffentlichten Serie American Born Chinese nun darf er die Hauptrolle bekleiden. Es muss leider festgestellt werden, dass er als Nebendarsteller doch besser geeignet ist. Das ist nicht einmal eine Kritik an seinem Schauspiel, da es in dem Bereich nicht viel zu bemängeln gibt. Es fehlt ihm schlicht an einer gewissen Ausstrahlung. Generell sind die Performances aber ein ganz großes Plus der Serie.
Nachdem Disney sich den ein oder anderen Flop erlaubt hat, sollen die Freunde aus Fernost wohl wieder etwas besänftigt werden – zumindest jene im eigenen Land, da Disney+ in China gar nicht verfügbar ist. Da sich generell nicht davor gescheut wird, aus politischen Motiven eine Tatsache der Vorlage zu einem Sachverhalt der Adaption zu machen, ist Wei-Chen hier nun ebenfalls ein Chinese. Jimmy Liu hingegen ist Taiwanese, genau so wie Wei-Chen in der Graphic Novel American Born Chinese von Gene Luen Yang. Diese wiederum vermischt Erfahrung des Autors mit Elementen aus Die Reise nach Westen aus dem 16. Jahrhundert, einem der großen Romane der chinesischen Literatur. Die Legende um den Affenkönig Sun Wukong hat unter anderem auch den Manga Dragon Ball von Akira Toriyama inspiriert (was in der letzten Folge auch eine kleine Rolle spielt).
Gute Actionszenen
Wer aufgrund der Fokussierung auf Identität nun aber befürchtet, die Kampfszenen wären in etwa so mitreißend wie jene in Kung Fu, der kann direkt beruhigt werden. Es gibt zwar manche Episoden gänzlich ohne physische Auseinandersetzungen, aber Action ist durchaus vorhanden – sogar gute Action. Die Choreographien sind wohl durchdacht und ausgeführt. Was visuelle Effekte angeht, lässt sich an American Born Chinese hier und da schon etwas bemängeln, aber die Spezialeffekte sind rundum gelungen. Bei den Kämpfen wird zudem sinnvoller Gebrauch des aus den klassischen Hongkong-Actionfilmen bekannten so genannten Wire Fu gemacht.
Der beste Moment ist vielleicht der Einstieg der Serie: Wei-Chen rennt über ein herrlich anzusehendes Feld von roten Blättern, verfolgt von einer Entität, die erst als Raubvogel, dann als Tiger, später als etwas ganz anderes in Erscheinung tritt. Wer sich dahinter verbirgt, soll hier nicht verraten werden, obwohl es direkt nach der Szene aufgelöst ist. Wer mit Die Reise des Westen in Grundzügen vertraut ist, wird der Serie vor allem am Anfang besser folgen können, alle anderen müssen ein wenig darauf warten, dass American Born Chinese sie genauer mit der Mythologie vertraut macht.
Original bevorzugt
Es darf wohl davon ausgegangen werden, dass die Mehrheit der Zuschauer hierzulande eher nicht des Mandarin mächtig sind. Gerade die vierte Episode erfordert somit viel Leserei, da sie vor mehreren tausend Jahren und im Reich der chinesischen Götter spielt. Aber auch sonst gibt es in der Serie einige Szenen, bei denen für Unwissende Untertitel erforderlich sind. Wer Englisch versteht, sollte die deutsche Synchronisation beiseite lassen. Der Grund dafür soll an einem Beispiel veranschaulicht werden. Ein Dialog in der siebten Folge etwa sieht im Original so aus:
Jin: „[…] Who was that guy?“
Wei-Chen: „[…] My father’s enemy. The Bull Demon.“
Jin: „That’s his name? The Bull Demon?“
Dieselbe Szene auf Deutsch hingegen so:
Jin: „[…] Wer war dieser Kerl?“
Wei-Chen: „[…] Niú Mówáng, der Stierdämon. Der Feind meines Vaters.“
Jin: „Das war der Stierdämon Niú Mówáng?“
Während Jin sich im Original leicht sarkastisch-perplex anhört und im Grunde die Gesamtsituation hinterfragt, lässt die deutsche Version den Eindruck entstehen, als hätte er schon sehr viel über den Stierdämonen gehört, ihn jedoch nie zuvor zu Gesicht bekommen und ihn sich ganz anders vorgestellt. Bei übersetzten Sprachfassungen erhält nicht selten die Lippensynchronizität den Vorrang gegenüber der Akkuratesse, aber hier wirkt es schon ein wenig so, als wollten die Synchrondrehbuchautoren durchscheinen lassen, wie gut sie doch über Die Reise nach Westen und Niú Mówáng Bescheid wissen. In den deutschen Untertiteln ist übrigens ebenfalls lediglich vom Bull Demon (Leonard Wu) die Rede, was auch für die Tonspur die richtige Wahl gewesen wäre.
Plot etwas überladen
Ansonsten ist der Plot in American Born Chinese vielleicht etwas überladen. Die parallel verlaufenden Handlungsstränge weisen zwar auch inhaltliche Parallelen auf, aber es steckt doch etwas zu viel in der Serie. Das Pacing ist im Großen und Ganzen in Ordnung, Kürzungen hier und da wären aber auch keine Fehlentscheidung gewesen. Die beste Folge dürfte wohl die sechste sein, für welche Lucy Liu (Shang-High Noon) auf dem Regiestuhl Platz nahm. Wer nicht hängen gelassen werden möchte, sollte mit der Sichtung besser noch warten, ob die Serie abgesetzt oder verlängert wird – sie endet mit einem Cliffhanger.
OT: „American Born Chinese“
Land: USA
Jahr: 2023
Regie: Destin Daniel Cretton, Dinh Thai, Dennis Liu, Peng Zhang, Johnson Cheng, Lucy Liu, Erin O’Malley
Drehbuch: Kelvin Yu, Charles Yu, Vali Chandrasekaran, Warren Hsu Leonard, Aaron Izek, Lawrence Dai, Kai Yu Wu, Lana Cho
Vorlage: Gene Luen Yang
Musik: Wendy Wang
Kamera: Brett Pawlak, Alan Poon
Besetzung: Ben Wang, Yann Yann Yeo, Chin Han, Ke Huy Quan, Jimmy Liu, Sydney Taylor, Daniel Wu, Michelle Yeoh, Stephanie Hse, Poppy Liu, Leonard Wu
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