Anna Nicole Smith: You Don’t Know Me

Für das tragische Leben von Vickie Lynn Marshall ist eine Dokumentation das falsche Format. Es ist beinahe schon Stoff für eine Oper. Tatsächlich erschien im Jahre 2011 eine solche. Die deutsche Uraufführung von Anna Nicole fand 2013 in Dortmund statt. Der Titel ist in Anlehnung an den Namen, unter welchem Vicky bekannt wurde. Nun hat Netflix jedenfalls keine neue Oper in Auftrag gegeben, sondern eine Dokumentation: Anna Nicole Smith: You Don’t Know Me.

Ob der Name Anna Nicole Smith Vertretern einer jüngeren Generation heutzutage überhaupt noch etwas sagt, darf gerne bezweifelt werden. Diese sind aber natürlich nicht die Zielgruppe des Dokumentarfilms. Anna Nicole Smith: You Don’t Know Me richtet sich eher an ein Publikum, welches die Laufbahn der US-Amerikanerin noch live mitbekommen hat. Seit ungefähr 2010 herum wird sie wohl gänzlich in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sein, aber das war immerhin noch drei Jahre nach ihrem Tod. Warum im Jahre 2023 eine Doku über sie erscheint, ist nicht ganz klar. Natürlich muss es für so etwas keinen besonderen Anlass geben, aber Smith selbst hätte das Ganze wohl medial besser auszuschlachten gewusst.

Fauler Twist

Regisseurin Ursula MacFarlane geht bei der Inszenierung ihrer Dokumentation ziemlich traditionell, um nicht zu sagen uninspiriert vor. Archivaufnahmen (teilweise immerhin bisher unveröffentlicht), talking heads, der übliche Zinnober eben. Ob manche der interviewten Personen wirklich hätten zu Wort kommen sollen, darüber lässt sich streiten. Einer etwa vermittelt beinahe den Eindruck, als sei er betrunken, während er in die Kamera spricht und irgendetwas davon faselt, wie er damals die Fenster zugenagelt hat, als seine junge Nichte Anna Nicole zeitweise bei ihm wohnte. Die Aussagen manch anderer sind ebenfalls eher skeptisch zu betrachten, nicht nur weil sie wie der angesprochene Kandidat ungeeignet wirken, sondern weil sie irgendwie nichts zu sagen zu haben scheinen und fehl am Platz wirken. Wieder andere verfolgen wohl eher eine eigene Agenda, statt tatsächlich Licht in die Sache bringen zu wollen.

Anna Nicole Smith wollte Ruhm und Reichtum, und das so schnell wie möglich und mit so wenig Einsatz wie möglich. Das kann jetzt natürlich alles noch komplexer gemacht werden, als es eigentlich ist, aber im Grunde geht es kaum darüber hinaus. Der Titel suggeriert bereits, dass sich hinter der ganzen Sache wohl mehr verbirgt, und tatsächlich zeichnet die Dokumentation gegen Ende ein Bild, das vielleicht nicht ganz so offensichtlich war. Blöderweise besteht MacFarlane darauf, einen Twist einzubauen. Dabei hält sie eine Information bis fast zum Schluss zurück, die dramaturgisch eigentlich an den Anfang gehört hätte. Etwas Ähnliches wurde in Kunst kommt aus dem Schnabel, wie er gewachsen ist gemacht. Da funktioniert das ja auch, aber in einer Doku, die uns einen Menschen näher bringen soll, ist das kein Kunst-, sondern ein Fehlgriff.

Böse Medien

Insgesamt ist das hier alles einfach nur eine Nacherzählung längst bekannter Ereignisse, was die Doku für die eigentliche Zielgruppe eher uninteressant macht, während sie gleichzeitig wohl keine neue erschließen können wird. Die Doku nimmt sich natürlich auch die Zeit, die Sensationslust der Medien zu verdammen, die sich damals auf Smith gestürzt hatten. In gewisser Weise fühlt es sich so an, als ob Smiths Leben neben Anna Nicole und Anna Nicole Smith: You Don’t Know Me auch für The Model Pate gestanden. Was die Medien mit Smith gemacht haben, war sicher oft nicht gutzuheißen, aber so zu tun als hätte Smith es nicht gezielt darauf angelegt, in diesem Umfeld stattzufinden, ist bestenfalls naiv.