Eigentlich steht Arielle (Halle Bailey) das komplette Unterwasserreich zur Verfügung, ist sie doch die jüngste Tochter des Meereskönigs Triton (Javier Bardem). Dennoch fühlt sie sich immer wieder zu der Welt der Menschen hingezogen, obwohl es der Meerjungfrau streng untersagt ist, jemals dorthin zu gehen. Schließlich waren es einst die Menschen, die ihre Mutter töteten. Ihrer Neugierde hat dies jedoch keinen Abbruch getan, sehr zum Leidwesen der Krabbe Sebastian, welche die undankbare Aufgabe hat, auf die Prinzessin aufzupassen. Als Arielle mal wieder allen Anweisungen trotzend ihrer Neugierde nachgibt, wird sie Zeuge, wie der Prinz Eric (Jonah Hauer-King) bei einem Schiffsunglück mutig das Leben eines Hundes rettet. Anschließend ist sie es, die ihm das Leben rettet – und verliebt sich unsterblich in ihn. Doch was tun? Als Meerjungfrau ist es ihr nicht möglich, an Land zu gehen. Das wiederum ruft Tritons Schwester Ursula (Melissa McCarthy) auf den Plan, eine mächtige Seehexe, die einst verbannt wurde und in Arielle ihre Chance sieht, sich an ihrem Bruder zu rächen …
Neuauflage des Zeichentrick-Klassikers
Eine Zeit lang gehörten sie zu den Grundpfeilern der Disney-Geschäftszahlen: Live-Action-Remakes beliebter Zeichentrickfilme. Ob nun Die Schöne und das Biest oder auch Aladdin, die Einspielergebnisse waren gigantisch und bescherten dem Konzern viele erfreuliche Zahlen auf dem Bankkonto. Zuletzt war davon aber nicht mehr übrig geblieben. Pinocchio blieb trotz großer Namen vor und hinter der Kamera dem Publikum von Disney+ vorbehalten. Und auch Peter Pan & Wendy musste sich nach längerem hin und her mit einem Auftritt auf dem hauseigenen Streamingdienst zufriedengeben. Nun startet aber mit Arielle, die Meerjungfrau ein neuer Anlauf, an vergangene Erfolge anzuschließen und die Menschen zurück in die Kinos zu locken. Gut möglich, dass dies auch funktionieren wird. Schließlich war auch der zugrundeliegende Zeichentrickfilm von 1989 eine solche Comeback-Geschichte. Tatsächlich markierte er den Anfang der sogenannten Disney Renaissance, die einige der größten Animationsklassiker aller Zeiten hervorbrachte.
Vergleichbare Ambitionen hat man beim Remake nicht. Tatsächlich ruht man sich hier über weite Teile auf der Grundlage aus, die mehr als 30 Jahre zuvor geschaffen wurde. Das heißt aber nicht, dass deswegen alles gleich geblieben wäre. Schon der Wechsel von gezeichneten Figuren und Hintergründen hin zu realen und solchen, die am Computer entstanden sind, bringt automatisch Änderungen mit sich. Die oft eher schlicht gehaltenen Szenerien sind ausgefeilten, detailüberschwemmten Bildern gewichen. Bombast und Spektakel sind angesagt. Umgekehrt haben aber einige der Figuren gelitten: Arielle, die Meerjungfrau hat wie diverse dieser Remakes das Problem, dass am Rechner erstellte Tiere, die realistisch aussehen sollen, sehr viel weniger ausdrucksstark sind. Zu groß sind die Limitierungen bei der Mimik. Zum Teil wird das durch die gut aufgelegten Sprecher und Sprecherinnen aufgefangen. Aber eben nur zum Teil: Gerade Doktorfisch Fabius ist einfach nur irgendwie da.
Interessante Neuerungen mit deutlichen Längen
Interessant ist dafür, was mit Eric gemacht wurde. War der 1989 noch auf seine Rolle als Love Interest reduziert, bekommt er hier eine eigene Agenda, die sich mit dem Öffnen seines Königreichs gegenüber der Außenwelt befasst. Außerdem ist die Geschichte nun sehr deutlich in der Karibik verortet. Beide Änderungen sind reizvoll, zum Teil auch sinnvoll. So wird der Prinz auf diese Weise zu einer Seelenverwandten der Meerjungfrau, die sich ebenfalls dafür ausspricht, mit offenem Herzen dem Fremden zu begegnen. Stärker noch als das Original wird Arielle, die Meerjungfrau dadurch zu einem Plädoyer für Toleranz und Aufgeschlossenheit. Wie wichtig diese Botschaft ist, noch Jahrzehnte später, sieht man jeden Tag. Regisseur Rob Marshall (Chicago) und sein Team setzen dem Hass und der Kleingeistigkeit der heutigen Zeit einen gut gelaunten Optimismus entgegen. Der Film macht Mut, sich auf andere einzulassen und sich nicht von Vorurteilen leiten zu lassen.
Diese inhaltlichen Verbesserungen haben jedoch einen hohen Preis: die Länge. Die neue Fassung ist rund 50 Prozent länger als das Original, was dem Film einfach nicht guttut. Zwischendurch ist man bei Arielle, die Meerjungfrau so sehr mit allem Möglichen beschäftigt, dass die eigentliche Geschichte kaum noch vorankommt. Dabei gibt es durchaus Höhepunkte dazwischen, für die sich das Abenteuer lohnt. Die gehen auch maßgeblich auf das Ensemble zurück. Die zuvor in erster Linie als Sängerin bekannt gewordene Halle Bailey ist in der Rolle der Titelfigur eine Entdeckung, die Chemie mit ihrem Co-Star Jonah Hauer-King (The Song of Names) überzeugt auch. Und dann wären da noch die Szenen mit Melissa McCarthy, die als Meereshexe Ursula einfach eine Wucht ist. Diese ist hier übrigens im Gegensatz zur Zeichentrickvariante die Schwester Tritons, wie es seinerzeit ursprünglich auch geplant war. Diese Verwandtschaft wird für einige überraschend kommen, trägt aber dazu bei, dass die Geschichte noch eine ganz andere Tragik bekommt. Ob diese Veränderungen allein ausreichen, um den neuen Film zu rechtfertigen, ist Ansichtssache. Lohnenswert ist das Remake aber allemal.
OT: „The Little Mermaid“
Land: USA
Jahr: 2023
Regie: Rob Marshall
Drehbuch: David Magee
Vorlage: Hans Christian Andersen
Musik: Alan Menken
Kamera: Dion Beebe
Besetzung: Halle Bailey, Jonah Hauer-King, Javier Bardem, Melissa McCarthy, Noma Dumezweni, Art Malik
Ihr wollt mehr über den Film erfahren? Wir hatten die Gelegenheit, uns mit Regisseur Rob Marshall zu unterhalten. Im Interview zu Arielle, die Meerjungfrau sprechen wir über die Dreharbeiten, Toleranz und 100 Jahre Disney.
Seit 1937 hat Disney die Geschichte des Animationsfilms maßgeblich mitbestimmt. Wir blicken in unserem Jubiläumsspecial zurück auf das legendäre Studio und stellen Dutzende ihrer Werke vor.
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