Wer kennt das nicht? Nach einem unternehmungsreichen Wochenende sitzt man Montag früh wieder in der Schule und fragt sich: Warum tue ich mir das an? Aber auch sonst dürfte die meisten irgendwann im Laufe ihrer Schullaufbahn ihre Zweifel daran haben, ob das Gelernte unbedingt sinnvoll ist. Wer hingegen die Schule bereits verlassen hat, wird Jahre später feststellen, dass man zwar ganz viele Erinnerungen an die damalige Zeit hatte. Doch die betreffen eher das Leben als solches, weniger den Unterrichtsstoff. Der geht mit den Jahren unweigerlich verloren. Während sich die meisten mit dieser zumindest subjektiv wahrgenommen Sinnlosigkeit abfinden, erzählt Bildungsgang von einer ganzen Reihe junger Menschen, die das eben nicht mehr hinnehmen wollen und sich für einen besseren, angemesseneren Unterricht stark machen.
Wie soll Bildung sein?
Genauer fordert der Verein Demokratische Stimme der Jugend e. V. ein Mitbestimmungsrecht der Schüler und Schülerinnen. Die Idee: Da sie mit dem Gelerntem ihr weiteres Leben bestreiten müssen und dies auch die Grundlage für die berufliche Laufbahn ist, sollten sie selbst sagen dürfen, was ihnen wichtig ist und was sie lernen wollen. An manchen Stellen werden dabei überzogene Bilder verwendet wie „Diktatur“ oder „Massentierhaltung“, womit das Anliegen ins Polemische kippt. Das Anliegen an sich ist aber verständlich und legt den Finger in die Wunde. Worin liegt der Sinn, viel Zeit mit dem Lernen von etwas zu verbringen, das im Anschluss gleich wieder vergessen ist? Damit zusammen hängt auch die Grundsatzfrage, welches Ziel die Schule hat, über ein schwammiges „Bildung“ hinaus.
Was in dem Film fehlt, ist eine tatsächliche Auseinandersetzung mit dem Gesagten und Geforderten. Zwar rufen die Mitglieder zu einem Dialog auf. Dieser findet aber nicht statt, zumindest nicht vor der Kamera. Das führt dann dazu, dass Bildungsgang überwiegend eine Art Imagefilm ist, bei dem die Jugendlichen Werbung machen für ihren Wandel. Das Ergebnis ist leider etwas zwiespältig. Auf der einen Seite veranschaulicht Regisseur Simon Marian Hoffmann, was seine Protagonisten und Protagonistinnen antreibt. Die diversen persönlichen Geschichten sorgen für Abwechslung und veranschaulichen, was da in den Köpfen und Herzen vor sich geht. Es handelt sich dabei nicht um Menschen, die einfach nur keine Lust auf Lernen und Schulaufgaben haben. Sie wollen lernen. Sie wollen es nur auf eine eigene Weise tun, eine, die ihnen und ihren Bedürfnissen mehr gerecht wird.
Fehlende Fragen
Diese mangelnde Auseinandersetzung führt aber auch dazu, dass vieles nicht wirklich weitergedacht und hinterfragt wird. Was ist beispielsweise mit Jugendlichen, die von sich aus gar nicht lernen wollen? Die, wenn sie die Wahl haben, nur noch vor dem Computer sitzen, ausgehen oder sich anderweitig die Zeit vertreiben? Auch die Aussage in Bildungsgang, die Schule müsse weg kommen von der Unterscheidung zwischen „richtig“ und „falsch“ stößt an ihre Grenzen, wenn es um Stoffe geht, bei denen es richtige und falsche Antworten gibt. Naturgesetze werden auch durch den größten Idealismus nicht aufgehoben. Aus zwei und zwei wird nicht fünf, nur weil ich mich dadurch in meiner Freiheit eingeschränkt fühle. Natürlich kann niemand erwarten, dass diese jungen Menschen bereits fertige Antworten haben für Probleme, an denen sich viele andere bereits die Zähne ausgebissen haben. Aber die Aussagen hier haben schon manchmal etwas Demagogisches, was angesichts des Themas etwas seltsam ist.
Richtig befremdlich wird es, wenn Probleme wie der Klimawandel und Kriege in einen Zusammenhang mit der Schule gestellt werden. Nicht nur dass Kriege deutlich älter sind als das Konzept von Schule. Der hier geforderte Individualismus führt schnell auch zu Egoismus, die Quelle vielen Übels. Die unstrittigen Probleme der aktuellen Gesellschaft in einen Kontext zu stellen, ohne zu fragen, ob auch die Errungenschaften das Ergebnis des bestehenden Systems sind, ist ein weiteres Beispiel für die sehr verkürzten Sichten. Inhaltliche Schwierigkeiten gibt es also einige in dem Dokumentarfilm. Ebenso inszenatorische: Wenn in den nachdenklichen Momenten ganz melancholische Musik eingespielt wird, wird es schon arg manipulativ. Das ist alles schade, weil Bildungsgang das gar nicht nötig gehabt hätte, die Themen und Fragen sind wichtig genug. Als Anstoß für Diskussionen ist das hier aber auf jeden Fall geeignet. Der Enthusiasmus, mit denen diese junge Menschen für eine persönlichere und angemessenere Bildung kämpfen, ist ansteckend. Ebenso die Hoffnung, dass neue Ansätze tatsächlich dazu beitragen können, die von ständigen Krisen geplagte Welt wieder etwas besser zu machen.
OT: „Bildungsgang“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Simon Marian Hoffmann
Musik: Actio Grenzgänger, Courtier, Moritz Gaudlitz
Kamera: Michael Hessenbruch
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