Am Anfang dieser sehr persönlichen Dokumentation lernen wir die Großeltern von Regisseurin Astrid Menzel kennen. Zwischendurch kommentiert die Filmemacherin aus dem Off. Sie fragt ihre Großeltern, was sie glauben, was sie nach dem Tod erwartet. Wie aufblitzende Erinnerungen sehen wir Fotografien von früher. Bald braucht ihr Opa einen Rollstuhl. Die Familie ist zu Besuch. Während wir in die Nacht sehen, erzählt Astrid Menzel aus dem Off, wie sie die letzte Zeit mit ihrem Großvater im Seniorenheim erlebt hat, bevor er gestorben ist. Für einen Moment hören wir nur die Geräusche der Nacht und sehen den Mond, vor den sich Wolken schieben. Mit diesen kurzen Ruhepausen schafft die Dokumentation Räume, um durchzuatmen, um nachzudenken.
Eine neue alte Erinnerung
Nach dem Tod ihres Mannes verschlimmert sich die Demenzerkrankung ihrer Oma Carmen und sie kommt in ein Heim. Um ihr zu helfen, beschließt Astrid Menzel eine Kanutour zu organisieren. Gemeinsam mit ihrer Oma und ihrem Bruder Hendric begibt sie sich auf eine Reise. Inspiriert war dieses Abenteuer übrigens von alten Videoaufnahmen der Familie. Es ist also auch gewissermaßen eine Auffrischung einer alten Erinnerung, die wir erleben. So soll es im August von Lilienthal nach Hohenhude mit dem Kanu gehen.
Tüdelig
Mal muss man schmunzeln, mal kurz durchatmen und Tränen wegwischen. Wir sehen, wo die Oma wieder aufblüht, sich zum Beispiel über die Wolken freut und darin allerlei erkennt, sie ganz neu entdeckt. Zwischendurch stellt Astrid ihrer Oma, die sich selbst oft als „tüdelig“ bezeichnet, bedeutungsschwere Fragen, die wir uns als Zuschauer, Zuschauerinnen ebenfalls stellen können. Auch wenn wir nur die geschnittene Version dieser Erinnerung sehen, ist der Film ja selbst auch Teil unserer Erinnerung geworden. Wir sitzen selbst in diesem Kanu.
Wir erleben auch Episoden, in denen die Oma gestresst ist, launisch, etwa wenn sie lange warten muss, oder desorientiert ist und nach Hause will. Diese schweren Momente treffen auf eine respektvolle Geduld, wenn Astrid und Hendric für ihre Oma da sind und sie auch konfrontieren mit ihrer Krankheit und den Geschehnissen, aber auch reflektieren, wo es vielleicht schwer für sie selbst ist im Umgang mit der Situation. Dadurch nehmen sie nicht nur das Thema, sondern auch die Zuschauer und Zuschauerinnen ernst.
Interviews
Ganz aufschlussreich sind auch die Interviews mit der Regisseurin. In einem Interview auf dem „Filmkultur Schleswig-Holstein“-YouTube-Kanal erklärt die Filmemacherin zum Beispiel, dass ihr Werk erst anders anfing. Als sie noch in Portugal Film studierte und dort bei ihren Großeltern war. Anfänglich wollte sie sich um ihren Großvater kümmern, die Kanutour-Idee entstand erst später. Interessant sind auch ihre Worte über die Wichtigkeit von Vertrauen und dass sie für ihre Oma während der Zeit ein Anker war, ihre Heimat und dass die Ortswechsel nicht so einfach sein können für Demenzerkrankte. Möglicherweise hätte eine Expertenstimme in diesem Zusammenhang den Film um eine interessante Perspektive ergänzt.
In einem älteren Interview auf dem „DOK Spotters Leipzig“-YouTube-Kanal spricht Astrid Menzel darüber, dass sie ihrer Oma Szenen von der Reise und einen Teaser gezeigt hat und ihre Oma über den Teaser lachen konnte. Das zeigt nochmal, dass Blauer Himmel Weiße Wolken auch ein Fotoalbum in filmischer Form geworden ist. In dem Interview wird auch ein Bogen geschlagen, denn der Regisseurin wird die Frage über das Leben nach dem Tod gestellt, die sie selbst ihren Großeltern am Anfang des Films gestellt hat.
Man könnte sagen, dass eine Expertenstimme dem Film noch um eine interessante Perspektive hätte ergänzen können. Aber das wäre womöglich so, als würde man ein Foto von seinem Hausarzt, seiner Hausärztin ins Fotoalbum heften. Der Film will kein wissenschaftlicher Beitrag sein, sondern zeigt eine Erinnerung und öffnet damit auch Ansätze für Gespräche und Diskussionen über das Thema „Umgang mit Demenzerkrankten“.
OT: „Blauer Himmel weiße Wolken“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Astrid Menzel
Drehbuch: Astrid Menzel
Musik: André Feldhaus, Anders Wasserfall
Kamera: Astrid Menzel
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