In der Grundschule waren Chang (Bloom Li) und Matt (Chase Liefeld) eigentlich recht gut befreundet. Mittlerweile besuchen sie gemeinsam die Highschool, von einer Freundschaft kann aber nicht mehr gesprochen werden. Im Basketballteam der Schule sind sie sogar beinahe so etwas wie Rivalen. Ein kleiner Vorfall im Training und Matts spätere öffentliche Aussage, dass Chang nicht dunken könne, führen dazu, dass der Sinoamerikaner eine Wette mit dem früheren Freund eingeht: In zehn Wochen wird er einen Slamdunk versenken. Gemeinsam mit seinem Kumpel Bo (Ben Wang) macht er sich an die Vorbereitungen, muss aber bald feststellen, dass das gesetzte Zeitlimit niemals ausreichen wird. Bei seiner Internetrecherche stößt er auf den YouTuber Deandre (Dexter Darden), der Videos von sich beim Dunken hochlädt. Chang kontaktiert ihn, um von ihm zu lernen. Unter Deandres Führung macht er große Fortschritte. Aber wird das reichen?
Abstruser Opfer-Komplex
Chang scheint der Prototyp eines modernen Menschen zu sein, dem seit klein auf eingeredet wurde, dass er ein armes, unterdrücktes Opfer und die Welt ganz gemein sei. Einen Vater gibt es nicht, womit wir im Normalfall bereits die Erklärung dafür hätten. Allerdings scheint dieses Gedankengut nicht von seiner Mutter zu kommen. Selbst sie nimmt Chang nämlich als Feind war, wenn sie ihm ganz normale Fragen stellt, die er auf groteske Weise uminterpretiert, um sich als Gepeinigten sehen zu können. Auch die ganze Dunk-Geschichte ist völlig abstrus. Der Stein des Anstoßes ist eine schlimmstenfalls komplett unbedeutende und bestenfalls lustige und skillbasierte Aktion Matts während des Basketballtrainings, die Chang aber bis in die Grundfesten erschüttert. So sehr, dass er noch lange Zeit später darauf herumhackt, als alle anderen sie schon längst vergessen haben. Genau so wie Matts Aussage, dass Chang nicht dunken könne.
Es ist beinahe absurd, dass der Film auf der einen Seite einzuräumen scheint, wie unangebracht Changs Überreaktion ist (indem er Matt und die Mitschüler dem Wettvorschlag zunächst mit Unverständnis begegnen lässt – wen um alles in der Welt interessiert, ob der Typ dunken kann?), auf der anderen Seite Matt aber trotzdem als bösen Mobber und Chang als sich heldenhaft zur Wehr setzenden Underdog zeichnet. An einer späteren Stelle fragt Chang Matt ernsthaft, ob dieser glaube, Chang könne nicht dunken, weil er Asiate sei. Matts Reaktion auf diesen haltlosen Unsinn dürfte sich kaum von der des reflektierten Zuschauers unterscheiden. In was für einer Welt soll der exklusiv auf Disney+ erschienene Chang Can Dunk denn überhaupt spielen? Eine Welt, in der Yao Ming nicht existiert? In der Sherman Su nicht existiert?
Spurwechsel nach einer Stunde
Das Folgende mag im ersten Moment wie ein Spoiler klingen, aber mit ein wenig Geduld wird sich alles aufklären. Als Chang nach Ende der Trainingszeit seinen Dunk schafft und die Wette gewinnt, entstand beim Rezensenten der Eindruck, dass der Film trotz aller Probleme ein unfassbar exzellentes Pacing hätte, da sich die vermeintlichen 90 Minuten Laufzeit gar nicht als solche anfühlten. Der etablierten Erzählstruktur gemäß wäre der Gewinn der Wette und die unmittelbaren Nachwirkungen der Höhepunkt der Geschichte, welcher in das Ende des Filmes mündet – weshalb die Information, dass Chang den Dunk schafft, von den meisten die den Streifen nicht kennen eben auch sofort intuitiv als Spoiler klassifiziert werden würde. Der erfolgreiche Dunk findet allerdings bereits um die Ein-Stunden-Marke herum statt. Ab da haben wir noch ungefähr vierzig weitere Minuten vor uns.
Was bisher ganz wie ein Verriss aussah, bezog sich vorwiegend auf die erste Stunde Laufzeit. Analog zum Film wird sich der Ton in den folgenden Absätzen nun aber ändern. Viele großartige Werke der Filmgeschichte haben mit bestehenden Konventionen gebrochen. Ob Chang Can Dunk auf lange Sicht auch dazu gezählt werden kann, darf bezweifelt werden. Aber der Film kann durchaus in einem Atemzug mit Vertigo – Aus dem Reich der Toten oder Das Leben ist schön genannt werden – zumindest in der Hinsicht, dass er eine so genannte doppelte Dramaturgie aufweist. Es liegt also eine zweigeteilte Geschichte vor, der Übergang von der einen in die andere stellt gleichsam einen erneuten Anfang des Films dar. Generell wirkt die zweite Hälfte von Chang Can Dunk, als sei sie von einem ganz anderen Autoren geschrieben und von einem anderen Team inszeniert worden. Was als moderne Highschool-Komödie daherkam, wird hier unter anderem zum ernsten Mutter-Sohn-Drama. Wie Coach Carter ist Chang Can Dunk kein Basketballfilm. Auf der einen Seite steht der verwirrte Sohn, der in seinem Bestreben nach Aufmerksamkeit seine Gegner selbst kreiert, auf der anderen Seite die besorgte Mutter, die keinen Zugang zu dem fehlgeleiteten Jungen findet, und zugibt, dass der Vater fehlt und sie ihn nicht richtig erzogen hätte.
Trickreich mit problematischem Pacing
Für Changs Mutter muss hier eine Lanze gebrochen werden. Sie ist nicht nur ein gut ausgearbeiteter Charakter, sondern wird auch grandios von Mardy Ma verkörpert. Ansonsten wird beinahe alles bisher im Film Etablierte nun konterkariert. Bei der Flut an Machwerken, die ähnlich aufgebaut sind wie die erste Stunde von Chang Can Dunk, es damit aber ernst meinen, wird lange Zeit nicht ersichtlich, worum es im Film eigentlich geht. Während erstere suggerieren, dass die Gesellschaft sich gefälligst den eigenen verschrobenen Weltanschauungen zu beugen hat, muss Chang hier für seine Fehltritte geradestehen, sich am Riemen reißen und etwas aus sich machen. Ein klassischer Fall von „They had us in the first half, I’m not gonna lie.“ Die letzte halbe Stunde von Chang Can Dunk ist fantastisch, zu einem gewissen Teil deshalb, weil sie auf dem bewusst schwachen Anfang aufbauen. Es steckt eindeutig Methode dahinter, nur kann leider nicht vom Zuschauer verlangt werden, dass er das falsche Spiel so lange mitmacht. Wie bei einem Zaubertrick ist die Irreführung hier integraler Bestandteil, hätte aber früher zum Payoff führen müssen. Das ist aber natürlich immer noch besser, als eine starke erste Stunde mit dem zweiten Teil komplett zu verwässern.
OT: „Chang Can Dunk“
Land: USA
Jahr: 2023
Regie: Jingyi Shao
Drehbuch: Jingyi Shao
Musik: Nathan Matthew David
Kamera: Ross Riege
Besetzung: Bloom Li, Ben Wang, Zoe Renee, Mardy Ma, Dexter Darden, Chase Liefield
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)