Der Schock ist groß, als herauskommt, dass Felix Häverkamp (Benjamin Raue) und Emma Rinaldi (Juliane Siebecke) gemeinsam abgehauen sind. Italien ist das Ziel der beiden jungen Menschen mit Down-Syndrom, sie wollen zu Emmas Großvater Roberto (Sandro Di Stefano), zu dem sie seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte. Felix’ Vater Alexander (Sebastian Ströbel) und Elisa Jansen (Anna Maria Sturm), die gemeinsam mit ihrem Mann Holger (Tobias Licht) einen inklusiven Bauernhof betreibt, sind aber bereits auf dem Weg, um die beiden Ausreißenden wieder nach Hause zu holen. Dabei müssen sie sich nicht nur beeilen, da Felix an einer Herzschwäche leidet. Gleichzeitig wird die Reise für die zwei zum Anlass, sich mit eigenen Sorgen und Problemen auseinanderzusetzen …
Über das Leben mit Down-Syndrom
Herzstolpern ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein ungewöhnlicher Beitrag zur ZDF-Programmschiene Herzkino. Nicht nur dass es sich hier um einen Zweiteiler handelt, der an zwei aufeinanderfolgenden Abenden ausgestrahlt wird – eine Abkehr vom üblichen Sonntag-Sendetermin. Auch inhaltlich stechen die Filme ein wenig hervor. Im Mittelpunkt stehen schließlich Menschen mit Trisomie 21. Die wurden zwar zuletzt mehrfach im öffentlich-rechtlichen Fernsehen integriert, etwa bei Toni, männlich, Hebamme: Eine Klasse für sich. Dass sie aber derart prominent Hauptrollen übernehmen, ist unerwartet. Der erste Teil Aufbruch nach Italien nutzte die Gelegenheit, um massiv für Akzeptanz zu werben. Das Motto: Menschen mit Down-Syndrom wollen nicht anders behandelt werden. Das war zwar ziemlich mit dem Holzhammer, aber die Absicht war gut. Bei Neustart ins Leben, dem zweiten Teil, kann man das so nicht mehr behaupten.
Zum einen stellt man sich quasi selbst ein Bein, indem die beiden Flüchtenden letztendlich doch als Menschen dargestellt werden, die man nicht allein lassen kann. Sie sind unvernünftig, können ihre eigene Situation nicht einschätzen. Wenn es an einer Stelle heißt, wie unverantwortlich es ist, sie allein reisen zu lassen, dann passt das nicht so wirklich zu den Aussagen des ersten Teils, der sich für Selbständigkeit stark machte. Bei Herzstolpern: Neustart ins Leben bekommen die zwei irgendwann zu hören, wie beeindruckend es ist, dass sie es bis nach Italien geschafft haben. Was implizit bedeutet: Menschen mit Down-Syndrom können so etwas eigentlich nicht. Dieser Ansicht darf man durchaus sein, mit Inklusion hat das aber nur noch wenig zu tun.
Typischer Herzkino-Kitsch statt Inklusion
Richtig bedenklich ist aber, dass das Drehbuchduo Anja Flade-Kruse und Claudia Kaufmann in der zweiten Hälfte kaum noch Verwendung für die beiden Ausreißenden hat. Stattdessen werden sie zu einem bloßen Mittel zum Zweck, um die anderen Geschichten drumherum zu erzählen. Da geht es um Lucia Rinaldi (Clelia Sarto), die seit einem Streit mit ihrem Vater keinen Kontakt mehr möchte. Auch die finanziellen Probleme des Hofs werden wieder thematisiert. Sicher, beides war auch schon bei Aufbruch nach Italien angesprochen. Bei Herzstolpern: Neustart ins Leben rückt das aber stärker in den Vordergrund, zum Leidwesen der zwei jungen Hauptfiguren. Da wird dann zwar über sie gesprochen, nach der Ankunft in Italien haben sie aber nur noch wenig zu tun.
Richtig ärgerlich ist jedoch, wie diese Konstellation missbraucht wird, um auf einmal eine Romanze der anderen Figuren zu forcieren. Was groß als Film über Inklusion verkauft wird, entpuppt sich als typisches Herzkino im Stil von Rosamunde Pilcher oder Inga Lindström. Herzstolpern: Neustart ins Leben scheut dann auch vor übelstem Kitsch nicht zurück. So etwas darf man natürlich mögen. Viele Millionen tun das, sonst gäbe es am Sonntagabend nicht immer wieder solche Filme. Aber es ist schon zynisch, wie das eigentliche Thema geopfert wird, um wieder viel manipulativen Herzschmerz inklusive ganz großen Schicksalsschlägen vorzusetzen. Dann kann man es auch gleich bleiben lassen, anstatt sich mit falschen Versprechen zu schmücken.
OT: „Herzstolpern: Neustart ins Leben“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Peter Stauch
Drehbuch: Anja Flade-Kruse, Claudia Kaufmann
Musik: Philipp Fabian Kölmel
Kamera: Markus Schott
Besetzung: Sebastian Ströbel, Anna Maria Sturm, Benjamin Raue, Juliane Siebecke, Lena Reinhold, Clelia Sarto, Janina Elkin, Sandro Di Stefano, Tobias Licht
Die sonntags auf dem ZDF ausgestrahlte Reihe Herzkino gehört zu den Dauerbrennern des Senders. Seit 1987 laufen, damals noch unter dem Titel Der große ZDF Sonntagsfilm, deutsche Dramen, die sich meistens mit Familien- und Liebesgeschichten befassen. Mehrere Hundert Titel wurden so im Laufe der letzten Jahrzehnte produziert. Unten findet ihr alle unsere bisherigen Rezensionen zu diesem Thema auf einen Blick.
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