Szenenbild aus İlker Çataks "Das Lehrerzimmer" (© Alamode Film)

İlker Çatak [Interview]

Regisseur Ilker Catak (© Florian Mag)

Im Rahmen der Sektion Perspektive Deutsches Kino der 73. Berlinale präsentiert der 2020 mit seinem Film Es gilt das gesprochene Wort für den deutschen Filmpreis nominierte İlker Çatak seinen neuen Film. In Das Lehrerzimmer (Kinostart 4. Mai 2023) geht es um eine junge Lehrerin, die zwischen die Fronten von Schüler*innen, Eltern und Kolleg*innen gerät. Çatak arbeitet sich im Film an vielen Aspekten des Themenfelds Schule ab und nutzt diese als Spiegel der Gesellschaft. Im Interview spricht er über Schule als filmischen Raum, die Grenzen der Erziehung und mehr.

 

Wieso war es dir wichtig, einen Film über das Geschehen an einer Schule zu machen?

Schule ist einfach ein schönes Spielfeld. Für mich und meinen Co-Autor Johannes Duncker hat sie sich angeboten, weil wir da viele Themen, die uns interessieren, behandeln konnten. Sie ist ein schöner Ort, um der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, weil sie ähnliche Strukturen hat. Es gibt Leute mit Entscheidungsmacht, also quasi Regierung und Staatsoberhaupt, es gibt das Volk und sogar ein Presseorgan. Und auch wenn man Twitter öffnet oder sich die Talkshows im Fernsehen anguckt, sieht man Themen, die der Film behandelt. Die Art, wie wir kommunizieren, wie wir debattieren und wie wir um Wahrheit ringen.

Inwiefern hast du deine eigenen Schulerfahrungen in den Film gebracht?

Johannes und ich waren zusammen in der Schule und haben tatsächlich auch eine Situation erlebt, in der ein Lehrer in die Klasse kam und uns gefilzt hat. Als wir Jahre später nochmal darüber gesprochen haben, dachten wir, dass das eigentlich ein guter Startpunkt für eine Geschichte ist.

Habt ihr euch zur Vorbereitung auf den Film durch Lehrkräfte beraten lassen?

Ja, wenn du einen Film über eine Schule machst, dann musst du ordentlich recherchieren und kannst nicht nur zuhause sitzen. Wir haben mit Schulpädagog*innen, Schulleitungen, Lehrer*innen, Schüler*innen und auch mit Eltern  gesprochen. Johannes und ich sind seit 20 Jahren nicht mehr in der Schule und seitdem hat sich natürlich vieles verändert. Vor allem, was die Kommunikation angeht. Alles ist viel direkter. Alle sind vernetzt, sogar Eltern haben WhatsApp-Gruppen.

Inwiefern wolltet ihr die Schule im Film als komplett durchschnittlich darstellen?

Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht und ich weiß auch gar nicht, ob es die Durchschnittsschule gibt. Wir haben in Hamburg eine leerstehende Schule gesucht und dann einfach geguckt, dass wir entsprechend casten. Nur drei Prozent aller Lehrer*innen an deutschen Gymnasien haben einen Migrationsvorder- oder -hintergrund. Deswegen war es mir beispielsweise wichtig, dass das Kollegium nicht zu divers ist. Umgekehrt wollte ich aber, dass bei den Kindern und Jugendlichen unsere Gesellschaft auch in ihrer Vielfalt abgebildet wird. Ansonsten hat die Architektur der Schule, in der wir gedreht haben, viel vorgegeben. Wir haben unser visuelles Konzept eher den Gegebenheiten angepasst als andersherum.

Du sprichst das Thema geringe Diversität im Kollegium an. Nun ist die Hauptfigur Carla Nowak ja polnischstämmig, beharrt aber darauf, immer Deutsch zu sprechen. Was habt ihr euch dabei gedacht?

Ich glaube, da gibt es vor allem zwei Punkte, die ich nennen kann. Zum einen ist da das Vorurteil, dass polnische Menschen immer klauen. Dieses Vorurteil war in meiner Jugend in Berlin sehr prominent. Vielleicht will sie diesem Klischee aus dem Weg gehen, vielleicht schämt sie sich auch dafür, polnisch zu sein. Das andere, was ich da sehe, basiert ein bisschen auf einem eigenen Erlebnis von mir. Ich habe mal mit einer Kollegin angefangen, auf Türkisch zu sprechen. Sie wollte aber unbedingt Deutsch mit mir reden, weil das für sie mit einer großen Geheimnistuerei und auch unangemessenen Intimität verbunden gewesen wäre. Und ich glaube, ähnlich ist das auch hier. So genau kann ich das aber gar nicht benennen. Ich glaube, dieses Unbehagen, nicht in der eigenen Muttersprache sprechen zu wollen, hat mich einfach interessiert und ich fand es im Kontext der Stimmung des Films nur passend.

Du hast es eben schon angesprochen. Du bist zum Teil in Berlin aufgewachsen, hast dein Abitur aber in Istanbul gemacht. Ist die Schule, die wir sehen, eine typisch deutsche Schule?

Ich glaube nicht, dass die dargestellten Konflikte speziell deutsche Probleme ist. Das internationale Feedback, dass wir hier auf der Berlinale bekommen, ist so kongruent, in Frankreich oder in Spanien gibt es genau die gleichen Probleme. Es ging mir aber auch weniger um das Problem Schule, sondern eher darum, wie wir miteinander umgehen, wie wir unsere Debatten führen und welche Hierarchien dabei im Weg stehen.

Ich glaube, eine Schule ist dafür definitiv passend. Sie zeigen viele gesellschaftliche Probleme sehr konzentriert, sind aber immer ein Stück von der Außenwelt isoliert. Sie erinnern mich in dieser Hinsicht fast ein bisschen an Gefängnisse. Irgendwie ein ganz eigener Mikrokosmos mit eigenen Regeln, eigener Logik. Inwiefern hat diese Schullogik für euch eine Rolle gespielt?

Deine Klasse ist letztlich eine Art Familie, aus der du nicht so einfach rauskommst. Von daher finde ich den Gefängnisvergleich recht naheliegend, gerade, wenn du nicht gerne zur Schule gehst.

Uns ging es aber auch darum, mit der Figur von Carla Nowak eine Lehrerin zu zeigen, die toll ist. Das gängige Klischee ist, dass Schule immer Scheiße ist, Lehrer*innen immer Scheiße sind. Aber wir wollten zeigen, dass da eine Koexistenz ist. Schule ist ein schwieriger Ort, der, wenn du entsprechend gute Lehrer*innen hast, aber auch schön sein kann. Er folgt nicht einer stringenten Logik, sondern vielen verschiedenen.

Bleiben wir mal bei Frau Nowak. Sie verhält sich auffallend politisch korrekt, gendert, trinkt Viva con Agua, beginnt den Unterricht immer mit einem Klatsch-Ritual. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass manche Leute sie als Karikatur eines Gutmenschen auffassen.

Schön, dass das mit dem Viva con Agua aufgefallen ist (lacht). Aber nein, wir sehen in ihr überhaupt keine Karikatur. Wir wollten sie nicht überzeichnen. Und sie macht ja auch Fehler. Aber sie versucht eben, eine gute Lehrerin zu sein, die mit ihren Schüler*innen spricht, sich um sie sorgt. Als wir am Drehbuch gearbeitet haben, hat mir eine Kollegin gesagt, es wäre doch toll, wenn die Figur nicht nur trocken den Stoff, sondern auch die Philosophie hinter der Mathematik vermittelt. Das war ein Schlüsselmoment für mich. Denn ich dachte mir dann, dass wir eine Figur schreiben sollten, die auch wirklich den Anspruch hat, einen positiven Effekt auf das Leben ihrer Schüler*innen zu haben. Immerhin ist es das, was richtig gute Lehrer*innen schaffen. Wir haben die Figur letzten Endes sogar ein bisschen, an die Lehrer*innen angelehnt, die uns früher bewegt haben. Und das waren die, die eben nicht nur den Stoff durchgeboxt haben.

Das sieht ihre Klasse lange Zeit ja auch so. Mit ihrer „Was im Lehrerzimmer passiert, bleibt im Lehrerzimmer“-Einstellung, bricht sie dann aber mit ihrem eigentlichen Ansatz. Wäre die Situation besser ausgegangen, wenn sie von Anfang an transparenter gewesen wäre?

Das kann ich nicht sagen. Ihr Dilemma ist ja, dass sie sowohl den Kindern gerecht werden will als auch den Kolleg*innen. Sie steht zwar auf Seiten der Kinder, ist aber integer genug, den Kolleg*innen nicht in den Rücken zu fallen. Ich denke, die große Stärke dieser Geschichte ist eben, dass man versteht, warum sie so handelt, wie sie handelt. Denn letztlich handeln fast alle Menschen so. Wenn meine Eltern früher mit mir geschimpft haben, sind sie immer geschlossen aufgetreten, auch wenn sie eigentlich nicht derselben Meinung waren. Es hieß nie, deine Mutter denkt so, ich denke aber so. Und ich glaube, das ist auch nicht der richtige Ansatz. Dann wäre es nämlich eine andere Geschichte. Eine Geschichte über eine Lehrerin, die das Kollegium gegen sich aufbringt und nicht zwischen die Fronten gerät.

Wir sehen auch, dass ihr antiautoritärer Erziehungsansatz hier an seine Grenzen stößt und sie sich schließlich anpasst. Heißt das, Integrität ist wichtiger als ihre pädagogische Aufgabe?

Das gehört ja alles zusammen. Auch die Integrität den Kolleg*innen gegenüber ist eine Form von Persönlichkeit, die sie vermittelt. In dem Moment, in dem sie anfängt über die Kollegen zu lästern, ist sie auch keine gute Pädagogin mehr, weil sie dann ein falsches Vorbild ist.

Als die Kinder im Film den Unterricht boykottieren, gibt es einen Jungen, der nicht mitmacht. Bei seinen Noten könne er sich das nicht erlauben. Die Szene fand ich sehr stark, weil sie zeigt, wie fragil die Solidarität miteinander ist und wie sehr sie durch Leistungsdruck zerstört wird. Wie sollte man deiner Meinung nach mit diesem Leistungsdruck umgehen?

Ich will nicht zum Experten aufschwingen, der Leuten sagt, was die Schule besser zu machen hat, ich bin Filmemacher. Aber was ich bei der Vorbereitung in Gesprächen oft gehört habe, ist, dass es Schulen extrem wichtig ist, einen guten Durchschnitt zu halten. Das heißt, wenn ein Kind in zwei Fächern eine Eins und in zwei Fächern eine Fünf hat, dann versucht man, die Fünfen anzuheben, sodass das Kind nicht sitzen bleibt, anstatt zu sagen, das Kind ist in diesen Fächern gut, das fördern wir und es ist egal, wenn es in anderen Fächern eine fünf hat. Ich glaube, dass dieser Durchschnittsgedanke etwas viel Druck erzeugt. Wenn man sagen würde, darin bist du gut und das fördern wir, dann wäre schon Druck rausgenommen.

Wie geht es jetzt weiter für euch, plant ihr, den Film an Schulen zu zeigen?

Test-Screenings hatten wir nur im geschlossenen Kreis und eben die Premiere auf der Berlinale. Entsprechend haben wir noch kein Feedback aus Schulen bekommen, was uns aber sehr wichtig ist. Wir wollen unbedingt, dass der Film bei den diesjährigen Schulkinowochen vertreten ist. Wir hatten auch schon Kontakt mit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die wollen den Film in Schulen zeigen. Da passieren momentan viele Dinge.



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