Wohin man auch schaut, überall scheint es an geeigneten Arbeitskräften zu fehlen. Da ist natürlich der vielbeklagte Fachkräftemangel, der es immer mal wieder in die Nachrichten schafft. Aber auch bei einfacheren Tätigkeiten, sei es in der Gastronomie oder Ausbildungsberufen, fehlen Leute. Ein Berufszweig, der ebenfalls immer wieder genannt wird, wenn es um Unterversorgung geht, ist der des Lehrers bzw. der Lehrerin. Die desolate Lage im deutschen Bildungssystem soll auch darauf zurückzuführen sein, dass es einfach nicht mehr genug gibt, die diesen Beruf ausüben wollen. Bei Jonathan Schüddekopf, kurz Jonny, ist das anders. Er ist mit Leib und Seele Lehrer, das Unterrichten der Kinder ist für ein Teil seines Selbstverständnisses. Ein Lebenselixier gar. Er will unterrichten. Er darf es nur nicht bzw. kann es nicht, zumindest nicht so, wie man das von ihm erwartet.
Kampf gegen die Krankheit
Der Grund ist in dem Dokumentarfilm Jonny Island schnell geklärt: Der Protagonist leidet unter einer schweren Lungenkrankheit. Schon in normalen Lebensphasen konnte das zu einem Problem werden. Während Corona wurde es zu einem unüberwindbaren Hindernis: Präsenzunterricht ist für ihn keine Option. Während Jonny stattdessen gern aus der Ferne unterrichtet hätte, war die Schule davon nicht angetan. Entweder vor Ort oder gar nicht, hieß es. Er solle einfach krankgeschrieben werden. Davon will der wiederum nichts wissen, einfach so aufgeben oder klein beigeben ist für ihn keine Option. Denn auch das gehört fest zu ihm: Er sei ein Dickkopf, wird ihm am Ende von den Kollegen und Kolleginnen gesagt, was – so meint man zumindest herauszuhören – Stärke und Schwäche zugleich war.
Zu dem Zeitpunkt hat das Publikum aber schon viele andere Seiten an ihm kennenlernen dürfen. Regisseurin Petra Mäussnest hat den Lehrer begleitet, über eine lange Zeit hinweg, zeigt ihn dadurch von seiner privaten wie der beruflichen Seite. Natürlich spielt die Krankheit dabei eine größere Rolle. Das tut sie nicht nur an der Schule, wo es für ihn auf einmal keinen Platz mehr gibt. Auch in seinem eigenen Leben ist das klar ein Thema. So spricht er an einer Stelle in Jonny Island offen über das Sterben und über seinen Kampf dagegen. Denn er könne nicht gehen, noch nicht, seiner Familie wolle er das nicht antun. Auch hier wird deutlich, wie Schüddekopf für andere brennt. Wie sehr er sich für diese verantwortlich fühlt, seinen Sinn im Leben immer mit Menschen verbunden ist.
Melancholie und Lebensfreude
Auch wenn das Thema des Films ein sehr trauriger ist, gibt sich Jonny Island nicht der Schwermut hin. Mäussnest verzichtet auch darauf, die Krankheit ihres Protagonisten ausschlachten zu wollen. Voyeurismus ist ihr fremd. Vielmehr ist die Dokumentation, die auf dem DOK.fest München 2023 Premiere feierte, ein sehr lebensbejahendes Werk. Das heißt nicht, dass es einem nicht zwischendurch auch mal zu Herzen gehen kann. Wenn sich Schüddekopf beispielsweise von seiner Klasse verabschieden muss, dann hört man in seiner Stimme, wie nahe ihm das alles geht. Als Zuschauer bzw. Zuschauerin geht es einem da ganz ähnlich, auch ohne dies groß thematisieren zu müssen, ist man von Melancholie erfüllt.
Der Film ist dabei klar auf Jonny selbst zugeschnitten. Andere Menschen tauchen zwar auf, bleiben aber ohne großes Profil. Ob Kollegium, Familie oder seine Klassen, man erfährt nicht viel über die Menschen, die ihn umgeben. Obwohl Jonny Island ein Film ist, der sehr fokussiert auf ein Individuum ist, gibt es darin aber auch Sachen, die von einem allgemeingültigeren Interesse sind. Neben offensichtlichen Themen wie der Frage, was es für den Lehrberuf braucht, darf anhand des konkreten Falls darüber gesprochen werden, wie Menschen integriert werden können, die nicht mehr ins System passen. Im Fall von Schüddekopf ist das auch deshalb spannend, weil seine Bedürfnisse und die der Klasse miteinander abgewogen werden müssen. So sehr die Kinder ihren Lehrer lieben, ist es fair, wenn für ihn der Präsenzunterricht aufgegeben wird? Ist es umgekehrt fair, von ihm die Aufgabe seines Berufs zu verlangen? An dieser Stelle hätte gern noch mehr miteinander gesprochen werden dürfen. Aber auch so hat der Dokumentarfilm einiges zu bieten.
OT: „Jonny Island“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Petra Mäussnest
Drehbuch: Petra Mäussnest
Musik: Marcus Sander
Kamera: Bernadette Paassen, Knut Schmitz
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