Im Norden Portugals, in einer kleinen Gemeinde fernab der nächsten Großstadt, sind die Chancen auf eine Arbeit rar gesät, weshalb die Bevölkerung immer weniger geworden ist. Eine alte Villa zeugt noch von vergangenen Zeiten, doch da die Eigentümer meist verreist sind, bewohnt lediglich die Haushälterin Emília (Fátima Soares) das riesige Anwesen. Wegen ihres hohen Alters hilft ihre Freundin Ana (Carla Maciel) bei der täglichen Arbeit im Haus. Dabei hat diese schon mit ihren eigenen Haushalt viel zu tun und mehr als genug Sorgen, vor allem als ihr Mann Victor (Paulo Calateré) nicht mehr genug Geld verdient. Mitsamt einigen Freunden will er deshalb nach Frankreich, um auf einer Baustelle arbeiten, weil dort die Bezahlung besser ist. Als sich der Gesundheitszustand Emílias verschlechtert, wird Ana im Krankenhaus bewusst, wie schlimm es um ihre Freundin bestellt ist und dass diese noch mehr denn je auf ihre Hilfe angewiesen sein wird. Sie entschließt sich, bei ihr zu bleiben, gegen den Widerstand ihres Mannes sowie ihrer Tochter Mónica (Vitória Nogueira da Silva), die lieber heute als morgen die Gemeinde hinter sich lassen möchte.
Schleichende Veränderung
Die kleinen wie auch die großen Veränderungen innerhalb einer kleinen Gemeinschaft, Zugehörigkeit, Identität und Heimat sind die Themen von Légua, der nach Djon África zweiten Regiearbeit von Filipa Reis und João Miller Guerra. Das Haus, in dem die beiden Hauptfiguren die meiste Zeit miteinander verbringen, hat eine sehr persönliche Bedeutung für João Miller Guerra, der seine Kindheit dort verbrachte. Als sein Vater vor ein paar Jahren verstarb, brachte er eine Teil seiner Erinnerungen an ihn in die Geschichte von Légua mit ein, besonders wenn es darum geht zu beschreiben, wie die Krankheit eines Menschen dessen Verwandte beschäftigt.
Wie der Landsitz einer adeligen Familie mutet die Casa de Botica an, wenn sie der Film zum ersten Mal zeigt. Dieses Gebäude, welches von der reichen Geschichte dieses Landstrichs zeugt, wie auch das umliegende Land bilden zum einen die Kulisse des Films, doch erscheinen bisweilen ebenso wie Seelenlandschaften der Figuren, insbesondere Ana und Emília. Trotz ihrer vielen Verpflichtungen sowie der finanziellen Notlage ihrer Familie machen die stillen Aufnahmen, in denen Ana über diesen Landstrich schaut mehr als deutlich, dass sie Teil davon ist, davon sein will, und hier womöglich nie mehr wegkommt (und dies auch nicht will). Zugleich beobachtet man mit ihr, wie auch durch die anderen Figuren, die schleichenden Veränderungen in der Region, von der Perspektivlosigkeit bis hin zu der Einöde, welche Mónica und Victor wahrnehmen, weshalb es nur folgerichtig erscheint, dass sie der Heimat den Rücken kehren. Mit einer teils quälend langsamen Akribie zeigt die Kamera die Routinen dieser Charaktere, ihre Blicke über diese Landschaft und macht damit mehr als deutlich, wie sie zu dieser stehen.
Drei Generationen
Légua, der im Rahmen der Directors‘ Fortnight in Cannes 2023 gezeigt wird, ist aber auch die Geschichte dieser drei Generationen von Frauen, welche diese Gemeinschaft prägen. In einer zentralen Szene lassen Reis und Guerra Ana, Emília und Monica aufeinanderprallen. Die Wucht dieser, wie auch vieler anderer Sequenzen liegt nicht im Melodrama, sondern vielmehr in dem formalen sowie schauspielerischen Minimalismus, bei dem die Situation dem Zuschauer klar ist und keinerlei Zugabe mehr braucht. Schweigen und Stille machen einen Großteil dieser Szenen aus, was ebenfalls zu dem bereits angesprochenen Erzähltempo beiträgt. Diese Momente sind ebenso Zeugnis des hervorragenden Spiels Carla Maciel und Fátima Soares, die sich nicht nur gut ergänzen, sondern ihren Figuren eine Tiefe und Würde geben, was manche der späteren Szenen schwer zu ertragen macht, besonders als es mit Emílias Gesundheit immer weiter bergab geht.
OT: „Légua“
Land: Portugal
Jahr: 2023
Regie: Filipa Reis, João Miller Guerra
Drehbuch: Filipa Reis, João Miller Guerra, Sara Morais, José Filipe Costa, Letícia Simóes
Musik: Ricardo Jacinto, Hypogeo
Kamera: Vasco Viana
Besetzung: Carla Maciel, Fátima Soares, Vitória Nogueira da Silva, Sara Machado, Paulo Calateré
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